„Digitales Leben“ verändert und prägt immer mehr und subtil nicht nur die reale Welt. Das reale Leben passt sich dem digitalen an und nicht mehr umgekehrt. Ursprünglich wurden Internet und Facebook so gestaltet, dass es „Leben“ und „Treffen“ möglichst realitätsnah abbildet. Heute wird das reale Leben immer öfter und akzentuierter auf „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ reduziert. Selbst die Weltpolitik bleibt nicht verschont: In den USA regiert ein Präsident, der nicht nur dank sozialen Medien die Wahl gewonnen hat. Er regiert zu einem ansehnlichen Teil mit Twitter-Posts. Eine Situation, die vor wenigen Monaten noch nicht vorstellbar war: Das mächtigste Land wird mit 140 Zeichen-Meldungen durch die Weltgeschichte gelotst. Es herrscht digitales Leben in einer analogen Welt. Denn welche Krise wo auch immer ihren Deckel zur Verbreitung auf dem globalen Erdenrund öffnet, es wird von höchster Stelle mit 140 Zeichen kommentiert. That’s it. Der Welt gefällt es, denn sie liebt Häppchen mehr als schwere Kost zum Nachdenken. Auch das ist ein Teil des digitalen Lebens, obwohl die weltweiten Probleme und Auseinandersetzungen sehr analog und ja mehr als greifbar wären. Aber vielleicht halt nicht für alle gleich intensiv…
Doch was bedeutet „Leben“ eigentlich genau? Ich übersetze „Leben“ gerne mit „das-was-gerade-hier-mit-mir-geschieht“. Und in diesem Alltag „leben“ tatsächlich schon viele Menschen recht ordentlich „digital“. Nicht nur Jugendliche, sondern auch zunehmend Erwachsene bewegen sich ständig in den sozialen Medien – aus dem Gefühl oder gar der Angst heraus, etwas zu verpassen.
Die Entwicklungen sollen gar nicht wertend in „gut“ oder „schlecht“ gefasst werden. Obwohl der Geist des digitalen Lebens mit „like“ oder „dislike“ das eigentlich abverlangen würde. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch dieses „digitale Leben“ zum „analogen“, sprich „realen“, Leben gehört. Und alles, was Realität ist, gilt es anzunehmen und den eigenen, passenden Weg dazu zu beschreiben und beschreiten.
In der Tat ist es nicht nur so, dass Viele meinen, etwas zu verpassen. Nein, sie verpassen tatsächlich etwas. Wer nicht mehr oder minder permanent digital präsent ist, läuft heute Gefahr, „ausgestoßen“ zu werden. Er findet schlicht den Zugang nicht mehr zum Leben der Anderen. Das kann man jetzt gut finden oder nicht, aber zu einem großen Teil ist es nun mal so. Ich erinnere mich ans Aufkommen der Emails: Anfänglich kein Problem, aber als nur noch eine einzige Person im Verein keine Email-Adresse hatte, begann es, dass man diese Person vergaß. Deshalb kann die These durchaus lauten: Das Leben ist digital geworden! Im Grunde läuft es im Business ähnlich. Wer nicht digital lebt, sprich auf Facebook, Instagram und so weiter präsent ist, verpasst, Wichtiges vom Markt zu erfahren. Oder – unter Umständen noch schlimmer – der Markt erfährt nicht, was ich zu bieten im Stande bin.
Wir lernen, uns aktuell in der einen, digitalen Welt neu zu bewegen. Vergessen wir nicht, die „andere“, ureigenste und persönlichste Welt ebenso zu pflegen. Die Kommunikation, als das eigentliche Schmiermittel für Alltagsbeziehungen, darf nicht darunter leiden. Denn der Mensch reagiert nach wie vor anders auf persönliche, menschliche Kommunikation. Dieses Potential gilt es zu nutzen. Es macht wohl Sinn, sich bewusst Zeit fürs „analoge“ und Zeit fürs „digitale“ Leben zu nehmen. Sich bewusst werden, welche Welt gerade die ist, in der ich mich aufhalte. Dann ist das alles nicht Stress, sondern durchaus eine Bereicherung. Denn wer hat nicht schon davon geträumt, sich in zwei Welten oder zwei Leben bewegen zu können. Damit zu spielen, damit umzugehen, lässt mehr entdecken und kann durchaus Spaß machen.