Welche Regeln und Gewohnheiten im Betrieb erschweren es
Jugendlichen allgemein, Verantwortung zu erlernen?
  

(Thesen – ausgehend von den Arbeiten von Prof. Dr. Juliane Sagebiel und
Prof. Dr. Silvia Staub-Bernasconi, Sozialforscherinnen |
Werk: „Mensch in der Gesellschaft sein” | 2007)

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Foto von Dose Media

Organisations- und Positionsmacht
>> Asymmetrische Verteilung von Arbeitsmitteln:

     Zugänge sind hierarchisch restriktiv geregelt. Wenig Entscheidungsfreiraum,
     aktiviert wenig Eigeninitiative.

>> Die Unternehmenskultur wird durch asymmetrische soziale Beziehungen geprägt.
     Einzelne Gruppen oder Personen im Betrieb führen Regie und grenzen andere aus.
     Je nach Neigung des Jugendlichen kann dies die Persönlichkeitsentfaltung schwächen;
     Meinungen und Positionen zu vertreten kann erheblich erschwert werden.
     Es fehlt die Möglichkeit, Überzeugungskraft zu entfalten und Widerstandskräfte
     zu entwickeln. 

Artikulationsmacht    
>> Die meisten Entscheidungen sind intransparent und nur schwer zu verstehen.
     Fördert nicht das konstruktive Nachdenken über Hintergründe und Ziele.

Kooperation
>> Im Betrieb ist wenig Mitbestimmung möglich. Auch die Arbeit ist vorwiegend
     an fixen Kennzahlen orientiert. Kaum Spielraum für kreative Eigenverantwortung.
     Im Vordergrund steht vielmehr „richtig“ oder „falsch“. Kooperations- und Dialog-
     vermögen wird kaum geschult.
 
>> Restriktive Fehlerkultur: Sanktionen bei Fehlern sind drastisch.
     Der Jugendliche wird wenig Eigenständigkeit entwickeln.    

Welche Regeln und Gewohnheiten in der Arbeitswelt erschweren es
Jugendlichen allgemein, Verantwortung zu erlernen?
   

(Thesen – ausgehend von den Arbeiten von Richard Sennett,
Soziologe | „Der flexible Mensch“ | 1998 | S. 10, 119,120, 155)

>> Überqualifizierung und Technokratisierung in
     Verbindung mit Höchstbezahlungen: Führt zu Eliten und ruft eine
     erhöhten Risikobereitschaft bei zahlreichen jungen Menschen hervor,
     die zu den Auserwählten gehören möchten. Überschätzung der
     Erfolgschancen und Unterschätzung des Verlustrisikos.

>> Einseitiger Fokus auf kurzfristige Ziele und Benefits: Kann kognitive
     Dissonanzen hervorrufen; das heißt die Neigung dazu, gegen eigene
     Überzeugungen, Gefühle und Werte zu handeln; was zu einer starken
     Spannung im Betroffenen führt und diesen vor Identitätsprobleme stellen kann.

>> Hohe Standardisierung und Automatisierung: Hintergründe, Prozesse und
     Funktionen können nur noch wenig erklärt werden. Es bildet sich ein
     oberflächliches Arbeits- und Sachverständnis. Vertiefende Erfahrungen
     mit Arbeitsinhalten sind kaum möglich.

>> Hohe Fluktuationen u.a. durch hochagile Unternehmensstrukturen
     führen zu einem Teamwork an der Oberfläche. Zwar kann diese auch
     den Gruppenzusammenhalt stärken, weil unangenehme und kritische
     Themen ausgespart bleiben, doch auf Dauer leiden Empathievermögen,
     Auffassungsgabe und Identifikation. Und es fördert einen allzu sorglosen
     Umgang mit Menschen.

>> Ständige Umformungen von Werten in einem Unternehmen. Bewirkt, dass
     Mitarbeiter maskenhaft oder ironisch mit den jeweilig geltenden Werten umgehen.
     Ihr eigenes Selbst gewinnt keine Konstanz. Ihr Verantwortungsbewusstsein wird
     unter Druck gesetzt. Weil ständig etwas anderes gilt, agiert man situativ.
    
>> Übersteigerte Agilität von Arbeitsfeldern und Unternehmensstrukturen wirkt sich
      negativ auf die Charakterbildung aus. Richard Sennett schreibt über dieselbe:
      „Charakter drückt sich durch Treue und gegenseitige Verpflichtung aus oder
     durch die Verfolgung langfristiger Ziele und den Aufschub von Befriedigung
     um zukünftiger Zwecke willen. Aus der wirren Vielfalt von Empfindungen, […]
     wählen wir einige aus und versuchen sie aufrechtzuerhalten. Diese nachhaltigen Züge
     werden zum Charakter …“. Und Sennett fragt, wie angesichts auf Kurzfristigkeit
     ausgelegter Ökonomie Charakter gebildet werden kann. Loyalität und
     Verpflichtungsgefühl leiden notwendig. Der Forscher prägte für das unter diesen
     Bedingungen entstehende Persönlichkeitsprofil „Drifter“. Driften werde zum Alltag;
     Verantwortungsbewusstsein aber gründet auf einigermaßen stabilen Werten und
     Eigenschaften.

Es geht um weit mehr als Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und dergleichen bürgerliche Tugenden. Denn Verantwortungsbewusstsein erstreckt sich auf Mensch, Ökologie und Arbeit. Es geht nicht einfach nur um sozialen Wohlklang und Gruppenfrieden. Compliance ist ein Thema. Corporate Social Responsibility auch. Nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren wird künftig noch mehr Relevanz bekommen.

Der heutigen Jugendgeneration scheint das übrigens zu weiten Teilen bewusst zu sein, wie Studien zeigen. Sie muss heute schon den Eindruck haben, die Generation zu sein, die im Hinblick auf Ressourcenvorkommen und Lebensbedingungen das Licht ausmacht.

Umso wichtiger ist es, dass die ihnen im Alter Vorangehenden selbst verantwortungsbewusst handeln. Dazu sollten die wichtigsten Stolpersteine Führungskräften und Kollegen gegenwärtig sein.