Im Chaosclub gibt es kaum substantiell Neues. Das Relationale Innovationsmodell

1. Ab wann ist Innovation eine Innovation? 

Wenn ich von Innovation spreche, unterscheide ich gerne zwischen inhaltlicher Innovation und Prozessinnovation: Geht es um …

… ein neues Feld,
… einen neuen Inhalt,
… ein neues Produkt,
… eine neue Leistung,

die wir uns erschließen wollen?

Oder geht es um die Gestaltung eines …

… neuen Prozesses,
… neuen Vorgehens,
… „Know-hows“,
… eines „Drehs“,

mit dem wir einen echten Unterschied intern (betreffend den Umgang mit Ressourcen) oder extern (am Markt) erzeugen wollen? Die Frage lautet also: Ist etwas dadurch Innovation, weil wir etwas anderes tun (Prozessinnovation) – oder tun wir etwas anderes mit einem anderen Ergebnis (inhaltliche Innovation)? 

BEISPIELE FÜR PROZESSINNOVATION

– Wir haben einen Prozess geschaffen, mit dem wir
(ohne „Spitzen“ und „Täler“) mit unseren Kunden verlässlich
monatlich unsere geforderten Umsätze sichern.

– Ich habe alle Zahlen, die ich zum Steuern meines Bereichs
brauche, jeden Tag richtig auf dem Tisch, obwohl der Konzern
die Datenlieferung nur monatlich und mit einem zusätzlichen
Time-lag von 3 Wochen schafft.

– Wir haben den Prozess der International Mobility unserer
Mitarbeiter auf zwei Kernschritt und ein einziges Formular gekürzt.

BEISPIELE FÜR INHALTLICHE INNOVATION

Wir haben eine Leistung entwickelt, die es uns ermöglicht,
Vertrauen der Kunden zu erzeugen, nahezu erklärungs- und
angebotsfrei zu agieren und damit unvergleichbare Preise zu erzielen.

– Wir haben ein Produkt, das nicht nur Einzigartiges kann,
sondern das der Kunde auch versteht, selbständig nachfragt
und bedienen kann.

– Wir haben aus unserem Produkt eine Leistung gemacht,
die es uns ermöglicht, sicher Umsätze und Ergebnisse zu erzielen
und unsere Kunden langfristig zu binden.

In jedem Fall bedeutet Innovation, dass wir etwas anderes tun und damit einen Unterschied schaffen. Angesichts dessen können viele unserer bisherigen Anstrengungen für Innovation eigentlich nur ins Leere gehen: Für gewöhnlich wird Innovation in Unternehmen nämlich nicht „getan“, weil das Thema Innovation fast immer gänzlich vom Unternehmensalltag abgekoppelt ist – denken Sie nur an Ihren letzten „Innovationsworkshop“. Zweitens erzeugt Innovation so wie sie landläufig versucht wird, keinen Unterschied – weil sie meist ja nur ein Trockentraining darstellt. 

2. Wo entsteht eine Innovation im Unternehmen?  

Innovation kann meiner Erfahrung nach überall dort entstehen, wo es eine klare Begrenzung hinsichtlich einer Qualität gibt, wie zum Beispiel:

– „eine vorgegebene Menge an verkaufbaren Stückzahlen“,
– „eine endliche Summe an Mitarbeiterkapazität“ (aufwendbare Stunden),
– „eine Restriktion gesetzlicher Natur“ (z.B. Asbest darf nicht mehr verwendet werden) etc.

Warum ist das so? Weil geplante Innovation – die ich von Zufallsprodukten wie zum Beispiel die Erfindung des Swarovski-Schmucks oder des Red Bull Getränks unterscheide – stets eine Antwort auf ein Problem ist. Sie versucht ein Problem zu lösen, sie ist Mittel zum Zweck.

2.1. Wirksames Innovationselement „Rahmen“

Um also überhaupt von Innovation profitieren zu können, brauchen wir einen erlebten Engpass, also ein Problem. Sehen wir uns mein Wirksamkeitsmodell im Unternehmen an (Radatz, 2012), so erkennen wir, dass die Wirksamkeit (Effektivität) des Unternehmens immer bei der Formulierung eines ergebnisorientierten Rahmens startet (siehe Abb. 2). Anders formuliert: Der ergebnisorientiert und für die Mitarbeiter verständlich formulierte Rahmen spannt die Möglichkeiten der Innovation auf; dieser entfaltet aber meiner Erfahrung nach nur dann seine innovatorische Wirkung, wenn er auch regelmäßig und wirksam (also ohne locker zu lassen), also monatlich, als Ergebnis eingefordert wird.

2.2. Wirksames Innovationselement „freies Tun“

Ein weiterer zentraler Moment für die Innovation im Wirksamkeitsmodell besteht im freien Tun der Mitarbeiter, wenn diese gefordert sind, nicht den Rahmen irgendwann einmal zu erreichen, sondern jeden Tag das von ihnen entworfene „Optimalbild“ innerhalb des Rahmens zu leben – und zwar vom Beginn weg. Das schafft eine ganz schöne Herausforderung, wenn der Mitarbeiter (und natürlich auf nächster Ebene der Vorgesetzte, und auf der nächsten Ebene dessen Vorgesetzter…) seinen frischbackenen Rahmen vor sich sieht und (bildlich gesprochen) nach dem „Umzug ins neue Haus“ (Annahme des „Rahmenangebots“) nun immer noch aus Kisten und Koffern lebt, teils erst Steckdosen setzen lassen muss, teils sich in der Gegend neu orientiert. Aber durch diese sehr klare Forderung von bestimmten Ergebnissen entsteht ein gefühlter Engpass, der eben gerade nicht durch das gewohnte „schneller, höher, weiter“ im traditionellen Unternehmen lösbar ist: Es entsteht ein Moment der gefühlten Not und gleichzeitig die Sicherheit, etwas anderes, etwas hinlänglich Neues zu tun. Und in diesem Moment beginnt der Mitarbeiter, beginnt die Führungskraft, jeweils hervorragend geführt und begleitet durch den eigenen Vorgesetzten, etwas anderes zu entwerfen: Andere Prozesse. Und/oder andere Inhalte.

2.3. Wirksames Innovationselement „Automatisierung“ –
die Schaffung von Selbstläufern

Erst die Automatisation („Verselbstläuferung“) von laufend vereinfachten, entrümpelten Prozessen und Inhalten ermöglicht den Sprung auf das nächste Level („Das können wir“) und schafft damit die Innovation. Die meisten „Kreativen“ in den „Innovationsworkshops“ sind rein auf dieser Ebene unterwegs. Dabei wird häufig vergessen, dass es der Innovation gut tut, in einem organisationalen Rahmen stattzufinden, um echte Wirksamkeit zu erlangen, um zu „funktionieren“. Es macht aus meiner Sicht einen Unterschied, ob der Einzelne etwas Neues kann, oder ob die Organisation etwas Neues kann: Im ersten Fall lernt der Einzelne; im zweiten Fall lernt die Organisation.

Nur um das klarzustellen: Der Einzelne soll Innovationen für sich schaffen und dadurch einen „Dreh“ heraus bekommen, der es ihm ermöglicht, die geforderten Ergebnisse überhaupt, schneller, einfacher, ressourcenschonender oder lustvoller zu erzeugen. Wenn diese Erfahrung, dieses Wissen, diese Innovation, dieser „Dreh“ dann auch noch in der Organisation verankert wird, dann wird das Wissen zu einem organisationalen Know-how und kann organisationsweit als Wettbewerbsvorsprung eingesetzt werden. Insofern ist es für die Organisation von zentraler Bedeutung, jede Innovation als organisationale Innovation zu verankern.

3. Das Relationale Innovationsmodell

Wenn Innovation auf individueller wie auf organisationaler Ebene stattfinden kann und soll, dann ist esvon Vorteil, auf beiden Ebenen die entsprechenden Strukturen zu schaffen, um das bestmögliche Innovationsklima zu erzeugen – selbstverständlich nicht, ohne die Innovation auch tatsächlich „abzuholen“ und zu sichern, dass sie passiert.

Das Relationale Innovationsmodell (siehe Abb. 3), das ich aus diesen Gedanken heraus entwickelt habe, besteht aus zwei Kreisläufen, die ineinander greifen. Ob Sie dabei in dem einen oder in dem anderen Kreislauf starten, ob es um Prozess- oder um inhaltliche Innovation geht, ist meines Erachtens unerheblich, oder lassen Sie es mich anders formulieren: Sie dürfen ruhig zulassen, dass Innovation gleichzeitig auf allen vier dadurch entstehenden Ebenen stattfindet.

Im Doppelkreislauf mit dem Relationalen Leadership-Modell (individuelle Ebene im Modell, siehe auch Radatz, 2013) bildet das Relationale Innovationsmodell die Schaffung von Innovation sowohl auf der Ebene der Unternehmensführung (Radatz, 2012) als auch auf personeller Ebene, also zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter ab.

Es geht dabei auf individueller wie auf organisationaler Ebene darum, dass

– wirksame Beiträge zum Unternehmen geliefert werden und

– der Mitarbeiter sich laufend gezielt weiterentwickelt

und Innovation schafft.

3.1. Der individuelle Kreislauf

Selbst wenn Sie Ihr Unternehmen als äußerst innovationsträge einschätzen: Damit wird Ihnen nicht die Freiheit und die Verantwortung genommen, auf Ihrer Ebene für eindrucksvolle und wirksame Innovation zu sorgen. Dies schaffen Sie durch die Relationale Führung (Radatz, 2012b; Radatz, 2013), wie sie im Folgenden beschrieben ist.

 

 

3.1.1. Challenge / Ergebnisvorgabe

Auch wenn Sie sagen „Meine Mitarbeiter wissen genau, was sie zu tun haben“: Fragen Sie diese docheinmal bei Gelegenheit, ob ihnen klar ist, welche Ergebnisse innerhalb welchem Rahmen sie laufend (laufend! Nicht „von Projekt zu Projekt“ oder „im Moment haben sie diese Aufgaben“) zu erbringen haben. Meine Erfahrung ist: Selbst wenn Sie eine klare Ergebnisvorgabe für Ihren Mitarbeiter imKopf haben und den Rahmen für diesen genau kennen, ist das für den Mitarbeiter noch lange nicht so.

Diese „eine“ Ergebnisvorgabe für den Mitarbeiter leitet sich aus einem klaren Unternehmensrahmenab – wenn Sie diesen nicht haben (und auch nicht bekommen), dann beginnen Sie erst auf Ihrer Ebene mit der Schaffung von Klarheit (Ihre Mitarbeiter sollten nicht unter dem Gleichen leiden wie Sie). Ich erlebe es häufig als harte Arbeit, diese eine Vorgabe zu definieren, und verbringe mit meinen Kunden oft einen halben Tag, um diese sinnvoll und nachhaltig festzulegen. Die Frage, die dahinter steht, lautet: „Was will ich wirklich von diesem Mitarbeiter – als laufenden sinnvollen Beitrag zum Team-/Unternehmensergebnis?“

Abgeleitet davon entstehen weitere Folgefragen, etwa

– „Wofür soll er verantwortlich sein – also einzig und allein antworten?“
– „Was brauche ich monatlich immer wieder aufs Neue von ihm, damit ich seine Existenz auf der 
  
Payroll argumentieren kann und er einen echten Nutzen für das Unternehmen/dieOrganisation
   darstellt?
– „Woran – an welcher Leistung – würde ich erkennen, dass ich 100% zufrieden mit ihm bin?“

Aber Achtung: Keinesfalls wird ein Rahmen für jede Aufgabe, für jedes Projekt erteilt, wie ich dies immer wieder bei Führungskräften erlebe: Da wird ein neues Projekt, werden neue Ergebnisforderungen von oben in kleine Aufgabenhäppchen geteilt, an die Mitarbeiter verteilt und mit jeweils einem hübschen „Rahmen“ versehen. Nein, das meine ich nicht! Im Relationalen Ansatz gibt es diese Teilungs- und Verteilungsfunktion der Führungskraft nicht, sondern jedes Thema wird durchgängig dort positioniert, wo der Verantwortliche sitzt – „zur ungeteilten Hand“, wenn wir es so formulieren wollen.

IM BRENNPUNKT

Innovation kann meiner Erfahrung nach überall dort entstehen,
wo es eine klare Begrenzung hinsichtlich einer Qualität gibt.  

Und für diese Gesamtverantwortung des Einzelnen gibt es einen Rahmen – am besten eine einzige oder vielleicht zwei bis drei KPIs, in der alle laufend geforderte Qualität und Quantität schon vereint sind.

3.1.2. Laufende Ergebnisprüfung / Konzeptoptimierung

Ich gehe fest davon aus, dass die Einarbeitungszeit heute gegen null gehen sollte, sprich: dass Mitarbeiter vom ersten Monat weg die geforderten Ergebnisse erbringen – außer sie sind Trainees oder Lehrlinge, wo mehr mit Neuem experimentiert und Erfahrungen gesammelt werden dürfen – aber selbst dort setze ich immer eine Ergebnisverantwortung mit Konzeptüberprüfung und Ergebnisoptimierung, um einen klaren Fortschritt möglich und sichtbar zu machen. Der Trainee „arbeitet“ dann nicht einfach, sondern er erzielt Ergebnisse und erbringt damit wichtige Beiträge für das Unternehmen, was ihn stolz machen darf – und die erfolgreiche Erzielung von Ergebnissen zieht wieder den Fokus auf Automatisierung nach sich (siehe nächster Punkt), was wiederum zeitlichen Freiraum und die Aussicht auf neue Challenges schafft.

Die erste Ergebnisprüfung findet bereits am Ende jenes Monats statt, in dem die Ergebnisvorgabe dem Mitarbeiter angeboten und von diesem angenommen wurde. Das mag im ersten Moment seltsamerscheinen – meine Erfahrung allerdings ist: Echtes „Verständnis“ und eine nachhaltige Veränderungdes Tuns, (also Lernen nach Gregory Bateson, Bateson, 1972) entsteht erst im „Moment of truth“– dann wenn das Ergebnis tatsächlich eingefordert wird. Erst dann wird dem Mitarbeiter einerseits klar, „Aha, DAS will er von mir“ (im Unterschied zu dem, was er gebracht hat), und „Aha, er will es WIRKLICH von mir“ (ich werde ihn also in Zukunft ernst nehmen müssen). Damit sichert die erste Ergebnisabfrage meiner Erfahrung nach, dass überhaupt jemals eine Ergebniserzielung stattfinden kann, und sollte deshalb so früh wie möglich erfolgen. Dabei ist es am Vorgesetzten, die Ergebnisprüfung terminlich anzusetzen, und am Mitarbeiter, nachzuweisen, dass die Ergebnisse erbracht wurden.

– Es versteht sich von selbst, dass es keinerlei Ausrede gibt, das Ergebnis nicht zu erbringen –schließlich ist das Ergebnis ja notwendig, um sich den Mitarbeiter leisten zu können, um ihn monatlichzahlen zu können. Ich glaube kaum, dass jemand Zugeständnisse der Art machen kann, mehrauszugeben, als einzunehmen. Das ist nicht nur langfristig, sondern auch kurzfristig fatal und wirwürden uns im Privatleben darauf nie einlassen. Warum sollten wir es dann beruflich tun? Die Ideedes „Einsatzes vor dem Ertrag“ („Es rechnet sich im Moment noch nicht – aber irgendwann wird essich schon rechnen“) halte ich in heutigen Zeiten für äußerst gefährlich, wenn nicht echtes Risikokapital im Spiel ist.

– Es versteht sich aber auch von selbst, dass der Mitarbeiter jegliche Möglichkeit hat, seinen Wegder Ergebniserreichung – die Definition dafür notwendiger Aufgaben, Projekte, Konzepte und deren Umsetzung – komplett selbst zu bestimmen.

Da gibt es keinen Vorgesetzten, der ihm heute diese, morgen jene Aufgabe gibt, Meetings vorschreibt, ihn auf Dienstreisen „schickt“, ihn „beschäftigt“. Ich erlebe immer wieder Vorgesetzte, welche die Ergebniserzielung gerne „on top“ fordern – „on top“ dessen, dass sie die Mitarbeiter voll beschäftigen. Das kann meines Erachtens nicht funktionieren! Mit „komplett selbst Bestimmen“ des Mitarbeiters meine ich übrigens nicht, dass der Mitarbeiter einfach alles „hingeschmissen“ bekommt. Nein, er wird sorgfältig und liebevoll begleitet vom Vorgesetzten – aber nicht im Konzept des Vorgesetzten, sondern im Konzept des Mitarbeiters. Und hier kommt erstmals Coaching ins Spiel, wie wir später noch sehen werden.

3.2. Der organisationale Kreislauf

Vergleichbar mit dem Leadership-Kreislauf auf individueller Ebene kann auf organisationaler Ebene– getrieben durch die Unternehmensleitung – ebenfalls ein sinnvoller Innovationskreislauf stattfinden:

Immer entlang dem hier sehr ernst gemeinten: „Still confused – but on a higher level“. Warum? Weil meiner Erfahrung nach nur dann Innovation stattfindet, wenn „Confusion“ im Unternehmen herrscht, wenn eben gerade unklar ist, wie es anders, besser, schöner, einfacher, sinnvoller, lustvoller etc. geht. Aus dieser Unklarheit heraus entsteht erst gerade der Antrieb, etwas anderes zu fordern, oder anders formuliert: Ja, die Unternehmensleitung ist hart gefragt, ab sofort nicht mehr Fragen zu stellen, die das „Wie geht es noch schneller?“ oder „Wie geht noch mehr?“ betreffen – denn das wird erst in der Umsetzung gefragt. Vielmehr identifiziert sie das Unmögliche, das dem Unternehmen in dieser Phase gelingen soll – eine Fragestellung, auf die es eben noch keine Antwort gibt (und schon gar nicht die, einfach schneller zu laufen, denn diese führt nicht in Richtung Innovation, sondern vielmehr schnurgerade in Richtung Burnout).

Die Handlungsfreiheit, welche die Unternehmensleitung ihren strategischen Bereichen verschafft, uminnerhalb dieser zentralen (neuen und unbeantworteten) Fragestellung ein passendes Optimalbild zuentwickeln und dann darin Automatisierung durch die weitere Freiraumschaffung zu erzeugen, halteich für essenziell im Kreislauf des Entstehens von Innovation – und genau in diesem Punkt weichenmeiner Erfahrung nach innovative Unternehmen zentral von mechanistischen Unternehmen ab, indenen blöde jedes Jahr von der Unternehmensleitung „+ 10%“ (Gewinn, EGT, Umsatz, was auch immer) vorgegeben werden (und die sich dann immer wieder wundern, dass die Mitarbeiter nicht mehrdenken, sondern nur stupide schneller rennen, und selbst dieses „schneller Rennen“ wird noch perfidenachgeprüft und „controlled“.

Darf die Unternehmensleitung im organisationalen Kreislauf inhaltlich „mitmischen“? Ja, natürlich darf sie das – und sie ist von mir auch explizit aufgefordert dazu, wenn dies in einem „gemeinsamen Spinnen“ zwischen den Mitgliedern der Unternehmensleitung oder in einem one-to-one-Gespräch zwischen der Unternehmensleitung und einzelnen Bereichsverantwortlichen auf strategischer Ebene passiert. Wie sonst kann die Unternehmensleitung ihrer Verantwortung gerecht werden, einen inhaltlichen Unterschied zu anderen potenziellen Anwärtern für diese Position zu schaffen? Wie sonst kann sie ein Bild vom verantworteten Unternehmen erzeugen, das mit all den viel bewunderten Unternehmen (Apple, Microsoft, Red Bull etc.) vergleichbar, wenn auch einzigartig unvergleichbar ist? (Und: Was ist in der Verantwortung als Innovationstreiber für das eigene Unternehmen, meinen Sie, der Unterschied zwischen Ihnen aktuell in der Unternehmensleitung und einem Steve Jobs?).

 

IM BRENNPUNKT

Selbstläufer, die nicht ein Mehr an zeitlichem
Freiraum schaffen, sind meines Erachtens keine

sinnvollen Selbstläufer.

 

Aber nicht nur in der Unternehmensinnovation (übrigens: Ich schreibe hier bewusst Unternehmen, weil es mir um das Tun, um das „Unternehmen“ in der Organisation geht; aber das Gesagte gilt meiner langjährigen Erfahrung nach 1 : 1 auch für Nonprofit-Organisationen wie natürlich auch für Verwaltungen – das würde selbst die finanzielle Länderproblematik auf EU-Ebene lösen…) kann die Unternehmensleitung aktiv sein, sie ist natürlich auch selbst jeden Tag gefordert, für sich selbst, für das persönliche Tun, noch bis dato unbeantwortete Fragestellungen zu entwerfen und konsequent ihren persönlichen Kreislauf der Innovation neben dem Unternehmenskreislauf zu gehen …

4. Der typische Einwand: „…und das war schon alles?“

Als ich das Relationale Innovationsmodell erstmals bei der IRBW Frühjahrsinspiration 2013 vorstellte, kam der (schon erwartete, weil typische) Einwand: „Und das war schon alles? Das funktioniert ja bei „richtigen“ Innovationen gar nicht, da spielen sich die Dinge doch ganz anders ab – oder zumindest würde ich mir das erwarten…“

Es mag schon sein, dass Sie beim Lesen des Artikels ein wenig enttäuscht sind ob des geradlinigen Pragmatismus, den ich hier an den Tag lege. Die „großen“ Themen, die unsere Innovationsphantasien regelmäßig beflügeln, wenn wir das Thema näher betrachten, scheinen hier gar nicht behandelt. Dassehe ich aber – ähnlich wie einer der Teilnehmer bei der Relationalen Frühjahrsinspiration, der sichgleich in der Pause zum Statement zuvor meldete – gar nicht so. Lassen Sie uns dazu ein paar Welt bewegende Innovationen näher betrachten, wie z.B. das i phone. Dieses Kultobjekt ist aus dem Macbook entstanden, weil der Gründer von Apple, Steve Jobs, die funktionierenden „Schiebeprozesse“ vom Macbook auch auf das iphone übertragen wollte. Es handelte sich dabei um eine schnöde Replizierung von erfolgreichen Eigenschaften eines Produkts, die auf ein gänzlich anderes Medium übertragen wurden. Und auf ähnliche Art und Weise wurde auch mit Swatch vor vielen Jahren eine Uhr gestaltet, die mit bestimmten „neuen“ Eigenschaften ausgestattet war – das erfolgreiche Konzept „Uhr“ wurde angewendet auf ein Produkt, das sich am besten mit „trendiges buntes Accessoire“ beschreiben lässt.

Fast immer kommen wir mit dem Ziel der Vereinfachung und der Schaffung von Freiraum bzw. weniger Aufwand über eine Replizierung bzw. Variation funktionierender Prozesse und/oder Gestaltungsmöglichkeiten zum Ziel einer Innovation – innerhalb eines klaren Rahmens, der meist sogar Ressourcenknappheit beinhaltet.

SERVICE


Literatur
Radatz, S. (2001): Beratung ohne Ratschlag. Wien: 2001.
Radatz, S. (2009): Veränderung verändern. Das Relationale
Veränderungsmanagement. Wien: 2009.
Radatz, S. (2010): Wie Organisationen das Lernen lernen.Hohengehren: 2010.
Radatz, S. (2011): Juwelen Relationaler Unternehmensführung,

in: LO Lernende Organisation Nr. 64 – November/Dezember 2011.

 

Weiterführende Homepage

www.irbw.net | E-Mail: s.radatz@irbw.net  

 

Quelle: „Lernende Organisation“ | September / Oktober 2013 Nr. 75 | ISSN 1609-1248
Foto: Foto: Erich Westendarp | pixelio.de

3.1.3. Schaffung/Sicherung von Selbstläufern

Von Beginn weg lenken wir unseren Fokus darauf, Selbstläufer beim Mitarbeiter und in der Begleitung des Mitarbeiters zu erzielen: Alles, was „automatisiert“ werden kann (z.B. Checklisten, die dann jeden Montag durchgegangen werden, um zu verhindern, dass während der Woche unvorhergesehene Themen aufpoppen), wird automatisiert.

Damit meine ich, dass Schritt für Schritt erreicht wird, dass die Themen „am Mitarbeiter vorbei“, also selbstorganisiert laufen: Wir gehen weg von „Projekten“, die nur einmal laufen und „Aktionen“erfordern, hin zu voraussehbaren Programmen, in die Neues stets gelassen eingefüllt werden kann.

Die Themen „rufen“ nicht mehr nach dem Mitarbeiter, sondern der Mitarbeiter hat sie so organisiert,dass er sie im Griff hat. Was im Endeffekt bedeutet, jedes überraschend entstehende Ereignis zum Anlass zu nehmen, es in den Prozess so zu integrieren, dass es nicht mehr überraschen kann. Das schafft sehr viel Ruhe, Voraussehbarkeit und vor allem zeitlichen Freiraum, der sichert, dass der Mitarbeiter tatsächlich bei der vereinbarten Zahl an Stunden bleibt, aber auch später neue Challenges annehmen kann, weil ja das „Hauptgeschäft“ bereits selbst organisiert (und damit mit viel weniger Arbeit verbunden) läuft.

Damit arbeiten wir gezielt und wirksam an der Vermeidung bzw. am Abbau des „bottle necks“, des berühmten „Flaschenhalses“, der zwei zentrale Gefahren in sich birgt – ein Pulverfass, auf dem Sie täglich sitzen:

1. Ohne den betreffenden Mitarbeiter geht gar nichts – denn alles „muss über ihn gehen“, und bezüglich allem „muss“ er täglich neu entscheiden, ob und wie es weiter gehen soll. Da er alle Themen entgegen nimmt und täglich neu „kanalisiert“, ist er nicht ersetzbar – das wird Ihnen spätestens im Urlaub des Mitarbeiters schmerzlich bewusst.

2. Der Mitarbeiter hat seine Prozessabläufe, seine Entscheidungsgrundlagen, seine Qualitätskriterien,seine Vorgangsweisen (nur und ausschließlich) in seinem Kopf – was bedeutet: Wenn er aus Ihrem Team ausscheidet, stehen Sie vor dem Nichts. Darin besteht meines Erachtens das großeProblem der „fehlenden Lernenden Organisation“, von dem mir jeden Tag berichtet wird.

Ich glaube tatsächlich, dass es einen immensen Zeit- und Stressunterschied macht, ob wir den „Ladentäglich neu erfinden“, oder geordnet unsere Selbstläufer organisieren – nicht nur im eigenen Bereich,sondern auch an den Schnittstellen und damit im gesamten Unternehmen. Wer also als Vorgesetzter jeden Tag genau so viel Stress macht, dass keine Selbstläufer entstehen können, trägt wirksam zur Erfolglosigkeit des Unternehmens bei. Anders ausgedrückt:

„Rührige Vorgesetzte“ sind meiner Erfahrung nach höchst gefährlich. Und wenn sie dann auch noch beginnen, selbst Hand anzulegen, weil sie „wieder mal Lust auf einen Kunden haben“ oder  „die Mitarbeiter ohnehin genug zu tun haben“, oder sie „das immer noch am besten können“, dann bricht die Struktur zusammen und nichts funktioniert mehr – aber nicht etwa deshalb, weil die Mitarbeiter nicht ordentlich arbeiten würden…

Auch in der Schaffung und Sicherung von Selbstläufern kann der Vorgesetzte hervorragend coachenund permanent dafür sorgen, dass „der Mitarbeiter in Ruhe in Urlaub gehen kann“. Der kleine Nebeneffekt dabei: Es entsteht quasi von selbst die Lernende Organisation, denn das Funktionierender Prozesse ist dann in der Organisation verankert und nicht mehr im Kopf des Mitarbeiters.

3.1.4. Schaffung von zeitlichem Freiraum

Selbstläufer, die nicht ein Mehr an zeitlichem Freiraum schaffen, sind meines Erachtens keine sinnvollen Selbstläufer. Ich schreibe das hier, weil ich vor allem in den letzten Jahren immer häufiger erlebe, dass wir in einer technikverliebten Wonnephase häufig dazu neigen, Riesensysteme aufzustellen, um Mini-Prozesse abzubilden. Ein bisschen Hausverstand, fokussiert auf „sinnvolle Innovation“ täte da manchmal gut, immer entlang der Frage: Schafft das noch den gewünschten zeitlichen Freiraum – und zwar nicht „irgendwann“, sondern ziemlich sofort?

Aus meiner Sicht darf der Ergebnisnachweis des Mitarbeiters nämlich auf einem einfachen Blatt Papier erfolgen, oder sogar erzählt werden; Prozesse können auch händisch aufgezeichnet sein, wenn die händische Skizze alle Beteiligten an den Schnittstellen kennen; Checklisten können handschriftlich sein und kopiert werden …

Aus meiner Sicht darf die Schaffung von Selbstläufern nicht einmal gleich viel Zeit in Anspruch nehmen wie das ungeordnete „Tun“, sondern sollte tatsächlich echte Zeitersparnis bringen, um die Auszeichnung „Innovation“ zu verdienen.

Erst auf diese Weise ermöglichen wir dem Mitarbeiter, den nächsten Entwicklungsschritt zu setzen – indem wir neuen Challenge für ihn gestalten: Eine neue Fragestellung, die ungelöst ist, etwa „Wie schaffen wir es, unser Servicelevel dem Kunden gesichert und jederzeit zur Verfügung zu stellen?“ oder „Welches Produkt bieten wir an, das für den Kunden so einzigartig ist, dass er keinen Vergleich mehr mit etwaigen ,Konkurrenzprodukten‘ hat (und mit dem wir uns so eine hohe Preissetzungsfreiheit schaffen)?“ oder „Wie schaffen wir es, weitere als einzigartig positiv erlebte Unterschiede in unserer internen IT Performance zu erzeugen und zu leben?“. Dies passiert in Form einer neuen Ergebnisvorgabe, in der wieder neue Innovation – Schaffung von zeitlichem Freiraum – möglich und notwendig ist.

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