Wie kommt jemand wie Sie von einer Ausbildung als Maschinenschlosser über ein Philosophiestudium zu so einem kreativen Beruf wie dem Schauspieler?

woman placing sticky notes on wall
Foto von You X Ventures

Ich komme aus einem humanistisch geprägten Elternhaus, in dem man von mir erwartet hat, dass ich Abitur mache und studiere. Dazu war ich nicht angepasst und nicht reif genug. Deshalb dann die Maschinenschlosserlehre. Die Fabrik war für mich aber tödlich, einfach weil ich anders sozialisiert bin. Dann bin ich nach der Fabrik an die Universität und das war für mich genauso tödlich, weil das vom Prinzip her eine ganz ähnliche Verhaltensweise wie in der Fabrik ist – nur auf einer anderen Ebene. Ich habe dann das Glück gehabt den dritten Weg zu finden und das war für mich Theater. Im Theater habe ich letztendlich beide Geschichten finden können, nämlich zu arbeiten und zu reflektieren. Das Arbeiten kam vom Maschinenschlosser – das Scharlatantheater definiert sich ganz wesentlich über Arbeit und wir haben immer gelernt, uns über Anstrengung und Arbeit durchzusetzen. Und das Reflektieren habe ich über mein Philosophiestudium gelernt.

Als Scharlatan wird eine Person bezeichnet, die vorgibt, besonderes Wissen, magische Fähigkeiten oder übernatürliche Gaben zu besitzen – was allerdings nicht so ganz den Tatsachen entspricht. Was hat ihr Theater mit Scharlatanen gemeinsam?

Wir haben den Namen gefunden ohne Programmatik – zufällig. Wir haben dann aber gemerkt, dass der Name deutlich etwas mit dem zu tun hat, was wir machen. Zuerst haben wir ein Programm geboren, in dem wir so getan haben, als ob wir Straßenkehrer wären und die Straße sauber gemacht haben. Durch die Straße liefen Leute und das haben wir thematisiert, indem wir gefragt haben: „Müssen Sie hier durchlaufen, hier wird doch gearbeitet!” Die Passanten haben darauf reagiert und das war eigentlich unser erstes improvisiertes Theaterstück, aus dem wir einen Auftritt gemacht haben. Als wir anfingen mit Unternehmen zusammen zu arbeiten, haben wir diskutiert, ob das überhaupt noch mit dem Namen geht, weil der Name auch negativ belegt ist und eher ins alternative Lager gehört als ins Business. Trotzdem haben wir den Namen beibehalten. Und es war vollkommen richtig, denn der Name ist heute eine Marke und nicht mehr so sehr der Reflex auf den zweiten Sinn.

Was erwarten Unternehmen von Ihnen, wenn sie Sie beauftragen und was sind das hauptsächlich für Unternehmen?

Das ist eine sehr vielschichtige Situation, da wir ganz unterschiedliche Anfrager beziehungsweise Auftraggeber haben. Das fängt an mit Kulturämtern, wenn es um unsere Kulturprogramme geht, Straßentheater und den größeren Spektakeln und geht dann über in kleine, mittelständische und große Unternehmen. Und da muss man dann wieder sehen, welche Abteilung es ist. Für den Eventbereich bucht man bei uns etwas anderes als für den Personalbereich. Wenn Sie eine Projektgruppe haben, die gerade mit einer Umstrukturierung oder neuem Managementansatz beschäftigt ist, haben sie wieder eine andere Situation im Sinne von Zusammenarbeit. Aber immer wenn wir gebucht werden, wird unmittelbar Komik gewollt. Und das muss man sich so vorstellen: Unsere Trainer, die in der Regel auch Schauspieler von uns sind, können in einer Trainingssituation oder einer Schulung eine andere Situation herstellen – eine lockere, eine entspannte Atmosphäre -, weil in so einer Trainingssituation auch gelacht wird. In unserem Humor und in unserer Komik sind wir immer grenzgängerisch. Wir tasten immer ab wie weit können wir gehen und sind bei unserer Arbeit sehr ironisch. Um Ironie zuzulassen, muss man sehr souverän sein. Es gibt natürlich auch Unternehmen, die das nicht wollen.

Was verändern Sie dabei konkret in Unternehmen?

Fangen wir einmal beim Einfachsten an – dem Event. Wir sind eine Gruppe, die in Veranstaltungen hineingeht und sagt, wir wollen die Veranstaltung verändern in dem Sinne, dass plötzlich eine etwas anspruchsvollere Unterhaltung läuft. Wenn wir zum Beispiel unser Kellnerprogramm nehmen, bei dem wir als Kellner auftreten, sieht man: Wir sind keine Animateure. Wir grenzen uns ganz klar zu flachen, animativen Spielen ab. Wenn unsere Kellner auftreten, ist der Gast als aktiver Part gefordert und er misst sich mit uns in Sprache. Es entstehen Sprachspiele, Stehgreifspiele und in dieser Situation verändern wir ein normales Essen in ein Erlebnis. Bei der Personalentwicklung läuft das wiederum anders ab. Zum Beispiel: Jedes Pharmaunternehmen hat seine Referenten – das sind die Vertriebsmitarbeiter. Diese Referenten haben immer je nach Unternehmen und je nach Produkt unterschiedliche Vertriebsstrategien. Es gibt das beratende Verkaufsgespräch beim Arzt, bei dem der pharmakologische Fachmann mit einem entsprechend studierten Hintergrund das Gespräch mit dem Arzt sucht, um in der Sache zu überzeugen. Demgegenüber steht die Druckbetankung, das ist eine Vertriebsstrategie, die bei Pharmareferenten oft sehr unbeliebt ist. Druckbetankung heißt, nicht das differenzierte medizinische Gespräch suchen, sondern viermal oder fünfmal im Jahr beim Arzt auftauchen und einfach noch einmal an das Präparat erinnern. Wir arbeiten mit einem mittelständischen Pharmaunternehmen zusammen, das aus dem fundierten Arztgespräch in die Druckbetankung wechselte. Das war bei den Pharmareferenten sehr unbeliebt, hat Ängste ausgelöst und diesen Paradigmenwechsel haben wir durchgeführt. Wir haben den Wechsel vorbereitet, indem wir erst einmal bekannt gemacht haben, dass das geplant ist – das haben wir mit einem Theaterstück gemacht, das positiv angesetzt hat durch Komik. Und dann sind wir in Mallorca drei Tage mit diesen Referenten unterwegs gewesen, um Verhaltensweisen einzustudieren und auszuprobieren, die sie positiv besetzen und dann am Abend auch durchsetzen konnten. Und das hatte zur Folge, dass diese Veränderung des Arztgespräches sehr erfolgreich war.

Sie werden also häufig mit Widerständen konfrontiert?

Eigentlich ist jede Veränderung mit Widerständen verbunden, das ist ja gerade das Witzige. Wir sind mit großen, weltweit agierenden Unternehmensberatungen unterwegs. Die setzen uns ein, wenn sie mit ihren Beratungsformen nicht mehr weiterkommen. Und dann gehen wir in so eine Situation, analysieren erst einmal, was haben die bisher gemacht und woran scheitern die und dann kommen sie immer wieder an die gleiche Stelle: Die leiten ihre Veränderungsprozesse überhaupt nicht menschlich ein. „Alles Neue schreckt den Menschen” – das ist ein Zitat von Schiller. Das heißt, dass in dem Moment, in dem sie in eine Struktur hineinwollen, die menschlich geprägt ist, und dort etwas verändern wollen, lösen sie ganz primäre menschliche Reize aus. Wenn sie das nicht berücksichtigen, dann können Sie in dem, was Sie da wollen, scheitern. Das vermeiden wir dadurch, dass wir Themen positiv besetzen, indem gelacht wird. Lachen ist etwas, was sehr, sehr ehrlich ist, das kann man nicht manipulieren und es ist etwas, was unmittelbar emotional ist. Und wenn sie Lachen erzeugen, dann entspannt sich der Mensch auf einer ganz bestimmten Ebene. Sie können dann mit ihm über Veränderungsprozesse und schwierige Inhalte ganz anders reden.

Wie die Menschen zum Lachen gebracht werden können, ist aber doch von Person zu Person zu verschieden. Wie bereiten Sie sich denn auf Ihre Aufträge vor?

Wir gehen sehr tief in die Recherche, das heißt also wir führen persönliche Interviews mit Betroffenen. Wir sind dabei horizontal und vertikal, das heißt also, sowohl die Führungsebene als auch die unmittelbar Betroffenen werden von uns interviewt. Deswegen wissen wir um Akzeptanz und Widerstände. Wir wissen, wo es Widerstände gibt, die von Meinungsmachern erzeugt werden, aber nicht aus der Sache heraus entstehen. Wir wissen letztendlich auch wie die Motivation der Mitarbeiter zu dieser Themenstellung ist. Deshalb können wir den Hebel auch da ansetzen, wo sich die Zuschauer befinden.

Müssen die Beteiligten aus den Unternehmen bei solchen Veranstaltungen auch selbst kreativ werden?

Können. Wir haben ganz unterschiedliche Formate, wie wir das nennen, ausgebildet. Das ist zunächst das reine Zuschauen. Dann das aktiv in ein Theaterstück Eingreifen, das sich bei uns Forentheater nennt. Wir stellen dabei eine Themenstellung vor und anschließend wird das Stück noch einmal gespielt, wobei die Zuschauer nun aktiv eingreifen und das Stück verändern können. So entsteht eine neue Sichtweise und es wird eine alternative Verhaltensweise vorgespielt. Außerdem gibt es bei uns auch Maßnahmen und Workshops, die ganztägig laufen. Ein Team oder mehrere Teams parallel kriegen ein Thema und die Möglichkeiten einen kleinen Sketch einzustudieren und abends wird sich das dann gegenseitig vorgespielt. Eine Besonderheit von uns ist, dass wir Teams bauen, die unterschiedliche Tätigkeiten bekommen, so dass derjenige, der keine Lust hat zu spielen nicht unbedingt in diese Situation hineingezwungen wird. Das ist übrigens einer der größten Widerstände, wenn sie jemand, der nicht spielen möchte, zum Spielen bringen.

Sie sprechen von der Bereitschaft zu spielen. Ist das das Gleiche wie Kreativität? Was ist Kreativität für Sie?

Spielen heißt ja einfach nur, sich verhalten. Wenn wir jetzt ein Theaterspiel nehmen, dann heißt das, dass ich mich ein Stück von mir weg bewege und so tue als ob ich jemand anderes bin. Das ist diese Form von Spielen. Kreativität ist dagegen ein unglaublich schwieriger Begriff, weil er sich umso stärker auflöst, je mehr sie ihn differenzieren. Eine Kunsthochschule meint etwas absolut Anderes mit Kreativität als ein Kindergarten. Wenn sie in eine Anstalt für Behinderte hineingehen und die Behinderten kreativ sein sollen, ist es wieder etwas ganz anderes. Und deswegen tue ich mich selber ganz schwer damit zu sagen, wir fordern Kreativität oder wir lösen Kreativität aus oder wir unterstützen den Mitarbeiter in Kreativität. Kreativität ist ein Wunderwort wie das Wort „Emotionalisieren” oder das Schlagwort „emotionale Intelligenz” und was es da noch alles Wunderschönes gibt. Wenn sie unsere Prozesse nehmen, da gehen Menschen aus Normen heraus. Sie lernen das Spielen neu für sich zu entdecken, was ja bei Erwachsenen oft sehr stark verschüttet ist. Und das übersetzt der eine oder andere Trainer oder Theoretiker mit Kreativität. Ich sage nur: Wir stoßen an und wir geben Menschen Möglichkeiten, sich anders zu bewegen – sowohl körperlich als auch im Kopf.

Was müssen Sie bei dabei mit älteren Menschen anders machen als mit jüngeren?

Was das Scharlatan-Theater ausmacht ist eine hohe Authentizität. Das heißt, unsere Mitarbeiter kommen nicht aus Schauspielschulen und haben über Methoden spielen gelernt, sondern haben das innerhalb unseres Unternehmens gelernt. Sie haben also eine ganz andere Erfahrung mit Schauspielen und das können sie in Kurse legen. Das, was wir als Resonanz bekommen, ist eigentlich unisono, dass wir es verstehen, die Menschen dort abholen, wo sie sich befinden. Auch das ist letztendlich so ein modernes Schlagwort. Ich benutze dafür selbst auch gerne den Begriff der Augenhöhe. Älteren Menschen bergen unendliche Erfahrung in sich und große Geschlossenheit. Und die zu öffnen – das ist eigentlich die Arbeit mit Erwachsenen oder älteren Menschen.

Was bleibt denn von den Prozessen, die Sie in Unternehmen anstoßen?

Was hoch anzusetzen ist, ist die Wiedererkennung. In dem Moment, in dem wir intensiv einen Auftritt in Unternehmen gehabt haben, erinnert man sich auch noch nach drei oder fünf Jahren daran. Wir verankern woanders als andere Veranstaltungen und je kontinuierlicher wir mit Menschen arbeiten können, desto stärker ist die Veränderung und auch das Erinnern an Veränderung. Das ist aber auch immer wieder ein gleiche Problem, von dem wir glücklicherweise inzwischen auch ein Stück weit weg sind: Unternehmenstheater wird sehr gern als einmaliger Akt gewählt, als etwas Besonderes und kleines Highlight. Wir gehen dagegen in unseren Beratungsgesprächen immer stärker dahin zu empfehlen, dass man uns nicht für einen Höhepunkt nimmt, sondern als Auslöser für eine Kontinuität, die eben sehr wohl vom Theater geleitet werden kann.

Was lieben und was hassen Sie an Ihrem Beruf?

Was ich hasse ist, wenn wir uns mit Menschen beschäftigen müssen, die unsere Qualität nicht erkennen. Wenn ich zum Beispiel mit Eventagenturen zusammenarbeiten muss, die durch Zufall für sich die Möglichkeit erkannt haben, Veranstaltungen durchzuführen und dabei nicht solide arbeiten. Lieben tue ich, dass ich seit 25 Jahren das machen kann, was ich gerne mache: komisch sein.

Interview: Stefanie Hornung