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Foto von Headway
"Allerorten hört man Klagen über Hauptschüler: zu faul, zu schwach und überhaupt unsozial. Diesen Leuten sage ich: was tragt ihr dazu bei, um das zu ändern? Jammern löst nichts. Jugendliche hören oft: 'Tu dies, tu das'. Jedoch hängt die Entwicklung eines jungen Menschen erheblich davon ab, dass jemand auch etwas für ihn tut, nämlich mit ihm arbeiten sich selbst erproben darf. Weil wir uns dies bei Trumpf bewusst machen und umsetzen, finden wir einen Zugang zu den Schülern.

Wir begannen den Dialog mit Hauptschulen in 2005. Diese sind übrigens entgegen landläufiger Meinung sehr engagiert. Wir erleben Lehrer mit hohem Berufsethos, die in Überstunden mit uns offen brainstormen und planen, weil sie eine reale Chance für ihre Jugendlichen erkennen. Im Laufe der Zeit haben sich hier starke Partnerschaften entwickelt, in denen beide Seiten voneinander lernen. Wir wurden einmal gefragt, ob sich Lehrer an unserem Erfolg stoßen. Das ist nicht der Fall, denn ihr Betrieb und ihre Methoden sind nicht mit unseren Möglichkeiten vergleichbar. Die Schüler lernen bei Trumpf an einem ganz anderen Ort mit anderen Mitteln. Schule und Betrieb ergänzen sich daher.

Konkret holen wir ein halbes Jahr lang an einem Tag in der Woche 8. Klassen für Werkstattprojekte zu uns, um ihnen zu zeigen, wofür sie lernen und um sie für die Berufsorientierung zu aktivieren. Sie lernen, vernetzt zu denken und zu handeln, stressresistenter zu werden und kreativ zu sein. Dazu kommen Training von Kommunikationskompetenz und Durchhaltevermögen. Ihre Schreib- und Rechenfähigkeiten sind zunächst nicht wichtig. Vielmehr bemühen wir uns, die Schüler individuell abzuholen. Ist das gesichert, bauen sie zügig Kompetenzen auf.

Viel schwerer ist es hingegen, die Selbstwahrnehmung zu verändern, die Hauptschüler sich manchmal konstruieren. Sie lautet oft: 'Ich bin ungeliebt, weil ich als dumm angesehen werde. Ich schäme mich und bin doch wütend. Nichts reicht, was ich tue. Deswegen mache ich definitiv nicht mehr mit'. Diese Haltung drückt sich aus in einer geringen Frustrationstoleranz, aber auch Unpünktlichkeit und mangelnder Teamfähigkeit. Wir setzen an diesen Punkten an und fordern konsequent ein zielorientierteres Verhalten ein. Die Jugendlichen sollen Punkt 7:00 Uhr da sein und sich mit konkreten Aufgaben beschäftigen - mal allein, mal im Team. Diese sind an pädagogischen Zielen ausgerichtet, welche fachliche und soziale Kompetenz der Schüler betreffen.

Viele Jugendliche sind verunsichert, weil ihnen sinnvolle Vorbilder im Alltag fehlen, die ihnen Orientierung im Leben geben könnten. In vielen Haushalten ist es der Fernseher, der ihnen Sozialmodelle liefert. Die Soap 'Gute Zeiten, schlechte Zeiten' ist wohl kaum geeignet, um jungen Menschen Vorbilder zu liefern. Wir hingegen überlegen uns sehr genau, welche Kompetenzen wir mit welcher Aufgabe und welchem Schülertyp fördern können. Wir bieten ihnen zum Beispiel konkrete Verhaltensmaximen an: Denk immer daran - viele Wege führen zum Ziel. Schau Dir an, wie andere das machen. Sei hilfsbereit, dann bekommst auch Du Hilfe, und so weiter. Wir arbeiten mit drei Prinzipien an der Werthaltung der Schüler: konkrete Aufgaben, Vermittlung unternehmerischen Denkens und Einfordern von Ergebnisverantwortung. Es ist dabei ganz wichtig, sie selbst Lösungen finden zu lassen. In den Schulen haben sie oft das Gefühl, dass es nur eine vom Lehrer vorgegeben Lösung gibt, die sie ständig verfehlen, weswegen sie sich ohnmächtig fühlen. Wenn sie aber eigene Lösungen zum Beispiel in der Pneumatik oder Elektronik umsetzen können, ihre Leistung also an der Lösung eines Problems gemessen wird , dann fangen sie an, sich zu vertrauen. Die Jugendlichen orientieren sich schnell den Rahmenbedingungen und den beobachtbaren Modellen, denn sie spüren, dass wir wirklich an ihnen interessiert sind und sie nicht einfach irgend eine Maßnahme absolvieren müssen.

Positiv wirkt in unseren Projekten außerdem die Gruppendynamik. Wenn die meisten Schüler mitmachen, lassen sich auch eher lustlose Schulkameraden auf das Projekt ein. Durch unsere Vorgehensweise fordern wir das Wollen der Schüler heraus. Ist dies einmal gegeben, machen sie ganz bemerkenswerte Fortschritte. Was nicht bedeutet, dass immer alles reibungslos verläuft. Ich erinnere mich an einen Jungen mit Migrationshintergrund, der sich oft verspätete und sehr unordentlich gekleidet war. Wir baten ihn zum Gespräch und gaben ihm ein Feedback zu unserem Eindruck, verbunden mit der Frage nach seinen Lebenszielen. Er schilderte, dass er einmal ein großes Auto fahren wolle. Wir gaben ihm zurück: 'Dies bedeutet aber, einen ordentlichen Job und ein Auskommen zu haben, einen ordentlichen Anzug zu tragen.'. Da stand er am nächsten Tag ordentlich angezogen um 7:00 Uhr in der Tür.

Wir werden oft gefragt, warum wir uns diese Mühe machen. Immerhin investieren unsere Mitarbeiter, die im Projekt arbeiten, 20% ihrer Zeit in die Betreuung. Ich meine aber, dass dies nötig ist, da Stuttgart den demografischen Wandel empfindlich spürt. Wir können es uns nicht leisten, Hauptschüler zu vernachlässigen angesichts dessen, was auf uns zukommt. Es wurde in den Unternehmen viel geredet in den vergangenen Jahren, nun ist es Zeit zu handeln. Wir können andere Firmen zum Dialog mit Hauptschulen nur ermuntern, denn unsere Erfahrungen sind ausgesprochen positiv."

Ablauf 1. Halbjahr „Lernen 360°“:

  1. Durchdringen:
    • Erste Unterrichtseinheit: Computer- spiel Crazy Machines am PC
    • Aufgabenstellungen werden im Computerspiel gelöst
  2. Arbeitsauftrag:
    • Schüler erhalten einen Arbeits- auftrag wie bei Crazy Machines, am Ende muss zum Beispiel die Kerze aus sein – egal wie
  3. Ideenworkshop:
    • Ideensammlung für die verschiedenen Module
  4. Planung:
    • Technische Zeichnung anfertigen
    • Stückliste erstellen
    • Materialbeschaffung
  5. Umsetzung:
    • Herstellung einzelner Bauteile und Module
    • Montage der Module zu einer funktionsfähigen Kettenreaktionsmaschine
  6. Präsentation:
    • Abschlusspräsentation vor Eltern, Lehrern, Firmenvertretern und Mitschülern