Organizational Burnout

group of people having a meeting
Foto von Mario Gogh

Das versteckte Phänomen ausgebrannter Organisationen

Von Gustav Greve

Gabler Verlag,

Wiesbaden 2010,

281 Seiten, gebunden

Preis: 34,95 Euro

Wer kennt nicht die schleichende Abnahme vonMotivation, Engagement, Loyalität und Gemeinsamkeit in Unternehmen? Besonders krass ist das zu beobachten bei Organisationen, die lange Zeit von Pioniergeist und Innovationskultur geprägt waren und aus unerklärlich erscheinenden Gründen – oft auch uneingestanden – abdriften in Routine, misstrauisches Besitzstanddenken, erstickende Bürokratie.

Der Autor geht von der bekannten medizinischen Indikation des individuellen Burnout und seiner Symptome und Ursachen aus. Bekannt, denn rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung geht wegen psychischer Probleme zum Arzt oder Psychotherapeuten. Das häufig zugrunde liegende Burnout-Syndrom läuft in erkennbaren Stadien vom Zwang, sich zu beweisen, über Werteverfall und Verdrängung bis zur Erschöpfung ab. Die Ursachen lassen sich diagnostizieren und Therapien sind bekannt. Dass aber Organisationen einen ähnlichen Weggehen können – übrigens ohne, dass die einzelnen Organisationsmitglieder persönlich einen Burnout erleben – ist eine frappierende neue Entdeckung. Neu, aber vom Autor anhand vieler realer Unternehmensbeispiele mit der OBO-Brille durchschaut (OBO = Organizational Burnout). Ein weißer Fleck jedoch auf der Wissenschaftslandkarte, wie das intensive Quellenstudium des Autors zeigt. Mit geradezu psychoanalytischer Stringenz führt er uns in seinen Unternehmensbeispielen durch die Ursachenforschung und stellt fest, dass Alter, Größe und Marktnähe des sozialen Systems „Organisation“ dessen Empfänglichkeit für den Virus OBO bestimmen: Prädestiniert sind Organisationen, die älter als 25 Jahre sind, mehr als 100 Beschäftigte haben und keinen engen Kontakt zu den Leistungsempfängern mehr aufweisen.

Bei ihnen treten typischerweise mehrere Faktoren sukzessiv oder gleichzeitig auf: Unsicherheit über Marktakzeptanz, kundenferne Qualitätsvorstellungen, unrealistische Leistungsvorgaben, Werte- und Sinnverfremdung, Zunahme der Fluktuation, Isolation der Führungsebene, Vertrauensverlust und Angst.

Warum das alles? Greve stellt anhand seiner Fallstudien fest: Erfolgsarroganz macht blind, Marktveränderungen werden nicht rechtzeitig erkannt oder missverstanden, Misserfolgen wird mit falschen Maßnahmen begegnet, als Ausweg aus der Kostenklemme wird Fusionieren angesehen (obwohl nahezu alle bekannten Fusionen die Probleme eher verstärkt haben), die Unternehmenskultur wird unterbelichtet. Die Symptome des fortschreitenden OBO lassen nicht auf sich warten, insbesondere die abnehmende emotionale Bindung der Mitarbeiter, die Unglaubwürdigkeit der Führungskräfte, die Auflösung von Teamsynergien zugunsten von Partikularinteressen.

Der Autor liefert ein Diagnoseinstrument von Frühindikatoren, mit dem man die Burnout-Phase einer Organisation (latent, akut, chronisch,letal) erkennen kann. Dazu gehören Testfragen, mit denen die Reaktion auf ausbleibenden Markterfolg, die schleichende Abnahme der Produktivität, Energie- und Zeitverluste durchzunehmende interne Anforderungen, unerklärliche Ressourcenengpässe, die Verunsicherung der Mitarbeiter und ihr zunehmender Zynismus gegenüber Kollegen und Firma, die Abnahme des persönlichen Engagements, der Mangel an Innovationsbereitschaft und die Fluktuationsursachen ermittelt und bewertet werden können.

Diese Erscheinungen sind häufig begleitet von einer diffusen Sehnsucht nach dem „Big Bang“ eines Neubeginns, für den sich aber die Führung als zu kraftlos erweist, die ihr Heil häufig in komplexer Überorganisation und in Härte der Personalführung sucht.

Greve warnt davor, sich nach der Diagnose und der damit bewirkten Selbsterkenntnis in eine Eigentherapie zu stürzen, um kurzfristig Erfolge zu erzielen, indem man die Symptome kurieren will. Stattdessen stellt er einen Therapieansatz vor, der die Ursachen des Organizational Burnout angeht und hier einen Rehabilitationsprozess einleitet. Dieser Ansatz basiert auf sechs Stoßrichtungen: umfassende, ehrliche Kommunikation, Reflexion und Argumentation, Vertrauensbereitschaft und -würdigkeit der Führung, Zielklarheit der Strategie, Konzentration auf Wertschöpfung, Anstreben einer Balance aus organisatorischer Kontinuität und Dynamisierung sowie Einbeziehung aller Mitarbeiter in den Rehabilitationsprozess. Hinter diesen Richtungsangaben liefert der Autor eingehende praktische Gedanken und Handlungshinweise, um die Therapie erfolgreich umzusetzen, ohne sich dem Tropf externer Beratung auszuliefern, und das Unternehmen gegen einen Rückfall zu feien.

Das Buch macht denen Mut und gibt ihnen eine Vision der Umkehr, deren Unternehmen sich in dem schleichenden Prozess des Organizational Burnout befindet und die bisher innere Ratlosigkeit verspürten, warum das Führen so schwer geworden ist.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 01/11