Kurzfristiger Personalbedarf

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Foto von Patrick Perkins

Die Daten der „Recruiting Trends 2008“ bestätigen erneut die 2006 erstmals wahrgenommene positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Deutsche Unternehmen blicken noch optimistischer in die Zukunft. Sahen für 2007 noch fast 28 Prozent keinen Bedarf an neuen Mitarbeitern, fiel dieser Anteil für 2008 um mehr als die Hälfte auf elf Prozent. Gestiegen ist im Gegenzug der Anteil derjenigen Firmen, die im relativ großen Stil nach neuen Arbeitskräften suchen: Im neuen Jahr erwarten ungefähr 38 Prozent der befragten Unternehmen mehr als 100 Vakanzen. 2007 waren dies noch rund 17 Prozentpunkte weniger, nämlich nur knapp 22 Prozent der Unternehmen. Insgesamt wollen neun von zehn Unternehmen im kommenden Jahr neue Mitarbeiter einstellen. In Bezug auf die Gesamtzahl der Beschäftigten heißt das, dass 59 Prozent der befragten Firmen Ende 2008 mehr Mitarbeiter beschäftigen wollen als noch zu Jahresbeginn. (Abb. 1)

Abb. 1: Geplante Neueinstellungen der Top-1.000-Unternehmen für 2008

Der wachsende Optimismus der Unternehmen hat für die Personalabteilungen aber auch eine Kehrseite: In vielen Bereichen bleibt die Knappheit an qualifizierten Bewerbern ein drängendes Problem. Das 1998 von der Unternehmensberatung McKinsey aufgebrachte Schlagwort „War for Talent“ hat wieder Einzug in den Sprachgebrauch deutscher Personalabteilungen gehalten.

Gerade in Zeiten eines verschärften Wettbewerbs um hochqualifizierte Fachkräfte auf dem nationalen Arbeitsmarkt gewinnt die Rekrutierung von Mitarbeitern im Ausland zunehmend an Bedeutung. So gibt in der „Recruiting Trends 2008“ über ein Drittel der deutschen Großunternehmen an, dass die länderübergreifende Suche für sie von hoher Bedeutung ist. Im Jahr 2005 waren dies nur knapp 24 Prozent. Und bis zum Jahr 2012 wird sich dieser Trend noch weiter verstärken: Denn in fünf Jahren erwarten sogar 68 Prozent der befragten Großunternehmen, dass sie verstärkt im Ausland nach Mitarbeitern suchen werden.

Young Professionals international gefragt

 

Am nachdrücklichsten suchen deutsche Unternehmen im Ausland nach qualifizierten Nachwuchs-Fachkräften als auch nach erfahrenen Professionals und Mitarbeitern für das Management. Knapp 27 Prozent der befragten Firmen möchten Positionen für Young Professionals und im mittleren Management mit internationalen Kandidaten besetzen. Darüber hinaus suchen 21 Prozent der Unternehmen im Ausland nach Professionals.

Aber auch das Top-Management kann sich nicht beklagen: Knapp ein Viertel der Umfrageteilnehmer ist für diese Zielgruppe nach nichtdeutschstämmigen Bewerbern auf der Suche. Es bestätigt sich also die Vermutung, dass Unternehmen zur Lösung des Fachkräftemangels des nationalen Arbeitsmarkts auch außerhalb der Landesgrenzen Mitarbeiter rekrutieren. (Abb. 2)

Abb. 2: Die Bedeutung von internationalem Recruiting für bestimmte Zielgruppen

Interessant sind die Beweggründe der Unternehmen, das Augenmerk auf ausländische Arbeitsmärkte zu richten. Mit fast 87 Prozent gab die überwältigende Mehrheit an, dass Einheiten oder Tochterunternehmen in neue Märkte expandieren wollen. Mehr als die Hälfte fand schlicht und einfach die gesuchten Kompetenzen nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine geringe Rolle spielt dagegen das niedrigere Lohnniveau auf dem ausländischen Arbeitsmarkt – nur 24 Prozent gaben dies als ausschlaggebend an.

Recruiting am Beispiel Evonik

Die Evonik Industries AG ist der neue weltweit agierende Industriekonzern, in dem der Chemie-Riese Degussa, der Energiekonzern STEAG und die RAG Immobilien aufgegangen sind. Weltweit ist das Unternehmen in mehr als 100 Ländern aktiv und erwirtschaftete 2006 mit rund 43.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 14,8 Milliarden Euro. Der neue Konzern setzt auf den Zukunftsmarkt Energieeffizienz und plant die Konzentration auf Bereiche wie Solarenergie oder energiesparende Werkstoffe.

Dazu braucht es motivierte Mitarbeiter. Die Förderung der Attraktivität als Arbeitgeber ist deshalb eines der zentralen strategischen Ziele des Personalmanagements von Evonik. Grundlage dafür bildet ein ganzheitliches Talent-Management. Prozessorientierung und Langfristigkeit sind die wesentlichen Merkmale der vier Prozessschritte

  • Attraction, die Ansprache der Bewerber
  • das Recruiting
  • die Personalentwicklung oder Development
  • Retention, die Verweildauer im Unternehmen

Im ersten Schritt nach Festlegung der strategischen Ausrichtung wurden die Kernprozesse und -aktivitäten im Personalmarketing der einzelnen Unternehmen identifiziert und deren Bedeutung analysiert. Die Überprüfung der vorhandenen Bewerbermanagementsysteme führte zu dem Ergebnis, das von Degussa bereits länderübergreifend implementierte System auf den neuen Konzern zu übertragen. Über die Plattform haben die regional angesiedelten Personalmanager weltweiten Zugang zum Bewerbermanagement und den dazugehörigen Daten.

Eine Herausforderung war der unterschiedliche Bekanntheitsgrad der einzelnen Firmen. Während die Degussa laut einer Zielgruppenanalyse als bekannter und attraktiver Arbeitgeber in der Chemiebranche gilt, war insbesondere die RAG bei Stellensuchenden eher unbekannt. Das Management entschied sich für eine schrittweise Überführung der Marken: So wurden bereits vor der Gründung der Evonik im Rahmen von öffentlichen Auftritten – etwa auf Messen – beide Marken gemeinsam kommuniziert und gleichzeitig Stellensuchende und Karriereinteressierte auf den Gesamtkonzern Evonik hingewiesen. Und noch heute wird die Verbindung zwischen Evonik und den darin aufgehenden Marken hergestellt, wenn es für den Transfer der relevanten Gruppen sinnvoll ist. Die Personalabteilung stellte außerdem schnell fest, dass sich die Rekrutierung im neuen Konzern auf drei Zielgruppen konzentriert: Chemiker, Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler. Gerade bei den Naturwissenschaftlern werden hoch spezialisierte Fachkräfte gesucht, die zusätzlich nach Möglichkeit über ökonomisches Denken und Handeln verfügen. Mit gezielten Rekrutierungsstrategien, die mehr auf Qualität als auf Quantität setzen, versucht das Unternehmen dem Fach- und Führungskräftemangel zu begegnen – dazu gehören Praktikanten- und Diplomandenprogramme sowie hochschulübergreifende Netzwerke. Auch über das weltweite Karriereportal werden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gesucht – insbesondere die global agierende Chemie-Sparte findet auf diese Weise Personal auf dem Weltmarkt. Zusätzlich dient das Internet dem Unternehmen zur Förderung der Attraktivität als Arbeitgeber, indem es gezielt durch Inhalte und Gestaltung die Unternehmenskultur vermittelt.

Aber nicht nur die externen, auch die internen Zielgruppen, und damit die Bindung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an das Unternehmen, sind von zentraler Bedeutung. Ein Indikator ist die regelmäßige konzernweite Mitarbeiterbefragung.

Wie am Beispiel von Evonik zu sehen ist, eröffnet die Verzahnung von Attraktivität, Rekrutierung, Personalentwicklung und -erhaltung weit reichende Möglichkeiten. Dem sich verschärfenden Wettbewerb um Talente setzt das Unternehmen auf konsequente strategische Ausrichtung des Talent-Managements, aber auch auf innovative Angebote, um sich die Gunst potenzieller sowie vorhandener Mitarbeiter zu erarbeiten.

Quelle: PERSONAL – Heft 01/2008