Was ist Muße und Müßiggang?

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Foto von Kaleidico

Mit Muße bezeichnet man die von Pflichten freie Zeit, welche eine Person nach freien Willen und eigenem Wunsch nutzen kann, um sich zu erquicken und zu erbauen. Heutzutage nennt man diese Zeit auch „dolce farniente“ oder „chillen“ (abhängen, rumhängen) in der Jugendsprache.

 

Müßiggang ist der Gang zur Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht mit geistigen Ergüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.

 

Muße galt als Ideal


In der Antike galt Muße als Ideal. Die Denker der Antike hielten die Muße mit ihren charakterbildenden und kreativen Möglichkeiten für wertvoll. Sokrates beschrieb die Muße als „Schwester der Freiheit“. „Arbeit und Tugend schließen einander aus“, stellte Aristoteles fest, die Arbeit überließ man Sklaven und Ausländern.
Bis weit ins Mittelalter hinein war der Müßiggang nicht mal in deutschen Landen ein Makel, sondern ein Privileg, ein Lebensideal, ein Weg zur tieferen Erkenntnis, bei dem die Arbeit nur im Wege stand. Bettler schnorrten damals noch ohne Gitarrenbegleitung.


Müßiggang ist aller Laster Anfang


Erst die Neuzeit brachte die Wende und Muße wurde mit Faulheit und Langeweile gleichgesetzt. Fortschrittsglaube und Industrialisierung machten den Faulenzer zum Parasiten. “Von Arbeit stirbt kein Mensch, aber von Müßiggehen kommen die Leute um Leib und Leben, denn der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen”, wetterte
Martin Luther. Faulheit oder Trägheit zählt auch in der christlichen Theologie zu den sieben Hauptlastern und den Wurzeln von Todsünden. Das Leben wurde zur heiligen Pflicht, Müßiggang zur Sünde. Arbeit stieg zur zentralen Größe auf. Sozialismus-Erfinder Karl Marx verklärte die Arbeit zum Zentrum der Menschwerdung und Weltendeutung.

In der DDR galt Arbeitspflicht. Wer sich entzog, wurde als “asozial” gebrandmarkt und musste Gefängnis fürchten. Im vereinten Deutschland ernten Frauen schiefe Blicke, wenn sie “nur Hausfrau und Mutter” sind. Dauerarbeitslose werden in “Maßnahmen” berufsgestählt – eine teure und oft vergebliche Beschäftigungstherapie. Das Motto lautet: Blinde Geschäftigkeit, die nur die Zeit füllt oder an einem Zweck gemessen wird. Hauptsache, man tut was.

Es gibt kein Recht auf Faulheit, sagte Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Nichtstun ist uns höchst verdächtig. Ein Faulpelz hat nicht viel zu erwarten in unserer Gesellschaft, in der es üblich geworden ist, mit Stress anzugeben: Wer noch keinen Burnout hatte, hat noch nie für was gebrannt.

Wir kennen das Sprichwort „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. Daraus lässt sich erklären, dass in der Umgangssprache Müßiggang oft auch heute noch als Laster und mit Faulheit in Verbindung gebracht wird. So bildet dieser Gedanke schon lange Zeit ein Grundelement unseres Menschenbildes.

 

Die Leistungsgesellschaft erlaubt kein Nichtstun

Haben Sie in Ihrer Kindheit vielleicht auch Sprüche wie „schau nicht in die Luft“ oder „hör auf, Daumen zu drehen“ oder „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ oder „lass dich nicht so treiben, sondern tue endlich etwas“ gehört? 

Leider ist es heute so, dass die Versuchung, Workaholic zu werden, größer ist, als Müßiggänger zu sein. Wir stehen ständig unter Druck. Immer schnellere und dichtere Arbeitsabläufe haben unser Leben beschleunigt und eine Spirale in Gang gesetzt, in der für Muße und Entspannung kaum Platz zu sein scheint. Müßiggang wurde uns abgewöhnt. Wenn schon, dann nehmen wir uns Zeit, aber eigentlich haben wir sie nicht. Gerne berichten wir deshalb den anderen, womit wir gerade beschäftigt sind – denn einfach Zeit zu vertrödeln, den Gedanken nachzuhängen, führt ebenso zu Stress.

Ursprünglich ist der Sonntag als Tag erkoren, die Arbeit ruhen zu lassen, aus dem Arbeitsrhythmus auszusteigen, um sich Zeit zu nehmen für das, was neben der Arbeit unbeachtet bleibt.

Angesichts der technischen Wunderwerke müssten wir heute mehr Zeit für Muße haben als alle Generationen vor uns. Doch im immer schnelleren Hamsterrad von Gütern, Geistesschöpfungen und Geld fehlt uns die Kraft für einen Richtungswechsel. Aktivurlaub hilft nicht. Denn da geht es auch wieder darum, Neues höchst effizient zu erleben. Fallschirmspringen, Tiefseetauchen und Extrembergsteigen für jedermann sind Ausdruck sportlicher Selbstüberschätzung.

Heute schalten wir aus Angst vor Langeweile den Fernseher ein, rennen ins Fitnesscenter, suchen nach Ablenkungen oder checken permanent unsere E-Mails. Und auch die Arbeit lässt wenig Zeit für Muße. Wer nicht ständig erreichbar ist, wird schnell als Leistungsverweigerer oder gar Versager abgestempelt. Doch langsam beginnt der Gedanke der Entschleunigung wieder an Akzeptanz zu gewinnen. Das ergibt sich nicht nur notwendigerweise aus den zunehmenden Zahlen an psychischen Erkrankungen.

 

Die Wiederentdeckung der Muße

 

Der britische Philosoph, Nobelpreisträger, Mathematiker und Logiker Bertrand Russel (1872-1970) wurde auch noch nach obigem Zitat erzogen und antwortete darauf wie folgt: „Nichts tun ist besser als mit viel Mühe nichts schaffen. Und wenn man sich das gigantische Nichts der westlichen Wirtschaftswelt vor Augen hält, kann man der 2400 Jahre alten Erkenntnis Laotses nur zustimmen. Es ist erstaunlich, wie viele große Philosophen den Müßiggang als unerschöpfliche Weisheitsquelle verstanden.“

 

Die Antwort des dänischen Philosophen, Essayisten, Theologen und religiösen Schriftsteller Soren Kierkegaard (1813-1855) fällt so aus: „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“

 

Friedrich Nietzsche, klassischer Philologe (1844-1900): „Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfnis der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“


Ideen entstehen aus der Muße heraus


Aus der Muße sind die besten Ideen entstanden. So soll Johannes Gutenberg (1400-1468) zu faul gewesen sein, um Bücher abzuschreiben und erfand den Buchdruck. Karl Benz (1844-1929) war zu faul, zu Fuß zu gehen und erfand das erste Automobil. Der Taschenrechner wurde erfunden, weil intelligente Menschen zu faul zum Kopfrechnen waren.

Kreativität kann nur in der Muße frei fließen. So hängte der französische Dichter Saint-Pol-Roux (1861-1940) an seine Tür das Schild „Poet bei der Arbeit“, denn er wusste, Müßiggang ist aller Ideen Anfang. Wirklich schöpferische Einfälle kommen einem am ehesten dann, wenn man sie nicht zu erzwingen versucht.

 

Das gilt nicht nur für die Poesie. Die Erleuchtung zu seiner Gravitationstheorie kam Isac Newton (1642-1726), als er im heimischen Obstgarten versonnen einen Apfel betrachtete.

 

Kreativität, Intuition und Weisheit als Zukunftskompetenz

 

Um als Unternehmen „zukunftsfähig“ zu sein, ist es notwendig, flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. Da die meisten von uns keine Hellseher sind, können wir heute noch nicht wissen, welche Aufgaben, Herausforderungen und Probleme uns in der Zukunft begegnen werden. Daher sind Kreativität, Intuition und Weisheit eine wichtige Zukunftskompetenz, um flexibel auf die Fragen der Zukunft reagieren zu können.

 

Kreativität meint damit mehr als nur künstlerische Schöpferkraft. Kreatives Denken und Handeln ist die Fähigkeit, ständig neue Zusammenhänge herzustellen, unterschiedlichste Perspektiven zu integrieren und Bestehendes immer wieder neu zu hinterfragen – auch sich selbst und den eigenen Lebens- und Arbeitsplan.

Ein Querdenker (Andersdenker, Freidenker, Kreativarbeiter) ist eine Person, die prinzipiell alles in Frage stellt, Verbindungen zu anderen Branchen herstellt und sich nicht mit bestehenden Strukturen und Modellen zufrieden gibt. Querdenker sind auch bereit, Ballast abzuwerfen. Wie? Warum? Was? Wann? Wofür? Das ist der Wortschatz des Querdenkers. Man kann sich vorstellen, dass Querdenker nicht gern gesehene Menschen in starren und konservativ geführten Geschäftsmodellen sind. Sie werden als störend empfunden.

Wird einem Querdenker der Raum zur Entfaltung gegeben, wird er versuchen, alte Strukturen zu verbessern, neue Produkte zu implementieren und Abläufe anders zu gestalten. Sperrt man sein Potenzial – und seine naive Sicht – alles zu hinterfragen jedoch ein, wird er unglücklich.

Eine Anleitung zum Müßiggang – Ein Manifest für Veränderung!


Nichtstun ist wertvoll. Doch wir haben es verlernt, weil wir nicht mehr aus dem immer schnelleren Alltag ausbrechen können. Doch was man verlernen kann, kann man auch wieder erlernen.

Der britische Journalist und Buchautor Tom Hodgkinson plädiert für mehr Genuss, Gelassenheit und Müßiggang im Leben.Er gibt zu, dass es gar nicht so einfach ist, sich Oasen des bewussten Nichtstuns zu schaffen und sich vom Moment verführen zu lassen. Aber man muss sich nicht schuldig fühlen, wenn man sich mittags ein Bad gönnt, anstatt die Steuererklärung zu machen. Alles zu seiner Zeit. Hodgkinson tritt  für mehr Produktivität durch entspannte Arbeit ein. Seine Botschaft, seine Mission ist eine radikale Systemkritik.

Die Kunst liegt darin, Arbeit und Müßiggang in Einklang zu bringen

Heutzutage wird wieder mehr betont, sich Muße zur Gesundheitsförderung zu gönnen, etwa im Sinne von Erholung (neudeutsch „Chillen“), mittels Meditation (Kontemplation führt zu innerer kreativer Schöpferkraft), im Rahmen der Wellness-Bewegung oder durch Aneignung eines einfacheren Lebensstils (Minimalismus als Alternative zur konsumorientierten Überflussgesellschaft).

Die wahre Kunst liegt heutzutage darin, Arbeit und Muße, Aktivität und Passivität, Tun und Geschehenlassen, Verstand und Herz vom Ungleichgewicht wieder miteinander in Einklang zu bringen. Das Nichtstun muss wieder erlernt werden. Sich bewusst Zeit nehmen, um sich aus den täglichen Anforderungen heraus zu nehmen, wird immer wichtiger werden. Und das ohne ein schlechtes Gewissen zu haben!

Sein zu können – statt zu müssen!

Anzustreben wäre es, den Tatendrang, der nahezu in jedem Menschen schlummert, die Kreativität und die Lust an der Gestaltung des eigenen Lebens vom ökonomischen Verwertungszwang zu befreien und gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die eine Art produktiven Müßiggang ermöglichen würde.


Wohlfühlbüros sollen Kreativität fördern

 

„Die besten Ideen kommen nicht unbedingt am Schreibtisch, sondern vielleicht bei einer Work-out-Session, beim Dart-Spielen, beim Brainstormen mit Kollegen in einer ausgefallenen Büroecke oder in der Küche“, sagt Samuel Leiser, Sprecher von Google in Österreich und in der Schweiz. „Die kreative Raum-Gestaltung wirkt sich positiv auf die Produktivität der Mitarbeiter, auf deren Austausch untereinander und auf deren Einstellung zur Arbeit aus“, meint Leiser weiter. Zwischen Plüschsofas, Büros mit U-Boot-Türen und einem Garten mit Liegestühlen arbeiten Google-Mitarbeiter in London.

 

Einen neuen Weg bei der Gestaltung seiner Wiener Zentrale am Wienerberg hat auch der IT-Konzern Microsoft eingeschlagen. Die meisten Mitarbeiter haben keinen fixen Arbeitsplatz, sondern können zwischen verschiedenen Arbeitszonen wählen: vom klassischen Großraumbüro oder Besprechungszimmer bis hin zu kleinen Arbeitsräumen und Boxen für den persönlichen Rückzug. Die Besprechungsräume sind unterschiedlich gestaltet. Einer ist etwa in Holz gehalten, einer erinnert an ein Aquarium, ein anderer vermittelt arabisches Flair. Sogar die Geschäftsleitung hat kein eigenes Büro. Außerdem gilt bei Microsoft eine Vertrauensarbeitszeit und Arbeiten von zuhause ist möglich. Für Interessierte bietet Microsoft Führungen durch die Büroräume an: www.dasneuearbeiten.at

 

(Diese Praxisbeispiele wurden aus einem Artikel von Sophia Freynschlag in der Wiener Zeitung vom 2.7.2013 entnommen.)

 

Aber auch bei der Erste Bank Österreich werden gleich 4.000 Mitarbeiter in die neue Welt des Arbeitens wechseln. „Alle Zentralstellen übersiedeln im Jahr 2015 auf das Areal des früheren Südbahnhofs“ so der Leiter des Bereiches „Personalabteilung und Recruiting“ Erste Bank Österreich. Durch unterschiedliche Bürolandschaften, neue Zusammenarbeits-Arbeitsplätze, arbeiten von zu Hause aus, abwechselndes Nutzen von gemeinsamen Schreibtischen soll eine höhere Arbeitszufriedenheit erreicht und eine angenehme kreative Atmosphäre geschaffen werden. Vorbild dabei dienen dabei Microsoft in Amsterdam und Novartis in Basel. Das noch immer gängige Glaubensmuster „Anwesenheit zählt mehr als das Ergebnis“ wird auch langsam in den Köpfen aller verschwinden.

Autorin:

Mag. Irene Galler
www.ganzheitscoaching.at