Literaturtipp

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Foto von Annie Spratt

Das Ende allen Projektmanagements. Erfolg in hybriden Zeiten –
mit der projektfreien Relationalen Organisation.

Von Sonja Radatz.
Relationales Management 2013.

Webtipp

Projektmanagement pro und kontra: Diskutieren Sie mit in
der Gruppe „Personalarbeit in der Praxis“ auf www.HRM.at.

Quelle: personal manager Zeitschrift für
Human Resources Ausgabe 6 November/ Dezember 2013

Fotocredit: Karin Jung / www.pixelio.de

Ich glaube nicht daran, dass es richtige oder falsche Organisationsformen oder Führungsstile gibt. Ich gehe jedoch davon aus, dass es Organisationsformen und Führungsstile gibt, die zu bestimmten Ergebniserwartungen, Konstellationen und Situationen passen – und andere, die nicht passen. Ob etwas passt, wissen wir immer erst im Nachhinein: Ich gehe mit dem Biologen und Philosophen Humberto Maturana davon aus, dass alles, was heute noch lebt und sich blühend entwickelt, in der Vergangenheit etwas getan haben muss, was zur Situation gepasst hat, also erfolgreich war (Maturana, 2001). „Evolution“ passiert dieser Auffassung nach immer im Rückblick: Was oder wer überlebt hat, war erfolgreich. Aber: Was oder wer erfolgreich war, muss heute und morgen nicht mehr erfolgreich sein.

Nun erlebe ich in vielen Unternehmen, in Profit- und Nonprofit-Organisationen, in der Verwaltung von Städten, aber auch Staaten, dass deren Überleben aktuell nachhaltig bedroht ist; und folgere daraus, dass das aktuell Gelebte eben nicht mehr passt: Wir schlittern gesamtwirtschaftlich bereits seit Jahren von einer Krise in die andere, und es scheint mir, als würde nicht nur einfach der Kurs unserer Unternehmen nicht mehr „passen“, sondern vielmehr der Schiffstyp oder die Art, Schiffe zu bauen, nicht mehr geeignet sein, um die angesteuerten Häfen zu erreichen.

 

Erfüllen unsere Organisationen noch ihren Zweck?


Ich gehe davon aus, dass sich die klassische Organisation in unserer heutigen Situation nicht mehr eignet, die notwendigen Ergebnisse zu erbringen. Dafür können die Projekte an sich nichts, denn sie sind nur eine logische Folge des klassischen Organisationsdenkens, wie es in unseren Betriebswirtschaftslehre-, Management- und Führungsbüchern steht. Aber sie verschlimmern die Lage. Allerdings wäre es wohl zu kurz gegriffen, nur das Projektmanagement kurz und klein zu schlagen und zu glauben, das wär´s gewesen. Vielmehr gehe ich davon aus, dass es darum geht, eine andere Organisations- und Führungstheorie sowie -praxis zu schaffen.

So weit sind die Unternehmen und Organisationen allerdings noch nicht. Es wurde schon erkannt, dass Projekte sich zwar stets steigender Beliebtheit erfreuen, aber leider meist ein höheres Risiko des Scheiterns bergen Madauss, 2000). Nur: Bislang haben die Organisationen noch nichts grundlegend

Neues geschaffen, sondern im ersten Impuls versucht, das Projektmanagement zu sanieren, zu verändern, zu optimieren oder „neu zu gestalten“. Da finde ich ein konsequentes „Wenn etwas nicht funktioniert, tue etwas (gänzlich) anderes“ (de Shazer, 1999) durchaus angemessener. Was das für mich bedeutet? Ein neues Bild der Organisation zu zeichnen – in Aufbau und Ablauf –, das geeignet ist, die gewünschten Ergebnisse verlässlich zu erzielen. Und das spielt sich ganz sicher jenseits jeden Projektdenkens ab.

Warum? Projekte ziehen sich heute durch unser gesamtes Arbeitsleben und schwappen mittlerweile selbst in unseren privaten Alltag über. Wir finden daran nichts Besonderes mehr und ertragen geduldig, dass Projekte in vielen Bereichen unsere gesamte Leistung dirigieren und wir phasenweise nur noch in „Projekten“ denken. Nur noch selten ist jemand verwundert, dass es bereits Unternehmensleitungen gibt, die ihre strategische Führungsfunktion umfassend an das Projektmanagement abgegeben haben und eine „Projektorganisation“ leben – oder darüber zumindest laut nachdenken. Ich kenne heute praktisch niemanden mehr, der – zumindest in größeren Unternehmen oder Organisationen – unbehelligt von Projekten arbeitet. Daran wäre, wie schon zu Beginn beschrieben, nichts Schlimmes, wenn wir damit erfolgreich wären. Aber das Gegenteil ist der Fall:

Nach der großen Krise 2008 merken wir nun, dass wir uns mitten in einer Strukturkrise befinden, die nicht mit weiteren Rettungsschirmen und Geldpumpen zu beseitigen ist. Wir erkennen, dass unsere Unternehmen, unsere Kommunen, unsere Organisationen nicht mehr funktionieren.

Einige Anzeichen dafür:

  • Wir alle verbringen unendlich viel Zeit in Meetings – vom Mitarbeiter über die Führungskraft bis hin zur Unternehmensspitze.
  • Der Widerstand wächst, Themen umzusetzen, die jemand anders entwickelt und verabschiedet hat, die voll in den eigenen Bereich hineinspielen und dafür sorgen, dass der Erfolg des eigenen Bereichs bedroht wird.
  • Das Burnout-Syndrom nimmt zu – als Folge eines gefühlten Dauerlaufs im Hamsterrad, gepaart mit fehlender Wertschätzung (die ja gar nicht mehr entstehen kann, wenn Erfolge auf ganz vielen Ebenen „irgendwo“ erbracht werden).
  • Die Unternehmen bringen nicht mehr die gewünschten und notwendigen Ergebnisse, weil die Mitarbeiter „zu“ sind mit Arbeit und nicht mehr ansprechbar für neue Themen. Entrepreneurship, Flexibilität und Instant-Entscheidungen haben sich bereits Lichtjahre vom Unternehmen entfernt.
  • Innovation fehlt, obwohl sie doch so dringend nötig wäre: Nicht, weil die Mitarbeiter dümmer wären als früher, sondern weil wir sie in den vorhandenen Strukturen organisieren und managen.

Der „Projektwahnsinn“


Vielleicht bringen Sie all das Beschriebene nicht unmittelbar in Zusammenhang mit Projekten. Ich schon; denn meiner Erfahrung nach ist das oben Beschriebene nur die Spitze des Eisbergs – unsere Unternehmensfrachter und -schiffchen sind im Prinzip schon unausweichlich auf ihrem „letzten Kurs“, wenn wir beginnen, von Projekten zu sprechen.

 

10 Thesen


Ich habe die aus meiner Sicht problematischen Punkte in zehn zentralen Themen zusammengefasst:

  1. Projektmanagement verwischt Verantwortungen: Denn es gibt dann immer gleichzeitig viele, die im Unternehmen „Hier!“ rufen, wenn es um zentrale Themen geht. Und jeder mischt mit …
  2. Projektmanagement verwischt aber auch die Ergebniserzielung. Warum? Weil jeder gerade „in Projekten untergeht“ und keiner so richtig messen kann, welche Ergebnisse der Mitarbeiter dort erzielt. Gemessen in Meetingstunden ist er ja „produktiv“ – aber wollten Sie das auch?
  3. Projektmanagement macht den eigenen Bereich „unführbar“: Denn jeder ist der „Diener vieler Herrn“ – und der „echte“ Vorgesetzte weiß meist gar nicht, ob sein Mitarbeiter erfolgreich ist, während die Projektleiter immer nur Auskunft zum eigenen Projekt geben können.
  4. Projektmanagement vernichtet teure und wertvolle Arbeitszeit! Denken Sie nur an die vielen Projektmeetings, die „zur Abstimmung“ einberufen werden. Wenn die Dinge im eigenen Bereich passieren, braucht es auch keine Abstimmung.
  5. Projektmanagement hemmt die Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit. Warum? Weil Projekte auf längere Zeit angelegt sind. Und das macht unsere globale Kurzlebigkeit nicht mit.
  6. Projektmanagement stärkt die Macht der Projektleiter, vernichtet aber nachhaltig Entrepreneurship, Eigenverantwortung und Innovation beim Individuum: Wer immer nur ein Rädchen ist, hat auch keinen Erfolg zu verzeichnen (Übrigens: Wann haben Sie zuletzt etwas Wertvolles „bewerkstelligt“?).
  7. Projektmanagement negiert die Expertise und Erfahrung des Einzelnen: Zu häufig werden dort die Themen an den „eigentlich Verantwortlichen“ vorbei manövriert und Neues entwickelt. Dabeisind nicht selten „Neulinge“ am Werk.
  8. Projektmanagement verlangsamt das Fortkommen des Unternehmens – oder bringt es sogar zum Stillstand: Denn es wird in den einzelnen Bereichen nicht mehr „gedacht“, weil kein Engpass erlebt wird und dessen Lösung erforderlich ist. Da wartet lieber jeder, bis etwas „von oben kommt“.
  9. Projektmanagement fördert Mikro- Management in der Unternehmensleitung: Ja, die Unternehmensleitung ist beschäftigt. Und wie! Projektmanagement ist immer mit Chefsache. Und plötzlich wird die Unternehmensleitung zum Projektmitarbeiter – und sitzt wie bestellt im Projektmeeting.
  10. Last, but not least: Das dahinter stehende Denken steuert jede Organisation verlässlich in die Sackgasse. Warum? Weil es nicht darum geht, Themen für die Bereiche und Mitarbeiter „aufzubereiten“, „durchzusteuern“ und zu „kommunizieren“, sondern aus meiner Sicht endlich Ergebnisfokussierung mit verlässlicher Ergebniseinholung gefragt ist.

Fazit

Es geht nicht darum, das Projektmanagement zu sanieren. Ich halte nichts von Organisations- und Managementformen, die eine solche Konstellationerzeugen. Was bedeutet: Ich möchte keinesfalls die klassische Organisation und das Projektmanagement sanieren. Ich schlage Ihnen eine andere Form der Organisation und der erfolgreichen Unternehmensführung vor: Eine, in der Sie nicht ein einziges Mal mehr an Projekte oder Projektmanagement denken brauchen. Ich plädiere für Verantwortung. Für klare Schnittstellen. Für den sauberen „Verkauf“ und „Einkauf“ an diesen Schnittstellen. Für klare Rahmen anstelle von Jahreszielen & Management by Objectives. Für die Forderung kontinuierlicher Ergebnisse anstelle von Anweisungen, Aufgaben und – Projekten. Und das Zusatz-Bonbon: Damit lassen sich spielend Personalkosten sparen. Sind Sie dabei?