Da war ich gestern mit einer alten Freundin zu einem langen Spaziergang unterwegs. Das tun wir seit vielen Jahren alle paar Wochen. Wir erzählen, was so im Leben geschieht und besprechen die Weltlage.

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Foto von Hunters Race

Und gestern, es zogen dazu passend Regenwolken auf, hatten wir es wieder davon, warum bei allen positiven Ansätzen und dem immer wieder neuen Engagement vieler kompetenter Menschen doch die gesellschaftliche Entwicklung so schlecht vorankommt. Da gefallen sich unsere Politiker im Lichte vieler Medien als Retter von durch Inkompetenz, Großmannssucht und Misswirtschaft in die Krise gekommenen Unternehmen. Doch man hört nichts von effektiven Anstrengungen zur Regulation der Finanzmärkte. Stattdessen Symboldebatten und Wahlkampfversprechungen und Klatsch. Interessiert uns das Dekoltee von Frau Merkel oder der Alterunterschied zwischen Herrn Müntefering und seiner Neuen wirklich so viel mehr als deren Politik, die heute und morgen Schicksale von Millionen betrifft?

Wen kann man eigentlich noch wählen? Langsam dämmert mir, warum die Italiener Herrn Berlusconi immer wieder wählen, obwohl er offenbar von vielem mehr getrieben ist, als davon, Demokratie zu stärken. Fehlen die Alternativen? Singen sie bald wieder? Mit Rohstoffen, Währungen, der Volksgesundheit und mit Grundnahrungsmitteln spekulieren tun sie offenbar wieder oder noch, ungehindert und schamlos. Was muss noch geschehen, dass wir aus Krisen lernen? Sklaverei, von der ich glaubte, sie sei ausgestorben, feiert in vielfältigem Gewande Urstände, als Lohndumping bei uns, als schonungslose Ausbeutung von Migranten überall, aber auch schlicht als Menschenraub und Zwangsarbeit und das nicht nur im Rotlichtmilieu. Und auf Konferenzen wird geredet und geredet. Die Welt ein Kampagnen-Theater. Die Konferenz der Tiere von Kästner lässt grüßen.

Ich weiß es ja eigentlich. Schon ein Poster im Büro der Odenwald-Institut-Gründerin Mary Anne Kübel hat mich enthusiastischen jungen Mann gewarnt. Dort stand: After all, what’s said and done, it’s much more said, than done! Aber es gibt Tage, das geht es mir einfach auf den Senkel, dass überall Strohfeuer abgefackelt werden. Die geben Licht für ein bisschen Aufbruchsstimmung und für die Kameras. Kommt man dann mit dem Kochtopf, ist die Show schon zu Ende.

Ja, es ist schwer, komplexe Dinge in Bewegung zu bringen. Nachhaltigkeit ist angesagt, doch ist das Wort auch schon abgedroschen, auch wenn die Probleme mitnichten gelöst oder auch nur effektiv angegangen sind. Wir haben bekanntermaßen keinen Ideen-Notstand, sondern einen Umsetzungs-Notstand. Helden des Alltags sind gefragt. Doch tausende von bestausgebildeten Zeitgenossen scheinen mit Zocken und Schattenboxen bis zum Burnout zufrieden zu sein.

Was geschieht da Deiner Meinung nach? fragt mich meine alte Freundin. Warum kreisen die Berge und gebären Mäuschen oder schlimmer noch Missgeburten, wie z.B. die neuen Qualitätsnachweisverfahren für Altenheime, was für die Erfinder lukrativ zu sein scheint, den dort Tätigen aber Kräfte entzieht und für vernünftige Kunden irrelevant zu sein scheint?

Klar weiß ich es auch nicht wirklich, doch sind mir 2 Gesichtspunkte eingefallen.
Das eine sind die Größenphantasien. Die Menschen wollen flächendeckend und großartig an die Probleme gehen, statt im Konkreten anzufangen und die Dinge über Jahre zu entwickeln. Nein, schnell muss es gehen, epochal muss es sein, weithin Aufmerksamkeit heischend. Das geht nur, wenn man entscheidende Details vernachlässigt. Vielen Anfängen wohnen weniger Zauber inne als Hokuspokus und Marktschreierei.
Das andere sind die Risiken. Gerade, wenn man mit nicht überschaubaren Projekten, mit schlecht berechenbaren Wirkkräften zu tun hat, tut man gut daran, Spielräume zu lassen, sich nicht vorzeitig und nicht zu weit aus irgendwelchen Fenstern zu lehnen oder alle Ressourcen auf eine Karte zu setzen oder ungedeckte Wechsel auszustellen. Das kann mal gut gehen und dann ist man der King. Doch als Grundprogramm? Nein Danke!

So, das musste mal raus!

No risk, no fun! Hört man oft. Als Alexis Sorbas dilettantische Förderanlage, die auf dem bitter armen Kreta so vielen hätte Brot geben können, zusammengebrochen ist, tanzt und trinkt er. Sich bloß nicht unterkriegen lassen! Fand ich auch toll damals. Heute weiß ich nicht mehr.
Ich möchte eher auf eine frühere Erinnerung zurückgreifen. Wir haben 13 -14 jährig manchmal ein Hähnchen auf einem Lagerfeuer gebraten. Zunächst wurde aufs Hähnchen gespart. Das wollten wir dann im Garten braten. Damit wir an dieser Stelle den Rasen nicht ruinieren, haben wir ihn ausgegraben, um ihn später wieder auf die Asche zu setzen. Dann war Holz machen dran, denn so ein Hähnchen braucht etliches und im Dunkeln wird es dann schwierig. Schließlich Feuer machen, ohne Brandbeschleuniger. Erst das Zündholz, dann ein Span kaum größer als das Zündholz, dann zwei, drei, jetzt schon etwas dickere, bis schließlich ein Feuerchen brannte, das wir langsam zu einem begrenzten aber Glutreichen Grillfeuer ausbauten, gerade soviel, dass es für ein Durchgaren reichen würde. Zwei, drei Stunden bis spät das Hähnchen soweit war. Bis dahin Brot, Beisammensein und Vorfreude. Erst am Ende haben wir mit dem Überschuss ein Freudenfeuer gemacht.

Nostalgisch? Ja! Geb’ ich zu! Ich will ja auch nicht Biedermeier-Romantik beschwören, aber irgendwie war es gut, dass es nicht an jeder Ecke Grillhähnchen zum Schnäppchenpreis gab. Und ich wünsche mir schon, dass die Strohfeuer-Junkies Magie und Publikum einbüßen. Sie könnten sich zu Hütern von Herdfeuern entwickeln.

Ihr Bernd Schmid

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