BAG v. 20. April 2010 – 3 AZR 509/08

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Sachverhalt

Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber hatte der Versorgungsberechtigte eine Versorgungszusage erhalten, die auch eine Hinterbliebenenversorgung für die überlebende Ehefrau einschloss. Leistungen an eine überlebende Ehefrau waren danach allerdings dann ausgeschlossen, wenn die Ehe nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis geschlossen wird. Der Versorgungsberechtigte ist am 31. Dezember 1998 mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Am 2. Februar 2000 hat er die nun vor dem BAG gegen den ehemaligen Arbeitgeber klagende Witwe geheiratet. Der Versorgungsberechtigte ist am 17. Oktober 2006 verstorben.

Die Entscheidungen

Das BAG wies die Klage der Witwe ab. Sie habe keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenleistung.

Das BAG führte zunächst aus, dass nach den Regelungen der Versorgungsordnung die Witwe von der Hinterbliebenenleistung ausgeschlossen sei, weil die Ehe erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses geschlossen wurde. Dieser Inhalt der Versorgungszusage ergab sich nämlich nicht unmittelbar aus der Versorgungsordnung, ließ sich aber durch Auslegung ermitteln.

Zwar ist der Versorgungsberechtigte mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Der Ausschluss der Witwe von Versorgungsleistungen stehe nach dem BAG aber nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Unverfallbarkeitsbestimmungen. Die Unverfallbarkeit sichere nur eine von vornherein eingeräumte Anwartschaft. Eine bestehende unverfallbare Anwartschaft entfalle danach nicht, wenn der Arbeitnehmer vor dem Versorgungsfall ausscheide. Die streitgegenständliche Versorgungsordnung begrenzte den Kreis der Anspruchsberechtigten dagegen von vorneherein, so dass keine Anwartschaft für die Witwe entstehen konnte.

Der Ausschluss der Witwe von Versorgungsleistungen verstoße auch nicht gegen das AGG. Eine mögliche Diskriminierung wegen des Geschlechts hat das BAG nicht erkennen können. Aber auch aufgrund des Alters liege keine unzulässige Benachteiligung vor.

Bemerkenswert ist, dass das BAG zunächst festgestellt hat, dass das AGG überhaupt Anwendung finde. Dies ist nicht selbstverständlich, weil das AGG erst seit dem 18. August 2006 gilt, also ab einem Zeitpunkt, der fast acht Jahre nach dem Ausscheiden des Versorgungsberechtigten aus dem Arbeitsverhältnis liegt. Das BAG führt aber aus, dass ein bestehendes Arbeitsverhältnis für die Anwendung des AGG nicht erforderlich sei. Ausreichend sei, wenn ein Arbeitnehmer mit einer unverfallbaren Anwartschaft ausgeschieden sei oder Betriebsrentner sei. In einem solchen Fall bestehe ein Rechtsverhältnis in Form eines versorgungsrechtlichen Dauerschuldverhältnisses, das ebenfalls am AGG zu messen sei. Nach § 6 Abs. 1 AGG gelte zudem das AGG auch für Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet sei. Da der Versorgungsberechtigte erst am 17. Oktober 2006, also nach Inkrafttreten des AGG, verstorben war, sei daher das AGG anwendbar.

Allerdings liege keine Diskriminierung wegen des Alters vor. Der Ausschluss von Hinterbliebenenleistungen für den Fall, dass die Ehe erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wurde, sei sachlich gerechtfertigt. Der Arbeitgeber habe ein anerkennenswertes Interesse daran, seine Leistungspflichten auf Risiken zu begrenzen, die bereits während des Arbeitsverhältnisses angelegt waren. Er sei frei in der Entscheidung, für welche Versorgungsfälle er Leistungen zusagt und wie hoch die entsprechende Leistung dotiert sei. Dabei sei er nicht verpflichtet, auch Hinterbliebenenleistungen zu erbringen. Er könne daher auch die Leistung an Hinterbliebene an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Damit könnten zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken ausgeschlossen werden, die sowohl den Zeitpunkt des Leistungsfalles wie auch die Dauer einer möglichen Leistungserbringung beträfen. Der Arbeitgeber dürfe hierbei an das Ende des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, weil es für ihn eine wesentliche Zäsur darstelle. Er dürfe die Versorgungsleistung auf den Personenkreis beschränkten, hinsichtlich dessen der Versorgungsbedarf bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses angelegt war.

Auch aus dem europäischen Recht ergebe sich keine andere Bewertung. Die Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2000/78/EG) lasse im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung in der Regel eine Unterscheidung nach dem Alter zu (Art. 6 Abs. 2 RL 2000/78/EG). Hierdurch würden Hindernisse, die der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung entgegenstehen könnten, beseitigt.

Auch der grundgesetzliche Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) stehe einem Ausschluss der Hinterbliebenenleistung an die Witwe nicht entgegen. Ehepartnern entstehe kein Nachteil, den sie ohne Heirat nicht gehabt hätten. Die Ansprüche des ehemaligen Arbeitnehmers blieben ungeschmälert. Das Ausbleiben eines erhofften Vorteils sei kein rechtlicher Nachteil.

Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz half der Klägerin schließlich ebenfalls nicht weiter. Dieser Grundsatz stelle keine weitergehenden Anforderungen als das AGG. Ein Verstoß gegen das AGG lag aber nach den Ausführungen des BAG nicht vor.

Fazit

Leistungen an Hinterbliebene werden üblicherweise beschränkt. In vielen Versorgungsordnungen werden sog. Spätehenklauseln (Ausschluss bei Heirat nach einem bestimmten Höchstalter), Mindestehedauerklauseln (Ausschluss bei kurzer Ehedauer), Altersdifferenzklauseln (Ausschluss bei hohem Altersunterschied der Ehegatten) oder Wiederverheiratungsklauseln (Ende der Versorgungsleistung bei Wiederheirat) verwendet. Auch wenn diese Klauseln in der Praxis weitgehend anerkannt sind, ist ihre rechtliche Zulässigkeit durch das BAG nach Inkrafttreten des AGG und unter Berücksichtigung des Europarechts noch nicht abschließend geklärt.

Die aktuelle Entscheidung zeigt, dass Beschränkungen der Hinterbliebenenleistungen auch einer Prüfung am Maßstab des AGG standhalten können. Dies muss nicht zwingend auch für die anderen genannten Klauseln gelten. Die Entscheidung gibt aber doch einen Fingerzeig, dass das BAG die legitimen Interessen des Arbeitgebers zur Begrenzung seiner Leistungspflicht anerkennt. Die Beschränkung der Risiken für den Arbeitgeber erlaubt es, Versorgungsleistungen an zusätzliche Voraussetzungen zu knüpfen. Bei der Gestaltung von Versorgungsordnungen ist zu prüfen, ob die Leistungseinschränkungen von den in der BAG-Rechtsprechung anerkannten Rechtfertigungsgründen gedeckt sind.