Pioniere neuer Arbeitsformen  – Crowdsourcing und Crowdworking

two people shaking hands
Foto von Cytonn Photography

Nehmen wir einmal an, Sie hätten ein komplexes Projekt in Arbeit, dessen Aufgaben sich aufteilen in Bereiche, die so differenziert sind, dass sie unbedingt von Fachleuten erledigt werden müssen, und in Bereiche, dessen Aufgaben lediglich zeitaufwändige Routine-Eingaben, Recherchen oder Datensammlungen erfordern. Beide Bereiche können Sie jedoch mit ihrer derzeitigen Personaldecke nicht ausreichend bedienen. Das Projekt selber ist jedoch zu wichtig, als dass man es ad acta legen – oder der Konkurrenz überlassen könnte.
Die Lösung kann in diesem Falle wirklich heißen: Croudsourcing, das heißt die Nutzung vieler einzelner Arbeiter, die speziell und nur für dieses Projekt von allen Gebieten Deutschlands, ja sogar der Welt aus – ihren Beitrag leisten, vorausgesetzt:

  1. Man hat dafür die nötige technische Infrastruktur,
  2. Man unterhält  selber ein aktives Netzwerk aus firmennahen Mitarbeitern (Ehemalige, Selbständige, Teilzeitkräfte, Angestellte mit zusätzlichen Ressourcen, Firmenpartnern, Branchen-Netzwerkpartnern) oder
  3. Man hat sich zum Einholen und Treffen passender Auftragnehmer bei einer der mittlerweile fast 100 Plattformen für Crowdsourcing angemeldet.

Die Crowd-Plattform im Internet – der „Meeting-Place“ für projektbezogene Zusammenarbeit

Was ist die „Crowd“ (von engl. „Ansammlung von Menschen“)? Das sind Leute, die sich durch die Erledigung entweder relativer niedrigschwelliger Mikroaufgaben wie das Eingeben von Adress- oder Kundendaten, Kontrollieren von Daten, Testen von Apps, Sammeln von Daten für neue Apps etc. ein Zubrot verdienen, bis hin zu Leuten, die hochkarätige Facharbeit leisten, wie die Durchführung wichtiger Forschungsaufgaben, Testreihen, Auswertungen, Design- und Entwicklungsleistungen. Der Vorteil für alle: In einer Art „Baukastensystem“  stellen sich Auftraggeber wie Auftragnehmer ihre Anforderungen wie Arbeitseinsätze individuell und passend zu den aktuellen Zeit- und Fachressourcen zusammen. Dazu sind die Crowd-Plattformen wie geschaffen. Hier im „virtuellen Raum“ lassen sich Arbeitsverhältnisse ganz nach Wunsch und Bedarf zusammenstellen. So lautet zumindest die Idee dahinter, die sehr schnell Schule machte: Mittlerweile gibt es bereits rund 100 dieser Plattformen mit unterschiedlichen Schwerpunkten geben und einen dazu passenden Verband, den Deutschen Crowdsourcing Verband e.V. mit dem Vorsitzenden Christoph Sieciechowicz als Ansprechpartner.

Digitale Vernetzung: Möglichkeit einer demokratischen Lebens- und Arbeitshaltung

Voraussetzung für ein solches Arbeiten ist auf beiden Seiten:

  • Vertrauen, die Fähigkeit, Aufgaben klar zu benennen, zu erkennen, zu definieren und auszuschreiben,
  • die Fähigkeit sich und andere gut und klar einzuschätzen,
  • Verbindlichkeit, Ablegen alter Ansprüche an immerwährender Kontrolle, Präsenzarbeit,
  • eine gewisse „digitale Kompetenz“ sowie kompatible Hard- und Software, die Online-Meetings, Skype, Projektarbeits-Tools etc. ermöglicht
  • Offenheit für neue Ideen und Mitbestimmung, das Abgeben von Kompetenzen und Verantwortung
  • sowie die Fähigkeit, in Netzwerken zu arbeiten.

Interessanterweise gibt es in diesem Zusammenhang zwei Entwicklungen

  1. Selbständige, die schon immer in Netzwerken komplexere Projekte mit anderen Dienstleistern abwickeln – und sich irgendwann entschließen, mit diesen unterschiedlichen Funktionen, die im Grund ja Abteilungen entsprechen, eine Firma zu gründen.
  2. Firmen, die immer weniger auf feste Angestellte und Abteilungen setzen und stattdessen immer mehr auf Arbeitsarrangements in Form eines „Modul- oder Baukastensystems“ und frei „modellierbarer“ Aufgabengebiete über Externe Mitarbeiter und Netzwerkpartner setzen.

Arbeit 4.0 – die „New Work“: Neuland für Wirtschaft und Rechtsprechung

Beim Crowdsourcing des Arbeitgebers auf der einen Seite und dem Crowdworking des Arbeitnehmers auf anderen Seite zeigen sich die Chancen des „New Work“, der neuen Arbeitsweltentwicklungen in Reinform: Hier gibt es viel Raum für Freiheit, Flexibilität, Selbstbestimmung, Reaktionsfähigkeit und Mitbestimmung. Und doch zeigt sich auch die andere Seite der Medaille, denn die rechtlichen Rahmenbedingungen und Standards hinken der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung hinterher: Hier wird noch viel experimentiert. Viele DSigital Immigrants sind noch mit den Ansprüchen und Normen der analogen Arbeitswelt aufgewachsen, und die neuen Freiheiten mögen den einen oder anderen zu Verfahrensweisen verführen, die die neue Freiheit missbrauchen.

Eine bunte Mischung aus Vorteilen und Nachteilen für alle Beteiligten

Vorteile für die Arbeitnehmer:

  • Sie können sich im Idealfall die für sie passenden Aufgaben und Arbeitgeber aussuchen,
  • Sie arbeiten mit abwechslungsreichen Aufgaben,
  • Sie können Aufgaben u.U. mitgestalten und kreative Lösungen einbringen,
  • Sie können die Aufgaben in Dauer, Intensität und Anforderung variieren und entsprechend an ihre Lebenssituation anpassen.
  • Darüber hinaus können sie ihre Zeit flexibel einteilen und eigenständiger über Arbeits- und Einsatzzeiten entscheiden – und damit u.U. Familie und Beruf besser vereinbaren.
  • Bastian Unterberg, Gründer von jovoto, einer Kreativ-Plattform, die in Zusammenarbeit mit Werbeagenturen, Non-Profit-Organisationen und Unternehmen international kollaborative Ideenfindung ermöglicht, fügt dem hinzu, dass sich davon gerade auch Beteiligte angesprochen fühlen könnten, die starre und stark hierarchische Organisationsformen, wie sie in vielen großen Konzernen herrschen, umgehen wollen.

Nachteile für die Arbeitnehmer:
Die neueste Rechtsprechung hat es schon gezeigt: Allein schon für das gute alte „Homeoffice“ gelten in Sachen Versicherungsschutz schlechtere Standards als für die Beschäftigung im Unternehmen. Bei den unterschiedlichen Beschäftigungsformen durch das Crowdworking sieht das noch schlechter aus. Die Bedingungen gestalten sich da im Einzelfall extrem unterschiedlich.
Die neue Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führt zu einer „rechtlichen Verunsicherung“, die Arbeitnehmerrechte aushebeln kann.
Ungeklärt sind u.a.:

  • Fragen zur Haftung, zur Sozialversicherung, zu Datenschutz und Privatsphäre.
  • Teilweise scheinen die Entlohnungsmodelle Selbst- und Fremdausbeutung zu begünstigen und die
  • Löhne unter Mindestlohn zu liegen. Außerdem ist die Rede von
  • zuweilen „sittenwidrigen AGBs“, so Vanessa Barth, zuständig für die Plattform http://www.faircrowdwork.org der IG Metall, die mit diesem 2015 gegründeten Unterstützungsangebot auf diese jüngste Entwicklung am Arbeitsmarkt reagiert hat. Das ist umso schwerwiegender, als dass bei der Auftragsvergabe in der Regel kein Arbeitsvertrag mit entsprechenden Schutzrechten zustande kommt,
    bei Fehlen eines solchen und überall dort, wo das klassische Arbeitsrecht nicht greift, jedoch die AGB‘s die Beziehungen zwischen den freien Mitarbeitern und denen, die ihnen Aufträge erteilen, regeln.
  • Die Plattform zum Crowdworking online www.faircrowdwork.org und bietet einen Überblick über einschlägige Arbeitgeber nebst ihren AGB; ebenso wie die Möglichkeit, diese Arbeitgeber zu bewerten.
  • faircrowdwork fördert und ermöglicht die Vernetzung und den Austausch der Crowdworker. Das findet auch anderswo im Internet statt – und ist sehr wichtig, um sich über Erfahrungen und Bewertungen auszutauschen, doch echte Ausbeutung dämmt das nicht immer ein. Wichtig für Frau Barth: Wir kommen mit der Community ins Gespräch“. Mittlerweile richten sich selbst Crowdsourcing-Plattfomen an Frau Barth und bitten um Rat.

Vorteile für den Arbeitgeber:

  • Freier, zum Teil branchenspezifischer Zugriff auf unterschiedliche Mitarbeiterkandidaten,
  • die Möglichkeit, durch einen externen und vielleicht nicht zu 100% der Branche zugehörigen Mitarbeiter einen frischen, unverstellten „Blick von außen“ und kreative Lösungsansätze und Impulse für Innovationen zu bekommen und damit
  • den momentan recht großen Innovationsdruck auf die Unternehmen abzuschwächen, dazu gibt es das sogenannte „Crowdstorming“ eine Art „Brainstorming, Ideensammlung und mit großer Reichweite“, ferner
  • die Möglichkeit, Zugriff auf einen bisher unbekannten Talent-Pool zu erhalten und
  • die Möglichkeit des Austestens interessanter Mitarbeiter-Kandidaten bis hin zu einem spannenden Personalkontakt, den es sonst u.U. nicht gegeben hätte und der zu einem regulären Einstellungsverfahren führen könnte,
  • dazu Möglichkeiten, neue Strukturen und Ideen auszutesten,
  • flexible Einsatzmöglichkeiten von Arbeitnehmern, besonders beim Abpuffern von Auftragsspitzen oder schon voraussehbaren Engpässen, hinzu kommen
  • deutliche Kostenersparnisse.

Nachteile für den Arbeitgeber:

  • Die rechtliche Unsicherheit ist enorm und damit auch
  • die „Chance“, ohne gründliche, saubere Vorbereitung der Maßnahmen, u.U. als „Präzedenzfall“ vor Gericht herzuhalten,
  • die Gefahr, dass man das eigene Talentmanagement in der Firma (weiterhin) vernachlässigt und vielversprechende eigene Leute nicht ausreichend fördert, so dass
  • diese Kompetenzträger aus der Firma auswandern, was den Innovationsdruck noch verstärken könnte.
  • Ferner (weiterhin) die Gefahr, dass man die eigene Innovationskraft innerhalb der Firma nicht ausreichend fördert und aufbaut, sondern sich nur auf Fremdideen und Fremdkompetenzen einlässt und verlässt

Es wird also wieder spannend

Neue Lebens- und Arbeitsbedingungen bringen immer alte Ordnungen in Unruhe. Das Austesten neuer Arbeitsformen, mit denen auf die sich ändernden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen reagiert wird, führt zu sogenannten „Testlandschaften“. Bevor sie sich zu einer  Welt mit echten „Wildwest-Manieren“ entwickeln, sollten sich Vertreter von Wirtschaft, Arbeitnehmerverbänden, Politik, und Netzwerken an einen Tisch setzen. Zu wertvoll sind die neuen Ideen und Ansätze, um vollends wieder unter dem Tisch zu verschwinden. Zu wertvoll sind auch hart erkämpfte und für die neuen Arbeitsformen aller Beteiligten wichtige Menschen- und Arbeitsrechte, um sie zu untergraben. Denn Gesellschaft und Unternehmen benötigen dringend Ideen und Innovationen. Wir wollen sicher in der Zukunft und der Welt 4.0 ankommen und nicht wieder in der ebenfalls relativ “rechtsfreien” vor-/industriellen Zeit landen. Hier sind alle kreativen Köpfe und demokratischen Kräfte gefragt.

Downloads und Quellen zum Vertiefen und Weiterlesen:

Hans-Böckler-Stiftung (media.boeckler.de/Sites/A/Online-Archiv/18813):
Heft der Hans-Böckler-Stiftung, magmb_201602: Mitbestimmung | N r. 2 | April 2016, Thema Crowdsourcing auf den Seiten: 10-14

IG-Metall (https://www.igmetall.de/Christiane%20Benner_Crowdwork_be9d522be390c2b492763179b6a469c499e1eb0b.pdf):
Leseprobe aus: Crowdwork –zurück in die Zukunft ? Perspektiven digitaler Arbeit herausgegeben von Christiane Benner, 2014, 420 Seiten, gebunden, „Euro 29,90, ISBN 978-3-7663-6395-

Aritkel “3 Beispiele für Crowdworking als Zukunfts-Trend in der Arbeitswelt: So wird Ihr Job zum Baukasten” von Stephanie Hornung

Beitrag im Deutschlandfunk zum Crowdsourcing
http://www.deutschlandfunk.de/crowdworking-kreative-koepfe-a-la-carte.680.de.html?dram:article_id=369083

Seite, auf der der Crowdsourcing-Report 2012 vorgestellt wird; herausgegeben von Claudia Pelzer für den Deutschen Crowdsourcing Verband und Karsten Wenzlaff sowie Jörg Eisfeld-Reschke für ikosom.de.
Ausgezeichnet von der ZEIT und  Stiftung lesen, mit einem Beitrag von Simone Janson.