Diese innere Stabilität erlangen wir nicht durch ehrgeizige Agilitäts-Bestrebungen, sondern ausschließlich durch die Weiterentwicklung unserer Persönlichkeit und insbesondere der folgenden Kernkompetenzen:

people doing office works
Foto von Alex Kotliarskyi
  • Entscheidungskompetenz, Durchhaltevermögen, Volition, Resilienz (Persönliche Kompetenzen)
  • Kommunikationsfähigkeit, Vertrauen, Konfliktfähigkeit,  und für Führungskräfte: Führungskompetenz (Soziale Kompetenzen)
  • Projektmanagement Kompetenz, Konfliktmanagement Kompetenz und fachliche Kompetenz (Fach- u. Management Kompetenzen)


Fehlannahme 2: „Nur Komplexität löst Komplexität“

Befürworter agiler Arbeitsweisen nutzen das Gesetz von Ashby für ihre Argumentation, warum Agilität komplex sein müsste, um wirksam zu sein. William Ross Ashby war ein britischer Psychiater und Pionier auf dem Gebiet der Kybernetik. Er formulierte das Gesetz, dass Komplexität nur mit Komplexität absorbiert werden kann. Genau aus diesem Grund – so argumentieren Befürworter – wäre Agilität eine adäquate Herangehensweise um mit der Komplexität der VUKA-Welt zu Rande zu kommen.

Fehlannahme 1: „Agile Werte sind die Werte der Zukunft“

Agilität wird als zukunftsweisende Arbeitsform für die Anforderungen unserer VUKA-Welt gehandelt. Dabei wird sie als eine Vorgehensweise beschrieben, die sich primär an Werten und Prinzipien anstatt an Methoden und Prozessen orientiert . Woher aber kommen diese Werte und Prinzipien? Natürlich aus der Vergangenheit! Sie sind ein Produkt unserer Erfahrungen. Wie also soll die agile Arbeitsweise einem Kontext gerecht werden, der sich durch eine noch nie dagewesene Volatilität und Unsicherheit auszeichnet? Ist es nicht gerade der Umstand, dass uns die Gegenwart und wahrscheinlich auch die Zukunft mit Phänomenen konfrontiert, die wir für unmöglich gehalten hätten? Ist es nicht gerade die Herausforderung, dass bekannte kausale Wirkungszusammenhänge ausgehebelt werden, die uns Kopfschmerzen bereitet?

Denken wir an die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers und die dadurch ausgelöste globale Finanzkrise. Unsere Erfahrungswerte erwiesen sich damals als unbrauchbar, wir waren gezwungen, in neuen Dimensionen zu denken. So wenig uns unsere Erfahrungswerte im Jahr 2008 halfen, so wenig wird Agilität den Anforderungen der VUKA-Welt standhalten können. Während uns VUKA nämlich immer wieder neu zu überraschen vermag, orientiert sich Agilität an dem, was wir bereits kennen: den Erfahrungen und Werten aus unserer Vergangenheit.

Früher, als Ursache und Wirkung logische Zusammenhänge bildeten, reichten Modelle und Berechnungen aus. Spätestens nach den globalen Kriegszeiten wurden weitere Alternativen notwendig. Analogien, Best Practices und Benchmarks wurden erfolgreich in vielen Unternehmen innerhalb diverser Branchen angewendet. In den 80er und90er-Jahren haben Unternehmen vermehrt Szenarientechniken angewendet und das Projektmanagement branchenunabhängig forciert. Letzteres gilt bis heute als Paradigmenwechsel. Zeigt es doch, dass wir zunehmende Komplexität nur mehr in Teams bewältigen  und Projektmanagement dazu hilfreiche Methoden bieten kann.

Heute, in unserer digitalen VUKA-Welt, sind die Dinge jedoch nicht mehr allein logisch erklärbar und vorhersehbar. Deshalb brauchen Unternehmen Mut, neben den genannten Bewältigungsstrategien aus der Vergangenheit, auch neue Zugänge zuzulassen. Visionen könnten wichtiger als Strategien werden. Intuition, Try & Error sollten Arbeitgeber bis zu einem gewissen Grad zulassen. Nicht zuletzt sollten sie Agilität als einen wichtiger Zugang betrachten. Agilität kann aber nur dann funktionieren, wenn jeder einzelne Mitarbeiter im Team innere Stabilität aufweist, die ihn befähigt wirklich agil zu handeln.

Unsere Arbeitswelt wird gerne als „VUKA“  (Volatilität – Unsicherheit bzw. Unvorhersehbarkeit – Komplexität und Ambiguität/Mehrdeutigkeit) beschrieben und für viele ist „Agilität“ heute die Antwort auf die Herausforderungen unserer dynamischen Zeit. Auch wenn Agilität unter bestimmten Voraussetzungen ein adäquater Ansatz sein kann, so setzt dennoch hier meine Kritik an.

Agilität wird bewusst gehypt. Diversen „agilen“ Berater- und Trainerkollegen kann ich das nicht verdenken. Wenn aber Unternehmen undifferenziert und Führungskräfte unreflektiert auf diesem Zug aufspringen, dann möchte ich als warnende Stimme auftreten. Denn wenn wir Agilität zu Ende denken, dann macht sie den Menschen austauschbar – und wenn wir die Entwicklung der Agilitätsbewegung bis heute verfolgen, dann war sie nie sozialromantisch.

Beim Thema Agilität steht der Kunde im Zentrum – bei absoluter Effizienz. Die Werte, auf denen agiles Arbeiten basiert, beruhen nicht – wie so oft fälschlicher Weise behauptet – auf humanistischem Gedankengut. Stattdessen läuft der Mensch – bei Agilität in Reinkultur – sogar Gefahr, ein Mittel zum Zweck zu werden. Dieser Zweck ist nicht die Arbeit auf vermeintlich gleicher Augenhöhe, die vielleicht kurzfristig sogar Spaß mit sich bringt. Der ultimative Zweck ist das System aufrecht zu erhalten. Es braucht „Systemerhalter“, die sich an die extreme Veränderungsdynamik immer wieder neu anpassen können.

Die Herkunft von Agilität reicht weit zurück. Eines der wesentlichsten Konzepte in diesem Kontext ist das Agil-Schema nach Talcott Parsons aus den 1950er-Jahren. Er identifizierte vier dafür notwendige Aufgaben: Adaption als die Fähigkeit eines Systems, sich an sich verändernde Bedingungen anzupassen, Goal Attainment als das Setzen und Durchsetzen von Zielen, Integration als die Fähigkeit Zusammenhalt her- und sicherzustellen sowie Latency, das Potenzial, eine Übereinstimmung individueller und systembezogener Werte und Normen herzustellen und aufrecht zu erhalten.

Interessanterweise ergaben die vier Anfangsbuchstaben dieser Systemaufgaben das Wort „agil“. Parsons Modell wurde in zahlreichen Konzepten aufgegriffen und weiterentwickelt, die überblicksmäßig in vier Entwicklungsphasen eingeteilt werden können. 

1.     Agile Manufacturing
2.    
Agile Software Development

3.    
Agile Organization

4.    
Agile Workforce

Das heute oft zitierte „Agile Manifest“ ist aus der Softwareentwicklung entstanden. Agile Collaboration, die Zusammenarbeit der Effizientesten (Mensch und/oder Roboter) – wie ich die heutige Agilitätsströmung bezeichnen möchte – kann den Wettstreit zwischen den Akteuren in agilen Teams sehr hart werden lassen. Austauschbarkeit ist hier ein logischer Teil des agilen Systems, welches sich selbst konkurrenzfähig in VUKA am Leben erhalten muss. Wer in VUKA die Anpassungsfähigkeit des Systems nicht mehr aufrechterhalten kann, muss ausgetauscht werden. Künftig nicht nur durch Menschen, sondern wenn möglich durch noch effizientere Roboter.

Es klingt paradox, aber die gute Botschaft lautet: Agilität in ihrer aktuell gehypten Darstellung funktioniert nicht. Die Gründe dafür sind divers. Sie liegen einerseits in der Logik der Agilitätstheorie selbst, auf die ich im Folgenden noch näher eingehe. Zum anderen aber stolpert Agilität über Organisationen, Teams und nicht zuletzt den Menschen selbst. Vor allem letzteren haben die agilen Vordenker in ihrer Kalkulation vergessen. Drei zentrale Fehlannahmen liegen dem Konzept der Agilität zugrunde.

Für viele Anwendungsfälle ist  diese Einschätzung durchaus plausibel. Wenn dieses Prinzip allerdings als Bewältigungsstrategie für eine höchst dynamische VUKA-Welt angewendet werden soll, dann lehrt mich die Praxis etwas Anderes: Dort erlebe ich nämlich Tag für Tag, dass Agilität mit ihrer Komplexität und Unsicherheit viele Menschen gleichermaßen überfordert wie es die VUKA-Welt selbst tut. Kaum verwunderlich, erklären sogar Experten, dass man sich dem Komplexitätsgrad von VUKA anpassen müsste, um ihn zu bewältigen. Unternehmen schaffen also etwas Komplexes, um etwas Komplexes zu bewältigen? Wir könnten auch sagen: Schaffen wir etwas Überforderndes, um mit etwas Überforderndem zurechtzukommen! Ob das der richtige Weg sein kann? Ich glaube nicht! Ich glaube, es geht einfacher. Es sind nämlich nicht die komplexen, sich dynamisch verändernden, äußeren Rahmenbedingungen, die unser Agieren dominieren sollen, sondern eine innere Stabilität, die es als einzige Bewältigungsstrategie wirklich mit der VUKA-Welt aufnehmen kann. Der Mensch erreicht diese mit Selbstkompetenz, die er in VUKA nur mit seiner gereiften Individualität und den entscheidenden Kernkompetenzen bewältigt. (Siehe Abbildung „Wege im digitalen VUKA-Sturm“)

Es sind die arbeitenden Menschen, die mich zu der Überzeugung bringen, dass mit der Agilität, wie sie heute gelebt und vor allem verkauft bekommen, etwas faul ist. Diese Menschen sind orientierungslos und überfordert, weil sie sich – oft ohne innere Stabilität – plötzlich an Prinzipien und Werten orientieren sollten, die sie nicht wirklich verstehen, Sie werden zu Getriebenen und verlieren die Selbststeuerung in einer komplexen Außenwelt, die voller Überraschungen ist. Das beobachte ich immer wieder, wenn ich mit verschiedenen Generationen in Organisationen zu tun habe oder auf manche traditionell aufgestellte Unternehmen blicke, mit denen ich zusammenarbeite: Sie versinken im Chaos, arbeiten punktuell zwar effizient agil, lassen allerdings jegliche gemeinsame Ausrichtung auf Dauer vermissen.


Fehlannahme 3: „Agilität ist auf ganze Organisationen übertragbar“

Agiles Arbeiten funktioniert in ausgewählten Bereichen ohne Zweifel ausgezeichnet. So weisen etwa bestimmte Kundenprojekte, die nach agilen Prinzipien umgesetzt werden, höhere Erfolgsquoten auf, weil sie gerade jene Punkte adressieren, die bei traditionell geführten Projekten zu Problemen führen: Sie stellen beispielsweise eine permanente Integration des Kunden sicher und unterstützen dadurch sowohl eine realistische Erwartungshaltung des Kunden gegenüber dem Ergebnis als auch eine klare Zielorientierung des Projektteams. In der Praxis lautet die Schlussfolgerung nach zufriedenstellend abgeschlossenen agilen Projekten wie folgt: „Wenn das hier funktioniert, muss es das auch in anderen Bereichen tun. Wir müssen unser komplettes Unternehmen auf Agilität umstellen!“ Und damit nimmt das Chaos in vielen Fällen seinen Lauf. Agiles Arbeiten kommt wie auch viele agile Organisationsmodelle aus der Softwareentwicklung – und dementsprechend wird häufig agiert. Anstatt ein Unternehmen als das zu sehen, was es wirklich ist, nämlich ein System von Menschen, wird es als ein System von Prozessen und Strukturen betrachtet und auch dementsprechend behandelt. Weder Managementsysteme noch Organisationsmodelle sind aber Betriebssysteme, die man mit Hilfe eines Updates auf „agil“ umstellen kann.

Darüber hinaus stolpern Agilitätsbewegungen immer wieder über dieselben Fallstricke. Sie betreffen verschiedene Fehlinterpretationen, doch haben sie ein und dieselbe Konsequenz: Sie machen agiles Arbeiten in Reinkultur langfristig unmöglich.

AGILITÄTSFALLEN

Agilität total kann es nicht geben, sie ist weder für jeden Menschen noch für jeden Organisationsbereich geeignet.


1.    
Beschleunigungsfalle

Nicht jeder Mitarbeiter ist für Agilität geschaffen, Menschen lassen sich nicht einfach „updaten“. Nicht jeder Mitarbeiter eines Unternehmens ist dafür geschaffen, selbstorganisiert zu arbeiten, sich immer wieder auf neue Teammitglieder einzulassen, regelmäßig Entscheidungen zu treffen, sich einerseits permanent fachlich wie persönlich weiterzuentwickeln und sich andererseits absolut neuen Kunden und Erfordernissen anzupassen.

2.     Machtfalle

Trotz aller Agilität bleiben Hierarchien bestehen. Zum einen gibt keine Führungskraft freiwillig ihre Macht und Privilegien ab, zum anderen muss letztendlich jemand verantwortlich sein, auch im juristischen Sinne (Haftbarkeiten). Das einzige, was sich geändert hat, sind vielfach die Insignien der Macht: Firmenwagen, Büro mit Panoramablick und handgenähte Schuhe sind durch Sneaker, cooles Auftreten und digitale Tools  ersetzt.

3.     Flexibilitätsfalle

Total agil funktioniert nicht: Erst eine stabile Grundorganisation ermöglicht es Unternehmen, in den Bereichen schnell und flexibel zu reagieren, in denen es auch notwendig ist. Das gilt nicht nur für die Organisationsstruktur, sondern auch für die Unternehmenskultur und Psyche der Belegschaft: Radikale Veränderungen führen in der Regel zu Verunsicherungen, die einen Schaden anrichten, der monetär kaum zu beziffern ist. Dazu genügt eine auf Projektmanagement professionell aufgestellte Organisation nicht, sie muss beispielsweise auch „konfliktfest“ aufgestellt sein. Mit entsprechend ausgebildetem Personal und Klarheit, was wann mit wem im Krisen- und Konfliktfall getan werden muss.


4.    
Generationenfalle

Jüngere Generationen sind in der Regel agiler als ältere; gehen aber auch schneller, wenn ihnen etwas nicht passt. Dieses Verhalten passt in die aktuelle Agile-Collaboration-Strömung. Ältere bleiben aber, obwohl sie schon resigniert und innerlich gekündigt haben. Sie passen tendenziell nicht ins agile Schema und sind Garanten für Burnout und gelebte Orientierungslosigkeit.


5.    
Konfliktfalle

Teamarbeit birgt Konfliktpotenziale zwischen verschiedenen Akteuren. Ist der Konflikt da, bleiben die Eskalationsmechanismen immer die gleichen. Auch Mitarbeiter mit einem „agilen Mindset“ und agiler Arbeitsweise kommen nicht um zwischenmenschliche Spannungen herum. Sich die Arbeit von Tag zu Tag neu zu organisieren, ist das eine. Einen Konflikt „selbstorganisierend“ zwischen den betroffenen Teammitgliedern zu behandeln, ist ab einem gewissen Eskalationsgrad unmöglich.


6.    
Führungsfalle

Führungskräfte sind ähnlich überfordert mit sich selbst organisierenden Teams wie so manches Teammitglied – sie wissen oft nicht, wie und warum sie überhaupt noch führen sollen. Der Rollenwechsel vom Bestimmer zum Ermöglicher ist nicht für alle leicht und vom Manager/Macher zum reinen Ermächtiger oft frustrierend. Der Chef in der Stammorganisation wirkt oft abgeschnitten von Kunden und anderen Gruppen, mit denen das Team nun direkt im Kontakt ist. Kontrolle als ureigene Führungsaufgabe wird zur bloßen Vertrauensaufgabe degradiert.


7.    
Fragilitätsfalle

Sicherheit und Stabilität des Personals gründeten sich seit Jahrzehnten auf jenen Dingen, die Transformationsprozesse jetzt abschaffen: Bestehende Hierarchien, Zuständigkeiten und Prozesse. Damit ist auch der psychische Krankenstand gestiegen. (Knieps F: Pfaff H. (Hrsg.) 2017: Digitale Arbeit – digitale Gesundheit. BKK Gesundheitsreport 2017) Denn das waren die Strukturen, die lange Halt und Schutz gaben. Der Mensch ist kein „Human Doing“ sondern ein „Human Being“, wie es Samuel Koch ausdrückte. Wir haben Stärken und Schwächen, Gefühle und Bedürfnisse. Und so, wie Führungskräfte Bedürfnisse wie Verantwortungsübernahme, Macht und Einfluss gerne stillen und andere führen, genauso gibt es Mitarbeiter, denen die klassische Führungskraft eben Orientierung und Sicherheit schenkt.


8.    
Zugehörigkeitsfalle

„Eigentlich habe ich keinen Job mehr“ sagte Hollie Delaney, eine ehemalige Führungskraft des Online-Handelshauses Zappos – ein auf Holokratischer Grundordnung agil ausgerichtetes Unternehmen. Der Mensch braucht als geborenes soziales Wesen Gemeinschaft mit Abhängigkeiten und empfundener Zugehörigkeit. Teams mit gemeinsamen Ritualen können diesem Ursprung gerecht werden. Dafür benötigen wir aber Zeit. Auch mit agilen Methoden ist es möglich, Rituale und Austausch zu schaffen. Sie degradieren aber Teammitglieder oft zu Lieferanten, die Backlogs und sonstige Bringschulden in täglicher Taktung zu erfüllen haben. 


9.    
Reifefalle

Wenn die Verantwortung des Einzelnen steigt und die Anweisungen und Kontrolle durch Vorgesetzte verschwinden, entsteht ein Vakuum, das nur mit Eigenverantwortung gefüllt werden kann. Dazu gehört auch das Verantwortungsgefühl dem Unternehmen gegenüber. Das aber setzt die persönliche Reife eines jeden Einzelnen voraus, die längst nicht immer gegeben ist.

Fazit

Wir haben aus der Vergangenheit nicht gelernt. Ich konnte als junger angehender Banker Eruptionen wie an der damals gehypten Technologiebörse „Der neue Markt“ in Frankfurt und den Beginn der gehypten Asset Backed Securities in New York miterleben. Der „Neue Markt“ existiert nicht mehr und die „grenzgenialen“ Asset Backes Securities waren der Beginn der größten Finanzkrise aller Zeiten. Ähnlich wie damals, sehe ich heute wieder eine ähnlich große Euphorie, wenn nämlich über Agilität, New Work und Effizienz in Zeiten von „Agile Collaboration“ gesprochen wird. Ähnlich wie damals sehe ich auch heute wieder das Funkeln in den Augen potenzieller Gewinner, heute sind dies viele meiner Managementberaterkollegen, und es erinnert mich an das damalige Funkeln meiner ehemaligen Bankberaterkollegen. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass bei dieser extremen Kundenhuldigung der Mensch als einfacher Mitarbeiter nicht auf der Strecke bleibt, und er das erneut entfachte Feuer nicht wieder wird löschen müssen.

Unternehmenslenker und Führungskräfte von sehr großen Organisationen möchte ich vor unternehmensweiten (vorschnellen) Agilitätsbestrebungen warnen. Um Agilität in einem Unternehmen nämlich ganzheitlich leben zu können, müsste eine fundamentale Veränderung in eine „adaptable Organization“ vollzogen werden. Große Unternehmen müssten eine Art „Start-up-Mindset“ kulturell etablieren, so dass Teams agile Methoden in Netzwerken anwenden. Bei volatilen, dynamischen und oft unvorhersehbaren Veränderungen in den Umwelten und makroökonomischen Systemen müsste das wettbewerbsorientierte Unternehmen eigene kundenorientierte Subsysteme positionieren, die mit externen Netzwerkpartnern kollaborieren und aufkommende Veränderungen antizipieren sowie im Sinne der Kunden flexibel reagieren können.

Zu Ende gedacht bedeutet dies für Führungskräfte, dass sich deren Konfliktpotenziale nochmals erhöhen. Sie müssen sich nämlich nicht mehr nur innerhalb formaler und informeller Machtsysteme in der bestehenden Organisation bewähren, sondern werden auch Teil der agilen Subsysteme, wo sie nicht mehr direkt bestimmenden Einfluss haben.


Literaturtipp:

Die Agilitäts-Falle. Wie Sie in der digitalen Transformation stabil arbeiten und leben können. Von Thomas Würzburger. Vahlen 2019.