BAG vom 18. November 2011, 10 AZR 60/11

people around table in cafeteria
Foto von AllGo – An App For Plus Size People

Sachverhalt

Seit 2003 zahlte der beklagte Arbeitgeber ein jährliches Treuegeld an die Mitarbeiter nach Maßgabe einer „Musterbetriebsordnung“, die aber keine Betriebsvereinbarung war. Am 1. Januar 2008 trat eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung in Kraft. Die Zahlung der Treuegelder wurde daraufhin eingestellt. Hiergegen klagte ein Mitarbeiter.

Die Entscheidung

Das BAG gab dem Mitarbeiter recht: Die Verpflichtung zur Zahlung der Treuegelder sei nicht durch die Einführung der betrieblichen Altersversorgung abgelöst worden. Der Anspruch auf die Treuegelder bestehe daher auch über den 1. Januar 2008 hinaus.

Die Zahlung des Treuegeldes beruht auf einem vorbehaltlosen vertraglichen Anspruch aufgrund der Musterbetriebsordnung. Auch wenn die Musterbetriebsordnung keine Betriebsvereinbarung ist, so weist sie dennoch einen kollektiven Bezug auf, da sie Teil einer generellen Regelung gegenüber allen Mitarbeitern ist. Das BAG führt aus, dass ein solcher vertraglicher Anspruch mit kollektivem Bezug durch eine spätere Betriebsvereinbarung abgelöst werden könne, wenn die Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung gegenüber der bisherigen Regelung für die Gesamtheit der betroffenen Mitarbeiter nicht ungünstiger sei. Noch weitergehend könne eine Ablösung dann erfolgen, wenn die vertragliche Regelung “betriebsvereinbarungsoffen” sei, weil sie einen Vorbehalt der Ablösung durch eine spätere Betriebsvereinbarung enthielte.

Doch letztlich mussten die Richter auf diese materiellen Anforderungen für eine wirksame Ablösung der Musterbetriebsordnung zum Treuegeld durch die Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung nicht eingehen. Denn das Gericht stellte fest, dass der Betriebsvereinbarung nicht zu entnehmen sei, dass die Zahlung des Treuegeldes eingestellt werden solle. Solle eine Betriebsvereinbarung vertragliche Ansprüche auf eine Sozialleistung ablösen, müsse dies ausdrücklich bestimmt sein. Dies sei nicht der Fall.

Das BAG führte weiter aus, dass sich eine Ablösung aber auch durch Auslegung der nachfolgenden Betriebsvereinbarung ergeben könne. Dabei sei der Leistungszweck der jeweiligen Sozialleistung maßgeblich. Wenn der Leistungszweck der nachfolgenden Betriebsvereinbarung dem des einzelvertraglichen Anspruchs entspreche, könne darin der Wille zur Ablösung der bisherigen Leistung zum Ausdruck kommen. Doch seien im konkreten Fall die Zwecke der Leistung des Treuegeldes und der betrieblichen Altersversorgung unterschiedlich. Das Treuegeld diene der Anerkennung der Betriebstreue, die Betriebsvereinbarung solle eine zusätzliche wirtschaftliche Absicherung im Alter gewährleisten. Die Betriebsvereinbarung habe daher die Zahlung des Treuegeldes nicht abgelöst.

Unerheblich sei nach Ansicht des BAG, dass der Geschäftsführer in einer Betriebsversammlung geäußert habe, die Zahlung des Treuegeldes werde durch die betriebliche Altersversorgung ersetzt. Der Ablösewille müsse in der Betriebsvereinbarung selbst zum Ausdruck kommen.

Fazit

Das BAG stellt in seiner Entscheidung eine formale Anforderung an die Ablösung einer Sozialleistung durch eine andere im Rahmen einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung. Eine solche Ablösung muss eindeutig geregelt werden, im Idealfall durch eine ausdrückliche Formulierung in der neuen Betriebsvereinbarung. Ob darüber hinaus die materiellen Voraussetzungen (insbesondere Günstigkeitsvergleich und Betriebsvereinbarungsoffenheit) vorliegen, ist sodann noch zu prüfen, war im vorliegenden Fall aber nicht mehr Gegenstand der Entscheidung. In der Praxis wird dies – zumindest für die Ablösung einer betrieblichen Altersversorgung – regelmäßig problematisch sein.

Viele Unternehmen haben die Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen durch Beitragszahlungen zugunsten der betrieblichen Altersversorgung ersetzt. Andere spielen mit dem Gedanken, dies noch zu tun. Den Anstoß zu solchen Modellen haben zahlreiche Tarifverträge der jüngeren Vergangenheit gegeben (z.B. Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge in der chemischen Industrie West oder Tarifvertrag über altersvorsorgewirksame Leistungen in der Metall- und Elektroindustrie). Bei einer solchen „Umwidmung“ von vermögenswirksamen Leistungen zugunsten der betrieblichen Altersversorgung sollte daher dem BAG folgend eindeutig geregelt werden, dass die Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen entfällt. Denn allein aus dem Leistungszweck folgt eine Ablösung nicht unbedingt: vermögenswirksame Leistungen dienen dem Vermögensaufbau, die betriebliche Altersversorgung der Absicherung im Alter.

Auch bei der Ablösung einer betrieblichen Altersversorgung durch eine spätere Regelung zur betrieblichen Altersversorgung sollten Arbeitgeber dem Rat des BAG folgen und eine möglichst eindeutige Regelung über die Ablösung treffen. Soweit in der Vergangenheit eine etwas „hemdsärmelige“ Umsetzung erfolgt sein sollte, ergibt sich möglicherweise zumindest aus demselben Leistungszweck, dass die spätere Regelung die vorhergehende ablösen sollte. Doch ist bei der Umgestaltung der betrieblichen Altersversorgung Vorsicht geboten, wenn die neue Versorgung derart von der bestehenden abweicht, dass die Vermutung nahe liegt, die zweite Versorgung solle ergänzend neben die erste treten. Dies kann zum Beispiel dann problematisch sein, wenn eine arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung durch eine arbeitnehmerfinanzierte Altersversorgung (ggf. mit einem Zuschuss des Arbeitgebers) abgelöst werden soll. Eine Ablösung oder auch Schließung einer bestehenden Versorgung ergibt sich in diesem Fall nicht zwangsläufig.