Im Gegensatz zur Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), die einzelne Instrumente wie einen Zuschuss für das Fitness-Studio, die klassische Rückenschule oder weitere Bewegungsangebote enthält, erfordert Betriebliches Gesundheitsmanagement einen systematischen und nachhaltigen Ansatz. Ziel ist es, mit den passenden Instrumenten gesundheitliche Fähigkeiten und Ressourcen im Unternehmen zu entwickeln, die zu einer besseren Arbeitsorganisation und insgesamt zu besseren Arbeitbedingungen beitragen. Vor allem die Führungskräfte sollten sich dabei die Kompetenz aneignen, wie sie Krankheiten in ihrem Einflussbereich minimieren.

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Foto von Andrew Neel

Die TNS Infratest hat im Jahr 2009 im Auftrag der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) 500 Geschäftsführer, Personalleiter und BGM-Zuständige zum Einsatz von Betrieblichem Gesundheitsmanagement befragt (erschienen im Fehlzeiten-Report 2010). Demnach führen immer noch mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Unternehmen kein Betriebliches Gesundheitsmanagement durch. Bei der Einführung sind meistens das Management (75 Prozent) oder die Personalabteilung (61 Prozent) die Treiber. Soziale Verantwortung nannten die Befragungsteilnehmer mit 91 Prozent am häufigsten als Grund, ein BGM einzuführen.

In der Praxis ist heute auch das Personalmarketing oft verantwortlich dafür, sich Gedanken über ein BGM zu machen. „Die positive Außenwirkung als attraktiver Arbeitgeber ist für uns ein Argument für das BGM“, sagt Annette Gerlach, die als Personalreferentin bei der Schenker AG für das Betriebliche Gesundheitsmanagement verantwortlich ist. „Wir gehören zum Konzernverbund der Deutschen Bahn. Aber die Zentrale der Schenker AG, Essen, ist fast weniger bekannt als die operativen Landesgesellschaften, so dass für unser Recruiting ein gutes Image entscheidend ist“, so die Personalerin.

Annette Gerlach,

Personalreferentin, Schenker AG:

„Die positive Außenwirkung als attraktiver Arbeitgeber ist für uns ein Argument für das BGM“.

„Active Health“ bei der Schenker AG

Im Jahr 2009 startete das Programm „Active Health“ der Schenker AG nach einer etwa einjährigen Konzeptionsphase. „Gerade hier im Headoffice arbeiten viele Kollegen im Vertrieb oder verrichten Bürotätigkeiten vorrangig im Sitzen“, erzählt Gerlach. „Da können schon einmal Probleme im Schultern- und Nackenbereich auftauchen.“ Außerdem werde Stress und eine hohe Arbeitsbelastung immer häufiger zum Problem für die Beschäftigten. Dem soll das betrieblich geförderte Gesundheitsmanagement der Schenker AG gegensteuern.

„Unser „Active Health Programm“ besteht vor allem aus Schulungen und Gesundheitstagen, die es den Mitarbeitern ermöglichen sollen, Stress am Arbeitsplatz zu vermeiden. „Die Maßnahmen in unserem Betrieblichen Gesundheitsmanagement sind hauptsächlich dazu da, Bewusstsein für eine gesunde Lebenseinstellung zu entwickeln“, so Gerlach.

Bei einem Laufprogramm gehe es darum, dass Beschäftigte lernen, Bewegung in den Arbeitsablauf zu integrieren, indem sie etwa die Treppen nehmen anstatt mit dem Fahrstuhl zu fahren. Geplant sind für 2011 unter anderem die Vortragsreihe „Drei Säulen der Ernährung“ oder auch das Thema Stressmanagement. Ein Gesundheitstag zu dem Thema sei bereits sehr gut angekommen. „Bei den Gesundheitstagen können die Mitarbeiter an unterschiedlichen Stationen Wissenswertes über ihre eigene Gesundheit erfahren und so zum Beispiel eine CSI (Cardio-Stress-Index)-Messung oder auch eine sogenannte Bio-Impedanz-Analyse durchführen lassen.“ Bei letzterem geht es um die Ermittlung der exakten Körperzusammensetzung aus Muskeln, Fett, Wasser, fettfreier Masse, Flüssigkeitshaushalt innerhalb und außerhalb der Zelle mit direkter graphischer Auswertung und konkreten Empfehlungen.

Das Interesse der Belegschaft an solchen Gesundheitsangeboten nehme stetig zu. Ein Erfolgsfaktor sei dabei, dass es den Beschäftigten vollkommen freistehe, diese Angebote anzunehmen. Wichtig für den Erfolg sei auch positive Mund-zu-Mund-Propaganda. „Wir haben ganz viele Wiederholungstäter, die immer wieder zu unseren Veranstaltungen kommen und neuen Kollegen begeistert davon berichten“, so Gerlach.

Ein Hindernisgrund, die Angebote in Anspruch zu nehmen, sei jedoch der deutlich spürbare Zeitmangel. „Wir versuchen die Angebote zwar so zu legen, dass sie nicht in die Kernarbeitszeiten fallen, aber für viele Mitarbeiter hat einfach das Tagesgeschäft Vorrang.“

Was die BGM-Einführung hemmt oder verhindert

Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen der iga-Studie: 60 Prozent der Unternehmen beobachten Schwierigkeiten bei der BGM-Einführung, weil das Tagesgeschäft wichtiger ist. In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten ist dieses Problem besonders eklatant: Sogar 70 Prozent nennen in dieser Unternehmensgröße den Vorrang des Tagesgeschäfts als größte Hürde. In mehr als der Hälfte der Firmen fehlen auch die personellen und zeitlichen Ressourcen für das BGM. Zudem beklagen viele Unternehmen das fehlende persönliche Engagement für den BGM-Prozess (35 Prozent) und eine mangelnde Motivation der Belegschaft (32 Prozent).

Tom Conrads,

Geschäftsführer,

insa Gesundheitsmanagement

„Die Unternehmen denken teilweise zu maßnahmenorientiert.“

„In der Vergangenheit sind die Führungskräfte im BGM-Prozess fast immer unzureichend mit Wissen versorgt worden“, sagt Tom Conrads, Geschäftsführer des Dienstleisters insa Gesundheitsmanagement. Dabei sei der Bedarf groß, zu erklären, wie Führung gesunde Strukturen schaffen könne. Glücklicherweise beginne sich diese Erkenntnis in den Unternehmen durchzusetzen. Ein Manko bestehe allerdings fort: „Die Unternehmen nehmen sich nicht genug Zeit für ihre Aktionen“, so der BGM-Experte. Oft seien die Ideen gut, aber es fehle an einem konkreten Gerüst, um das Gesundheitsmanagement dauerhaft zu implementieren. „Die Unternehmen denken teilweise zu maßnahmenorientiert.“

Instrumente, die nicht auf einer grundlegenden Analyse beruhten, seien oft nicht zielgerichtet genug und kämen bei den Mitarbeitern nicht an – oder bei den falschen. „Der klassische Fall ist, dass nur die gesunden Menschen und die, die sowieso schon aktiv sind, an den Maßnahmen teilnehmen.“ Hinzu komme häufig, dass die Kommunikation nicht optimal sei, so dass sich manche Beschäftigte eine Teilnahme nicht zutrauten, weil sie fürchten, überfordert zu sein oder beobachtet zu werden. Es gelte, die richtigen Angebote für die passende Mitarbeitergruppe zu finden.

Medizinische Rückenschule für Lagerarbeiter? Ein No-go

Conrads nennt Beispiele: „Wir sollten für ein Unternehmen mit Lagerarbeitern ein Rückengesundheitstraining konzipieren.“ Diese Lagerarbeiter hätten schon mehrfach Kurse zur medizinischen Rückenschule angeboten bekommen, um ihnen beizubringen, wie sie richtig heben – etwa indem sie in einem 90-Grad-Winkel zu einem Regal stehen. In der Praxis habe sich das jedoch als nicht praktikabel erwiesen: Da die Beschäftigten im Akkord arbeiteten, interessierten sie sich nicht für die Kurse und wendeten sie bei Teilnahme auch nicht an. „Deshalb mussten wir ein Konzept finden, das die Lagerarbeiter anspricht und das auch hilft: Wir haben das Rückengesundheitstraining in ein Boxtraining verpackt, das die Rückenmuskulatur stärkt. Und die Maßnahme wurde ein großer Erfolg.“

Für die Generation 50plus oder Büromitarbeiter böten sich wiederum ganz andere Ansätze an – beispielsweise Seminarreihen, die auf kognitiver Ebene stattfinden und die Betriebe mit Aktivinstrumenten ergänzen. „Bei dieser Zielgruppe können Sie auch mit medizinischen Begriffen agieren“, so Conrads. Es gelte aber darauf zu achten, wer die Seminarreihen leite. „Da ist es dann manchmal besser, es kommt ein Herr Doktor als jemand ohne einen akademischen Titel.“

Ein Problem sei dabei in der Praxis eine gewisse Planungsunsicherheit. Viele Projekte lägen teilweise über Jahre in der Schublade, bevor sie zum Zuge kämen. „Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass für die Unternehmen oft andere Projekte Priorität haben, deren wirtschaftlicher Nutzen schneller und deutlicher erkennbar ist“, meint Conrads. Das bestätigt die iga-Studie aus dem Jahr 2009: 70 Prozent der Betriebe mit BGM gehen zwar davon aus, dass das Thema auch in Zeiten der Krise wichtig ist. Aber die Hälfte der Unternehmen ohne BGM glaubt, dass Betriebliches Gesundheitsmanagement in Zukunft an Bedeutung verliert.

BGM hat Zukunft

Die Vorzeichen haben sich jedoch geändert. Mit dem Aufschwung und dem sich immer stärker ausbreitenden Fachkräftemangel beginnen die Unternehmen weiche Faktoren wie die höhere Motivation, Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter wieder zu schätzen. „Viele Unternehmen wollen sich auch dem Fachkräftemarkt für die Zukunft noch besser aufstellen und schieben deshalb gesundheitliche Maßnahmen an“, hat Conrads beobachtet. „Als Dienstleister dürfen wir jetzt wieder komplette Pakete konzeptionieren. Kundenunternehmen, die wir schon länger betreuen, wollen nun häufig von der Gesundheitsförderung in das Gesundheitsmanagement einsteigen.“

Auch Annette Gerlach glaubt, dass das BGM in ihrem Unternehmen zukünftig eine hohe Priorität hat. „Wir suchen verstärkt Fachkräfte und das Betriebliche Gesundheitsmanagement trägt dazu bei, sie zu rekrutieren und im Unternehmen zu halten.“ Bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen auch im Hinblick auf den demografischen Wandel die Notwendigkeit erkennen, Beschäftige bis ins hohe Alter fit halten zu müssen.

Literaturtipp:

Bernhard Badura u.a.: Fehlzeiten-Report 2010. Vielfalt managen: Gesundheit fördern – Potenziale nutzen. Springer, 2010. ISBN 978-3-642-12897-4 (Der Report erscheint jährlich).