BAG, Urteil vom 20. Januar 2009, 1 AZR 515/08

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Eine für den Abschluss von Tarifverträgen zuständige Gewerkschaft hatte an Arbeitnehmer eines Betriebes E-Mails geschickt, die Informationen und Mitgliederwerbung enthielten. Der Arbeitgeber hatte den Mitarbeitern allerdings (zulässigerweise und wirksam) verboten, den E-Mailverkehr und die betrieblichen E-Mailadressen zu privaten Zwecken zu verwenden. Arbeitgeber und Gewerkschaft stritten darüber, ob der Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft einen Anspruch auf Unterlassen der Kontaktierung seiner Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mailadressen hat.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Gegensatz zu den Vorinstanzen entschieden, dass eine entsprechende Mitgliederwerbung (während der Arbeitszeit!) zulässig sei. Das Gericht hat dies mit der sogenannten Koalitionsfreiheit und der Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften begründet. Soweit einerseits Grundrechte der Gewerkschaft (Artikel 9 Abs. 3 Satz 1 GG) und andererseits Grundrechte des Arbeitgebers (insbesondere Artikel 14 Abs. 1 GG – geschütztes Eigentumsrecht – oder Artikel 2 Abs. 1 GG – Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) konkurrieren, sei eine Abwägung der jeweiligen Interessen vorzunehmen. Im vorliegenden Fall sei es durch die E-Mails nicht zu „nennenswerten“ Betriebsablaufsstörungen oder „spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen“ gekommen. Daher sei die Interessenabwägung zugunsten der Gewerkschaft vorzunehmen gewesen.

Erstaunlich ist, dass der Arbeitgeber in diesem Verfahren durch drei Instanzen hindurch wohl keine Störungen des Betriebsablaufs oder messbare wirtschaftliche Nachteile durch die gewerkschaftlichen E-Mails vorgetragen hatte. Insoweit fehlte natürlich für das BAG auch jeder Ansatz einer Interessenabwägung: Wo kein Interesse geltend gemacht wird, gibt es auch nichts zugunsten des Arbeitgebers abzuwägen. Der Arbeitgeber hätte vorliegend ausführlich vortragen und unter Beweis stellen müssen, dass die Übersendung von E-Mails an die betriebliche E-Mailadresse den Betriebsablauf und die Vermögensverhältnisse des Unternehmens belastet. Angesichts von Flatrates und geringen Papierpreisen dürften hier am wenigsten wirtschaftliche Belastungen festzustellen sein. Entscheidend ist aber letztlich die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die E-Mail lesen, gegebenenfalls ausdrucken und möglicherweise sogar noch mit Kolleginnen und Kollegen hierüber diskutieren.

Praxistipp:

Im vorliegenden Fall hätte der Arbeitgeber auch überprüfen müssen beziehungsweise können, wie die Gewerkschaft in den Besitz der internen individuellen betrieblichen E-Mailadressen gekommen ist. Hier könnte ein Verrat von Betriebsgeheimnissen oder ein Verstoß gegen die den Arbeitnehmer betreffende Verschwiegenheitsverpflichtung vorliegen.

Weitere Informationen: www.edk.de