In Indien, genau wie in China, suchen deutsche Unternehmen händeringend qualifizierte Führungskräfte. Allerdings ist die Ausgangssituation dort viel besser, da Indien die größte englischsprachige Nation der Welt ist. Englisch ist offizielle Amts-, Geschäfts- und Forschungssprache. Die britische Kolonialmacht hat das Bildungssystem eingeführt und ihren Normen entsprechend ausgerichtet. Seit Jahrzehnten bildet Indien zahlende Jugendliche an weiterführenden Schulen und Universitäten aus, meist in Englisch. Einen intellektuellen Kahlschlag, wie China ihn in der Kulturrevolution erlebte, hat sich Indien erspart.

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Foto von Thomas Lefebvre

Jährlich kommen vier Millionen Absolventen akademischer und technischer Ausbildungsgänge auf den Arbeitsmarkt. Einige haben sogar im westlichen Ausland studiert und somit Erfahrung im Umgang mit Amerikanern oder Europäern. Aber ihnen fehlt die Erfahrung, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten oder gar Mitarbeiter zu führen. Denn bis 1991 hatte sich Indien stark von der übrigen Welt abgeschottet. Seit den Reformen der vergangenen Jahre hat der Wirtschaftsboom in Indien eine solche Kraft entfaltet, dass viele Unternehmen dringend solche international erfahrenen Fach- und Führungskräfte benötigen. Diese sind jedoch rar.

Also entsenden deutsche Unternehmen Expatriates in ihre indischen Niederlassungen. Dies ist aber nur eine Lösung auf Zeit, zudem sehr teuer. Expats verfügen über große Erfahrung mit dem eigenen Unternehmen und seinen Produkten oder Dienstleistungen.

Staunen im Multikulti-Kontinent

Aber die vielfältige indische Geschäftsund Lebenswelt des Multikulti-Subkontinents mit 18 Haupt- und diversen Regionalsprachen, 35 Bundesstaaten und Union Territories, verschiedenen Klimazonen, unterschiedlichen Religionen, Kasten, Ethnien und Landesteilen stellt sie vor große Herausforderungen. Sie können kaum ein umfassendes Verständnis für die verschiedenen lokalen Märkte in Indien entwickeln und angepasste Marketing- und Vertriebsstrategien aufbauen. Es braucht Zeit, bis sie sich in die Mentalität und vielfältigen Traditionen einleben und ihre indischen Mitarbeiter erfolgreich führen können.

Manche Unternehmen entsenden daher junge Mitarbeiter, die noch nicht familiär gebunden und womöglich aufgeschlossener für neue Kulturen sind als „ältere Semester“. Aber Jugend ist eher hinderlich in einem Land, in dem Seniorität und Hierarchie extrem viel gelten. Der junge Manager wird mangels Lebensalters und respektablen Rangs in Indien nur schwerlich Autorität ausüben können, egal wie viel Expertise er fachlich zu bieten hat. Entscheidungsträger wer den ihn oft nicht einmal empfangen. Die deutschen Unternehmen lernen, dass man indische Führungskräfte mit langjähriger Erfahrung im Vertrieb westlicher, qualitativ hochwertiger und entsprechend hochpreisiger Produkte benötigt. Diese sind dünn gesät und heiß begehrt. Sie wissen um ihren Wert und ihre exzellenten Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Heimvorteile nutzen

Um sie zu gewinnen und ans Unternehmen zu binden, braucht es mehr als ein hohes, jährlich steigendes Gehalt mit Boni. Wichtig sind Karriereperspektiven, Schulungen im Ausland, gute Sozialleistungen und weitere Incentives.

Erfolgversprechend ist es, die starke Familiengebundenheit von Indern zu berücksichtigen. Dazu haben einige Unternehmen Familienversicherungen eingeführt, organisieren Betriebsausflüge und -feiern für die ganze Familie oder geben einen Newsletter für die Familien heraus, der über das Unternehmen informiert. Der Besuch von erkrankten Angehörigen durch Spitzenkräfte soll den Mitarbeitern zeigen, wie sehr sich ihr Arbeitgeber um sie und ihre Familie kümmert. Das gibt Indern ein gutes Gefühl. Ein vertrauensvolles Betriebsklima mit starken persönlichen Beziehungen ist ein wichtiges Argument, das für sie eine angenehme Arbeitsatmosphäre schafft und sie im Betrieb hält.

Autorin

Brigitte Granier M. A., Beraterin für Asien als Gründerin

von IS C&C International Service, Coach & Consulting, Erlangen

Quelle: Personalwirtschaft – 02/2008