Fachbeitrag Digitalisierung

Expertenrunden, Fachkonferenzen, Branchenmedien – sie alle zeichnen aktuell ein Bild: Human Resources (HR) steckt mitten in einem radikalen Wandel. Entwicklungen wie Data Driven Recruiting oder Recruiting Automation sind in vielerlei Hinsicht die Zukunft. Denn HR muss endlich effizienzorientierter arbeiten. Zahlen, Daten, Fakten – sieht so die Zukunft aus? Wo bleibt der Mensch zwischen Prozess und Technik?

Weil sich alles um den Menschen dreht – Fachbeitrag Digitalisierung
Weil sich alles um den Menschen dreht – Fachbeitrag Digitalisierung

Gerade der Jahresanfang lädt ein, über HR-Trends und zukunftsweisende Themen zu diskutieren. Unglaublich komplexe Themen, zum Beispiel Digitalisierung, Transformation, Automation und Agilität schallen durch den Raum. Ja, die Arbeitswelt befindet sich im Wandel – unumstritten. Das vielfach gewünschte Patentrezept, um bei diesem Wandel mithalten zu können, gibt es jedoch nicht. Dafür sind die Voraussetzungen, Erwartungen und Einflussfaktoren in Unternehmen viel zu unterschiedlich.

Viele Personaler haben für ihre Unternehmen schon Prozesse neu strukturiert, digitalisiert und automatisiert. Andere scheinen jedoch in der zunehmend prozess- und datengetriebenen Welt von Zeit zu Zeit die Orientierung zu verlieren. Statt ihnen gegenüber mahnend den Zeigefinger zu erheben, sollten wir uns ehrlich fragen: Ist das so verwunderlich?

Weil uns Vorurteile nicht voranbringen

HR haftet vehement der Ruf an, rückständig und träge zu sein. Noch deutlicher kommt dies meines Erachtens zum Vorschein, wenn sich das Personalmarketing, das vielfach im Bereich HR angesiedelt ist, mit dem Produktmarketing messen soll. Machen wir uns nichts vor: Das Produktmarketing entwickelt sich deutlich schneller. Was heute en vogue ist, ist übermorgen ein alter Hut.

Und das Personalmarketing? Das stolpert unsicher hinterher. So lautet zumindest das weit verbreitete Vorurteil. Zwischen Mittelmäßigkeit glänzen einige schöne Highlights. Aber im Großen und Ganzen – nun ja, sagen wir: ausbaufähig. Wer so drastisch urteilt, entmutigt HR. Es muss darum gehen, Personaler abzuholen und auf die große Reise mitzunehmen. Dabei hat jeder seinen eigenen Startpunkt, setzt unterschiedliche Meilensteine und definiert ein individuelles Ziel. Jeder bestimmt das Tempo selbst. Nur eines funktioniert nicht: Stillstand.

Weil es um Respekt und Achtsamkeit geht

Im Grunde ist es doch nachvollziehbar, dass sich HR mit den vielen Entwicklungen und Trends manches Mal schwertut. Schließlich geht es um Menschen, um Beziehungen, um Perspektiven – um Respekt und Achtsamkeit.

Wenn wir unmittelbar einen Vergleich zwischen Produktmarketing und Personalmarketing ziehen möchten, müssten wir in der Konsequenz auch vom Menschen als Faktor sprechen. Beziehungsweise vom Menschen als Gut, der wie ein Produkt variabel modifiziert und für den Erfolg zwangsläufig optimiert werden muss. Aber wäre das dann noch respektvoll und achtsam?

Weil HR so vielen Rollen gerecht werden muss

HR’ler sind nicht per se Trend Scouts. Sie haben sich in ihrer beruflichen Laufbahn nicht zwangsläufig Grundlagen des (Online-)Marketings aneignen oder mit der Konzeption von Webseiten und der Suchmaschinenoptimierung vertraut machen können.

Nicht jeder HR’ler hat gelernt, Daten zu erheben und zu analysieren. Erfahrungen mit sozialen Netzwerken und mit der Organisation von Events resultieren zumeist aus dem privaten Umfeld. Als Brand Manager der Arbeitgebermarke bewegen sich ebenfalls viele auf neuem Terrain.

Weil mehr Professionalisierung verlangt wird

Die Anforderungen an HR sind enorm gewachsen und mit der Erwartung an eine entsprechend professionelle Handhabe verknüpft. Zugleich darf der Personaler nie die Talente aus dem Blick verlieren: Bewerber und Mitarbeitende mit jeweils individuellen Bedürfnissen. Menschen, die umworben, überzeugt und begeistert werden möchten.

So kommen Technologien zum Einsatz, weil sie mehr Effizienz für die Personalarbeit versprechen. Prognosen werden anhand von Datenanalysen präziser. Kennzahlen bringen Transparenz ins Recruiting. Es geht um Zahlen, Daten und Fakten. Ja, das stimmt und ist zwangsläufig Teil effizienter Recruiting-Strategien.

Aber machen wir uns nichts vor: Wir können Tausende von Algorithmen für Hunderte von Szenarien entwickeln. Es wird jedoch immer – und zweifelsohne sogar zahlreiche – Situationen geben, in denen diese rationale, isolierte Betrachtung nicht zielführend ist. Die Kluft zwischen Daten einerseits und der erlebten Realität andererseits kann immens sein.

Unsere Verantwortung (als Agentur) liegt vor allem darin, keine leeren Versprechungen zu machen. Vielmehr sollten Mehrwerte innovativer Technologien und Produkte – beispielsweise im Programmatic Advertising – klar ersichtlich und Kennzahlen für Verantwortliche greifbar und realistisch sein. Zugleich müssen sie sich in die Gesamtstrategie einfügen.

Weil es Grenzen geben muss

HR trägt mit allen Entscheidungen und Handlungen eine große Verantwortung. Es geht bisweilen um existenzielle, teils sehr spezifische Fragen. Deswegen muss es Grenzen geben.

Das ist keine Legitimation für jene, die Veränderungen vehement meiden. Das ist eine Begründung, warum Organisationen Herausforderungen ganz unterschiedlich meistern müssen. Es kann und darf nicht alles daten- und prozessgetrieben anhand von Mustern und Algorithmen optimiert werden. Es muss mindestens genauso ums Befähigen und Entwickeln gehen. Deswegen sind auch die individuellen Erfahrungen von HR unentbehrlich.

Weil HR Rückendeckung und Orientierung braucht

Ohne einen guten Austausch innerhalb und außerhalb des Unternehmens steht HR allein auf weiter Flur. Unterstützung braucht es durch die Fachbereiche und das Management. Insbesondere durch das Verständnis füreinander, in Form von realistischen Zeitvorgaben und der Vergabe von angemessenen Budgets. Wird HR in ein Korsett gedrängt, ist der Handlungsspielraum eben begrenzt.

Bevor Themen wie Big Data oder KI in Personalabteilungen überhaupt an Relevanz gewinnen können, muss die Basis stimmen: Wie sieht die Candidate Journey aus? Wo lässt sich erfolgversprechend ansetzen? Was kann verändert werden und was kann HR davon selbstständig leisten?

In dem Zuge sollte HR auch Hilfestellung und Orientierung von extern in Anspruch nehmen, indem beispielsweise ein Netzwerk mit Vordenkern, Impulsgebern und Gleichgesinnten aufgebaut wird. Indem Menschen mit Menschen reden.

HR funktioniert nicht als One-Man-Show. Das wissen wir alle. Wir dürfen aber auch eines in dem Optimierungswahn, der uns alle antreibt, nicht vergessen: Der HR’ler ist letztendlich auch nur Mensch.

Simon Zicholl

Simon Zicholl ist Geschäftsführer von Westpress, einer der führenden Agenturen für Personalmarketing im deutschsprachigen Raum. Zicholl lebt und liebt das Internet. Schon in jungen Jahren gründete er als Web-Entwickler seine eigene Firma. Nach dem Studium der Medienwirtschaft stieg er bei Westpress als Social-Media-Berater ein und wurde später Leiter der Digitalkonzeption. Seit 2017 ist Simon Zicholl Mitglied der Geschäftsführung und verantwortet das strategische wie operative Geschäft der Agentur. Zicholl ist u. a. Mitglied der Jury für die PMI Awards – eine Auszeichnung für Innovatoren und Innovationen im Personalmarketing.

Autor: Simon Zicholl