Keynote-Vortrag
von Nancy J. Adler
auf der Messe Zukunft Personal:
Global Leadership: No Longer Men Alone (auf Englisch)

23. September 2009
9.30 – 10.30, Keynote-Forum

smiling woman standing beside smiling man pointing MacBook
Foto von Mimi Thian

Im Anschluss: Public Interview
mit Connie Voigt, Chefredaktion HR Today

Frau Adler, wir erleben heute die schwerste Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Verändern sich dadurch die Karrierechancen von Frauen?
Wirtschaftskrisen verändern die Karrieremöglichkeiten von Frauen und Männern. Bisher gibt es aber noch keine klaren Anhaltspunkte dafür, in welche Richtung sich die beruflichen Chancen der Geschlechter entwickeln werden. Hilfreicher ist da schon ein Blick in die jüngere Geschichte: Wir wissen, dass die meisten größeren ökonomischen Veränderungen für Frauen eher schlecht waren. In der ökonomischen und politischen Übergangsphase Osteuropas haben zum Beispiel verhältnismäßig viele Frauen ihren Job und auch ihre Aufstiegschancen verloren. Deshalb nehme ich an, dass das aktuelle wirtschaftliche Klima nicht gut sein wird für die Entwicklung von Frauen. In bestimmten Branchen trifft es aber die Männer noch härter – vor allem aus strukturellen Gründen.

Welche strukturellen Gründe meinen Sie?
Insbesondere in den wirtschaftlich entwickelten Ländern Europas und Nordamerikas fallen durch den Wandel zur Wissensgesellschaft Jobs in der Produktion weg, in der bisher hauptsächlich Männer beschäftigt waren. Da diese Tätigkeiten in andere Länder verlagert werden oder ganz verschwinden, werden mehr Männer als Frauen arbeitslos. Gleichzeitig sind viele Frauen in neuere Industrien vorgedrungen – wie etwa in die IT-Branche oder die biomedizinische Forschung. Denn Frauen haben die nötige Ausbildung dafür und in diesen Branchen gibt es weniger Vorurteile gegenüber Frauen als in der Fertigung. Viele Frauen sind also gut auf die zu erwartenden Entwicklungen in der Weltwirtschaft vorbereitet.

Glauben Sie, diese These stimmt auch im Hinblick auf die Führungsetagen?
Jahrelang haben mehr Frauen als Männer Sprachen, Geisteswissenschaften, Literatur, Musik oder Kunst studiert. Diese Fachrichtungen sind sehr hilfreich, um auf einer weltweiten Ebene andere Menschen verstehen, auf weltweite Trends reagieren und eigene Ideen vermitteln zu können. Männer sind nicht unfähig, die dazu nötigen umfassenden Kenntnisse aufzubauen, aber sie wurden bisher in der Erziehung und Ausbildung dabei nicht so unterstützt wie Frauen. Forschungen auf der Ebene des mittleren Managements zeigen klar, dass Frauen besser im Zuhören und im Einbeziehen unterschiedlicher Menschen sind. Für das Wohl unserer globalen Wirtschaftswelt hoffe ich jedoch, dass Frauen und Männer diese Kompetenzen erweitern. Denn wenn nicht, werden wir mit noch viel größeren Problemen konfrontiert werden als heute.

Langsam aber sicher nimmt die Zahl von Frauen in Führungspositionen auf der ganzen Welt zu. Was sind die wichtigsten Gründe dafür?
Es gibt viele Gründe, aber einen besonders wichtigen möchte ich wegen seiner ermutigenden Konsequenz hervorheben: Wenn eine Frau an die Spitze eines Unternehmens kommt, das vorher nie von einer Frau geführt wurde, weiß jeder, dass Veränderung möglich ist. Und das ist nicht zu unterschätzen: Denken Sie einen Moment an die größten weltweiten Herausforderungen, beispielsweise die vielen Kriege, die Bekämpfung der weltweiten Armut, den Klimawandel oder die aktuelle Wirtschaftskrise. Um diese Probleme zu meistern, muss sich viel verändern. Uns beschleicht mitunter der Zweifel, ob wir zu diesen Veränderungen in der Lage sind. Deshalb ist es zumindest symbolisch ein wichtiges Zeichen, wenn Frauen führende Positionen einnehmen, die vorher nur Männer innehatten. Und zwar nicht nur für die einzelne Frau oder das Unternehmen, sondern ganz fundamental für den Glauben der Gesellschaft an seine Veränderungsfähigkeit.

Was hat Frauen in der Vergangenheit daran gehindert diese Symbolkraft zu nutzen?
Es gibt einige Theorien, die versuchen, den bisherigen Mangel von Frauen in Führungspositionen zu erklären. Eine Annahme ist, dass Frauen gar kein Interesse daran haben, an die Spitze zu kommen, eine andere, dass die Unternehmen das nicht wollten. Das lässt sich heute so nicht mehr behaupten. Denn immer mehr Frauen sind beides – interessiert und qualifiziert für das Top-Management. In vielen Ländern bilden Frauen die Mehrheit an den Universitäten. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass viele dieser Frauen, die gebildet und gut informiert sind, heute Anteil daran haben wollen, unsere Welt zu gestalten.

Und wie sieht es aus ihrer Sicht mit der Bereitschaft von Unternehmen aus, Frauen an die Spitze zu bringen?
Die meisten Unternehmen gehen immer noch davon aus, dass Männer eher an einer hohen, internationalen Führungsposition Interesse haben und dass sie ein solches Angebot mit einer höheren Wahrscheinlichkeit annehmen als Frauen. Viele Personalentscheider können sich nicht vorstellen, dass eine verheiratete Frau mit Kindern eine Stellung anstrebt, die eine intensive Reisetätigkeit voraussetzt. Deshalb schlagen sie das oft gar nicht erst vor. Für Frauen heißt das, dass sie ihr Interesse viel stärker signalisieren müssen als Männer mit der gleichen Erfahrung und den gleichen Ambitionen.

Welche Vorteile haben Unternehmen von Frauen in der Top-Führungsriege?
Neben dem symbolischen Aspekt, Veränderungsfähigkeit auszustrahlen – was eine Kernkompetenz jeder Führungskraft sein sollte – haben Frauen in Führungspositionen eine immense Sichtbarkeit. Und auch das gehört zu den Grundvoraussetzungen von guter Führung. Frauen an der Führungsspitze nehmen alle wahr. Carly Fiorina beispielsweise war in den ersten drei Monaten als CEO von Hewlett-Packard so oft in der Presse wie ihr Vorgänger in seiner fast 20-jährigen Amtszeit. Ähnlich ist es in der Politik: Als Benazir Bhutto Premierministerin von Pakistan war, berichtete die Presse über alles, was sie tat. Ihr Nachfolger, Nawaz Sharif, war erbost darüber, dass er nicht annähernd diese Medienresonanz erreichte. Doch er war eben einfach nur einer von vielen Männern, die als Staatsoberhaupt einem von 200 Ländern der Welt vorstehen.

Und wenn eine Frau in einer Führungsposition Fehler macht?
Das ist natürlich die Schattenseite der Sichtbarkeit. Die ganze Welt interessiert sich für das, was weibliche Führungspersonen tun – ob es gut oder schlecht ist.

Sind Männer oder Frauen die besseren Führungskräfte?
Viele Menschen glauben, dass Frauen die besseren Führungspersönlichkeiten sind. Unglücklicherweise gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis, um diese Annahme zu bestätigen oder zu widerlegen. Die meisten Untersuchungen dazu fokussieren lediglich Frauen im mittleren Management, aber nicht im Top-Management, weil das noch ein vergleichsweise junges Phänomen ist. Deshalb hält sich die Hoffnung, dass Frauen sozialer sind, indem sie sich in Unternehmen beispielsweise für Work-Life-Balance-Programme einsetzen oder in der Politik viel für die Gesundheit und Bildung der Bevölkerung tun. Doch einige Beispiele sprechen dagegen. Es gibt zwar Frauen, die sehr liberal sind, wie Gro Harlem Brundtland, die in Norwegen drei Legislaturperioden lang Premierministerin war, aber eben auch sozial und politisch sehr konservative Führungsfrauen, wie etwa Margaret Thatcher. Die Einstellungen eines Menschen hängen eben nicht vom Geschlecht ab.

Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels möchten viele Unternehmen verstärkt Frauen einstellen und werben mit Instrumenten der Work-Life-Balance. Welchen Einfluss hat das auf das Vorrücken von Frauen in Führung?
Hier müssen Sie ganz klar unterscheiden: Wenn wir von Positionen im mittleren Management sprechen, helfen Instrumente wie flexible Arbeitszeit. In meiner frühen Forschungszeit hatte ich mich unter anderem auf Expatriate-Management konzentriert. Vor einigen Jahrzehnten schickten die meisten Unternehmen nur Männer in andere Länder. Langsam wuchs aber auch der Anteil der weiblichen Expates. In persönlichen Interviews fand ich heraus, dass vor allem Frauen zwischen 20 und 30 einen Auslandeinsatz anstrebten – also gerade dann, wenn sie eine Familie gründeten. Einer der Gründe war, dass viele Unternehmen ihren Expats Hilfe im Haushalt anboten – was die Mitarbeiter im Ursprungsland nicht bekamen. Eine Frau erklärte mir: „Ich kann meine Rollen als Mutter, Frau und Berufstätige nicht miteinander vereinbaren, wenn ich keine Hilfe im Haushalt bekomme.“ Diese Erklärung greift aber nicht, wenn wir erklären möchten, was auf der Top-Führungsebene passiert.

Warum?
Weil viele Frauen meistens erst dann in die oberste Hierarchieebene aufrücken, wenn ihre Kinder schon älter oder aus dem Haus sind. Deshalb brauchen sie ihre Mutter zeitlich gesehen nicht mehr in dem Maße wie das bei jüngeren Frauen der Fall ist. Außerdem haben die Frauen, die für eine Führungsposition an der Spitze in Frage kommen, meistens schon eine gute Managementposition erreicht. Sie haben also selbst die finanziellen Möglichkeiten, um sich Hilfe für den Haushalt zu holen, wenn sie diese brauchen.

Studien zufolge ist in den USA der Anteil von Frauen in Führungspositionen höher als in Europa. Heißt das, dass auch kulturelle Aspekte bei der Auswahl von Frauen für Führungspositionen eine Rolle spielen?

Im mittleren Management ist die USA hier sicher vielen anderen Ländern weit voraus – von den skandinavischen Ländern einmal abgesehen. Aber auf der Geschäftsführungs- und Vorstandsebene ist das anders. Die USA, aber zum Beispiel auch Schweden, hatten bisher noch nie eine Frau als Staatsoberhaupt. Frauen, die es zur Präsidentin oder Premierministerin geschafft haben, kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern mit einer enormen Bandbreite an sozialen, ökonomischen und kulturellen Hintergründen. Ein gutes Beispiel, wie die Realität Vorurteile Lügen straft, sind die islamischen Länder. Viele Europäer und Nordamerikaner können sich nicht vorstellen, dass in diesen Ländern Frauen regieren. Aber bereits vier islamische Länder haben Frauen geführt. Die Wissenschaft kann noch keine klare Aussage darüber machen, welche kulturellen Muster dazu führen, dass ein Land eine Frau an die Spitze wählt. Klar ist jedoch, dass immer mehr Frauen in Top-Positionen gelangen und dass dies ein weltweites Phänomen ist.


Interview: Stefanie Hornung

Nancy J. Adler referiert auch auf dem Symposium „Die Zukunft ist weiblich“
23. September 2009
17.15 – 18.00 Uhr
Congress-Centrum Koelnmesse

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