BAG, Urteil vom 23. Juli 2009, 8 AZR 357/08

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Nach § 613 a Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind die von einem beabsichtigten Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer von ihrem bisherigen Arbeitgeber oder dem Betriebserwerber umfassend über den Zeitpunkt, den Grund und die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs sowie über die hinsichtlich der Arbeitnehmer geplanten Maßnahmen zu unterrichten. Nach § 613 a Absatz 6 BGB können die Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Zugang dieser Unterrichtung schriftlich widersprechen, wenn sie mit einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber nicht einverstanden sind. Wenn allerdings die Unterrichtung nach § 613 a Absatz 5 BGB unvollständig, fehlerhaft oder sonst nicht ordnungsgemäß ist, läuft die Monatsfrist des § 613 a Absatz 6 BGB nicht. Dies hat zur Folge, dass Arbeitnehmer dann noch längere Zeit nach Ablauf der Monatsfrist von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen können. Eine feste zeitliche Obergrenze, innerhalb derer der Widerspruch bei einer nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung nach § 613 a Absatz 5 BGB zu erfolgen hat, existiert bislang nicht.

In dem vorliegend vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall war der klagende Arbeitnehmer bei einem Unternehmen (im Folgenden S. AG genannt) im Geschäftsbereich „Com MD (Mobile Devices)“ als Konstrukteur beschäftigt. Diesen Geschäftsbereich verkaufte die S. AG an ein anderes Unternehmen (im Folgenden B. OHG genannt) und übetrug dabei auch alle Vermögensgegenstände jenes Geschäftsbereichs. Die S. AG informierte den klagenden Arbeitnehmer mit Schreiben vom 29. August 2005 über diesen zum 1. Oktober 2005 beabsichtigten Betriebsübergang.

Der klagende Arbeitnehmer nahm zunächst seine Arbeit bei dem neuen Unternehmen auf und schloß dort am 9. August 2006 einen Aufhebungsvertrag, nach dem sein Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2006 gegen Zahlung einer Abfindung enden sollte. Zu einer Auszahlung der Abfindung kam es allerdings nicht mehr, da die B. OHG am 29. September 2006 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellte.

Hierauf wandte sich der klagende Arbeitnehmer mit Schreiben vom 22. Dezember 2006 an seinen ursprünglichen Arbeitgeber und widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die B. OHG unter Berufung auf die Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung nach § 613 a Absatz 5 BGB. Da die S. AG nicht bereit war, den Arbeitnehmer wieder zu beschäftigen, erhob dieser sodann Klage und machte den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses bei der S. AG geltend, verlangte Weiterbeschäftigung sowie Vergütung. Zur Begründung führte er aus, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses noch wirksam widersprechen können, weil er nicht ausreichend, insbesondere nicht zutreffend über die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin unterrichtet worden sei. Das beklagte Unternehmen entgegnete, ein rechtzeitiger Widerspruch liege nicht vor, im Übrigen sei das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers verwirkt.

Das Landesarbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben. Auf die Revision des beklagten Unternehmens hat das BAG die Klage allerdings abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die Unterrichtung über den beabsichtigten Betriebsübergang sei zwar nicht ordnungsgemäß erfolgt, wodurch die Widerspruchsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt worden sei. Allerdings habe der klagende Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht verwirkt. So habe er durch Abschluss des Aufhebungsvertrages mit der Betriebserwerberin über sein Arbeitsverhältnis disponiert. Auf diesen Umstand könne sich das beklagte Unternehmen berufen, wobei es nicht darauf ankomme, wann es vom Abschluss jenes Aufhebungsvertrages Kenntnis erlangt hat.

FAZIT

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613 a Absatz 5 BGB sind äußerst hoch und erfordern seitens der betroffenen Unternehmen eine vollständige, umfassende und äußert sorgfältige Unterrichtung aller betroffener Arbeitnehmer. Kommen die betroffenen Unternehmen dieser Verpflichtung nur unzureichend nach, kann auch noch nach sehr langer Zeit – möglicherweise sogar noch nach Jahren – ein Widerspruch eines Arbeitnehmers Aussicht auf Erfolg haben. Die Folge: Unternehmen müssen plötzlich Arbeitnehmer wieder beschäftigen, mit denen sie längst nicht mehr gerechnet hatten. Andererseits können sich Arbeitnehmer nicht darauf verlassen, dass bei einer fehlerhaften Unterrichtung über den Betriebsübergang das Recht zum Widerspruch praktisch unbegrenzt erhalten bleibt. Insbesondere dann, wenn ein Arbeitnehmer nach erfolgten Betriebsübergang über sein Arbeitsverhältnis disponiert, etwa indem er – wie vorliegend – einen Aufhebungsvertrag abschließt, kann sich der Betriebsveräußerer für den Fall, dass ein solcher Arbeitnehmer später doch noch dem Betriebsübergang widerspricht, mit Erfolg darauf berufen, dass das Widerspruchsrecht verwirkt ist.

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