two people drawing on whiteboard
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Dialog als gelungene Beziehung

Martin Buber betont, dass sich im Dialog „eine denkwürdige, nirgendwo sonst sich einstellende gemeinschaftliche Fruchtbarkeit“ entwickeln kann und so „das Zwischenmenschliche“, „das sonst Unerschlossene“ zu erschließen vermag (Buber, 1994). Ein solches dialogisches Gespräch kann uns helfen, ein Bewusstsein davon zu entwickeln, wer wir sind. Eine derartige Verbundenheit tritt in einem „echten Dialog“ zu Tage, wenn „jeder der Teilnehmer den oder die anderen in ihrem Dasein und Sosein wirklich meint und sich ihnen in der Intention zuwendet, lebendige Gegenseitigkeit zu schaffen“. Diese Form der Begegnung unterscheide sich von anderen Gesprächsformen, zum Beispiel dem „dialogisch verkleideten Monolog, in dem zwei oder mehrere im Raum zusammengekommene Menschen auf wunderlich verschlungenen Umwegen jeder mit sich selber reden“ oder dem technischen Gespräch, das, „lediglich von der Notdurft der sachlichen Verständigung eingegeben ist“.

Dialogverständnis eines Physikers

Der angloamerikanische Quantenphysiker und Begründer der modernen Dialogtheorie für Gruppen David Bohm (1917–1992) unterscheidet konsequenterweise zwischen Gesprächen, in denen lediglich gespeichertes Wissen („Gedachtes“) ausgetauscht wird – was in Diskussionen meist der Fall ist – und Dialogen, in denen tatsächlich neues Denken entstehen kann. („Thought” versus „Thinking”). Im Dialog gelingt es, vom lediglich abrufenden Denken zum kreativen Denken zu gelangen.

David Bohm verwendet den Begriff Dialog im ursprünglichen Sinn: »Dialog « bedeute das »Fließen von Sinn«, das Suchen und Entwickeln neuer Bedeutung (dia: [hin-] durch, logos: Wort, Sinn, Bedeutung). Der Dialog soll Menschen ermöglichen, ihren Voraussetzungen, Ideen, Annahmen, Überzeugungen und Gefühlen auf den Grund zu gehen. Er war von der Vorstellung fasziniert, dass Menschen im Dialog lernen könnten, gemeinsam auf kohärente Weise zu denken, während sich die Gedanken in den meisten üblichen Gesprächen fragmentiert, sprunghaft und gegensätzlich entwickeln würden. Inkohärenz ist für Bohm „als würde man eine Uhr nehmen und sie mit einem Hammer zertrümmern, anstatt sie auseinanderzunehmen und die Teile zu sortieren. Die Teile sind Teil eines Ganzen, aber die Fragmente wurden willkürlich auseinandergebrochen. (Bohm, 2002: 102)“. Kohärenz im dialogischen Gespräch – vergleichbar mit im Laserstrahl gebündeltem Licht – kann ein großes Potential an Kreativität freisetzen und neue Gedanken hervorbringen. Das Wort „Diskussion“ dagegen hat die gleiche Wurzel wie englisch „percussion“ oder gar „concussion“ (Gehirnerschütterung). Diskussion hat eine enge sprachliche Verwandtschaft mit Debatte (latein. „debat(t)uere“, engl. „to beat down“), was so viel bedeutet wie „niederschlagen“. Das einer Diskussion zugrunde liegende Motiv ist in der Regel auch nicht, voneinander zu lernen, sondern den eigenen Standpunkt durchzusetzen, zu gewinnen.

Subjektive Bewertungen sind Wahrheitsillusionen

David Bohm hat diesen Aspekten einen weiteren hinzugefügt: Dialogpartner sprechen ihre Meinungen und Bewertungen klar aus, treten aber dennoch innerlich einen Schritt zurück, um sie nicht als endgültige, sondern mögliche Aussagen in den Raum zu stellen. Sie halten sie nach Bohms Diktion „in der Schwebe“. Sie nehmen ihnen die Illusion endgültiger Wahrheiten.

Unser Sprechen sollte zudem nicht belehrend, abstrakt und unpersönlich sein – Eitelkeiten, intellektuelle Spielereien und theoretische Ergüsse behindern den Dialog und führen zurück in altbekannte Fahrwasser. Ohne Maske zu sprechen, wie die Indianer es nannten, lässt den Menschen hinter dem Wort sichtbar werden. Unser Zuhören kann dazu führen, Neues entstehen zu lassen – in uns selbst und in der Gruppe: Wir bezeichnen es als „generatives Zuhören“.

Dialogische Kernfähigkeiten

Die Beziehung zwischen Sprechen und Hören basiert auf dem Erkunden der anderen Position und einem Sprechen, das sich um Produktivität bemüht, mehr den Denkprozess betont, als nur das Denkprodukt präsentiert.

Wenn wir mit einer neugierigen, interessierten, nicht belehrenden sondern „lernenden Haltung“ anderen gegenübertreten, wird dieser Respekt unser Sprechen beeinflussen. Das Abwägen unserer Meinung gelingt eher in einem Prozess, der durch entsprechende Vereinbarungen und Rituale bewusst verlangsamt wird. Wir können unser Zuhören fruchtbarer werden lassen, wenn der Respekt gegenüber anderen auf Offenheit basiert, die wir neuen, anderen – vielleicht auch konträren – Positionen entgegenbringen. Wenn wir unsere Meinung beim Zuhören zurückstellen können, ermöglichen wir uns die Beobachtung unserer eigenen Reaktionen, unserer eigenen Reaktivität. Bestehende Machtstrukturen stellen übrigens große Herausforderungen für den Dialog in Organisationen dar. Wenn in einem Dialog der „Boss“ anwesend ist, fühlt er sich oft verantwortlich und dazu verleitet klarzustellen, „wie die Dinge hier bei uns so liegen“.

Was Dialog ist und was er nicht ist

Auch der jüdische Religionsphilosoph und Vater der Dialogtheorie (1878–1965) Martin Buber befasste sich in seiner Arbeit intensiv mit Fragen zwischenmenschlicher Beziehungen, den Möglichkeiten des Gesprächs und der Begegnung zwischen einem „Ich und Du“. Er stellt den „Ver-Gegnungen“ oberflächlicher Unterhaltungen die Begegnungen eines echten Dialogs gegenüber, in dem sich Menschen vom „Scheinenwollen“ lösen.

Es gibt eine Reihe von Kern-Kompetenzen und praktische Übungen, mit denen sich dialogische Kompetenzen entwickeln lassen.

Basiskompetenzen

Dialogische Fähigkeiten basieren auf dem Viereck von Respektieren, Sprechen, Zuhören und Suspendieren (vgl. auch Isaacs, 1999): Die Meinung eines Andersdenkenden nicht nur zu tolerieren, sondern ihr respektvoll gegenüberzutreten, bedarf einer radikalen Abkehr von einer Kultur der eigenen Profilierung auf Kosten anderer. Sprechen und Zuhören können sich sehr verändern, wenn es nicht mehr in erster Linie um das „in Erscheinung treten“ geht.

Durch euch zur mir

Kann es sein, dass ich mich zu dem, wie ich sein kann, erst entwickle, weil ich in Begegnungen meine Potentiale entfalte und erlebe? Ein Sprichwort der Zulu formuliert: Ich bin, weil wir sind. Welch anderes Verständnis als unser naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild: Ich denke, also bin ich – cogito ergo sum – nicht ohne Stolz behauptet.

„Ubuntu“ (Nussbaum, 2003) ist ebenfalls ein afrikanisches Konzept, das der Wertschätzung und Pflege der persönlichen Beziehungen in gesellschaftlichen aber auch in organisatorischen Feldern eine hohe Priorität beimisst. Ein Morgengruß der Shona in Zimbabwe drückt dies so aus: „Mangwani. Marana sei?“ (Guten Morgen, hast du gut geschlafen?) „Maswera sei, kana mararawo.“ (Ich habe gut geschlafen, wenn du gut geschlafen hast.) Diese Verbundenheit rückt den „anderen“ in den Mittelpunkt. Wie könnte ich gut geschlafen haben, oder wie könnte es mir gut gehen, wenn es dem anderen schlecht geht?

Während Bohms Augenmerk eher darauf lag, wie in einer Gruppe neuer Sinn miteinander geschaffen werden kann, Sicherheiten hinterfragt und Interpretationsmuster überprüft werden können, liegt Bubers Augenmerk eher auf der zwischen-menschlichen Begegnung, dem Ich-Du im Dialog. Wenn diese beiden Perspektiven sich treffen – menschliche Begegnung und In-Frage-Stellen eigener Überzeugung –, können sich sowohl dem Individuum als auch der Gruppe ganz neue Erfahrungs- und Gedankenwelten eröffnen. Im Sinne von Erich Fromm bedeutet das allerdings auch eine grundsätzliche Bereitschaft, sich von reiner Zweckorientierung zu verabschieden: Diese Kunst der Unterhaltung oder die Freude an der Unterhaltung wird erst wieder möglich sein, wenn ganz große Änderungen in unserer Kultur vor sich gehen, dann nämlich, wenn die einseitig zweckorientierte Art des Lebens überwunden wird (Fromm, 1974). Wir brauchen eine Einstellung, in der der Ausdruck, das Wachstum des menschlichen Lebens zum einzig anerkennenswerten Zweck wird.

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Quelle: “Lernende Organisation” | Dezember 2010 | Nr. 58
Foto: Copyright: Twinlili | www.pixelio.de

Weiterlesen: So wird aus einem eisernen Veto ein “Ja!”

Zielorientiert, schnell, gewinnfokussiert – so argumentieren wir in Diskussionen, wenn wir unser Gegenüber  überzeugen oder durch bessere Argumente ein Publikum gewinnen wollen, wenn wir versuchen qualifizierter zu erscheinen und durch Wissen zu überzeugen. Das ist aber nicht immer der beste Weg, weil es Machtgefälle vertieft.  

Warum überhaupt Dialog?

„Everything you know is wrong“, dieser Kernsatz der konstruktivistischen Erkenntnisphilosophie verweist auf das bruchstückhafte, vorläufige, begrenzte Erkenntnisvermögen des Menschen. Denkt man ihn weiter, bedeutet er auch, dass wir uns in die Selbstverdummung begeben, wenn wir aufgrund  unserer Kenntnisse meinen, wir wüssten was wirklich Sache ist. Diese Attitüde findet sich vor allem in lehrenden und leitenden Berufen. Kein Wunder: Viele Lehrer und Manager wurden bislang in ihre Position gehoben, weil sie einen Wissensvorsprungs und eine gewisse Erkenntnisfähigkeit besitzen.

Doch nicht nur sie irren. Problematisch ist es auch, wenn sich Menschen mit ihrem bruchstückhaften Erkenntnisvermögen gegenseitig in ihren (Vor-)Urteilen bestätigen. Dadurch entsteht ein „Wir gegen die anderen“. Diese Dynamik wurzelt darin, dass wir uns mit unseren Anschauungen identifizieren, so dass wir und bedroht fühlen, wenn unsere Meinungen bedroht sind. Gandhi betonte einmal: „Wenn du im Recht bist, kannst du dir leisten, die Ruhe zu bewahren; Und wenn du im Unrecht bist, kannst du dir nicht leisten, sie zu verlieren.“

All diese Alltagsschwierigkeiten lassen sich durch mehr Dialog in den Unternehmen überwinden. Wer dialogisch kommuniziert, nimmt keine wissende, sondern eine lernende Haltung ein. Sie ist geprägt von Interesse und Neugier am Gesprächspartner.  

Wir können Dinge verändern,
indem wir unsere Wahrnehmung verändern

Dialog setzt voraus, dass der Kommunizierende versteht, welche Muster seiner Wahrnehmung zugrunde liegen. Dazu ein persönliches Beispiel:

Wir leben auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, zu dem einige Hektar Wald gehören. Durch Änderungen der Besitzverhältnisse in der Nachbarschaft bekamen wir die Gelegenheit, einige Hektar Wald angrenzend an unseren Hof zu erwerben. Zu dieser Zeit suchten wir ebenfalls nach regenerativen Heizmöglichkeiten. Zu Zeiten des Golfkrieges wollten wir uns weiter vom Öl unabhängig machen – mein Mann hatte schon 1980 das erste Windrad im Landkreis konstruiert, mit dem wir das Wasser für unsere Fußbodenheizung erwärmten – jetzt hatten wir eine Holzhackschnitzel-Heizung installiert und wollten alle Wohnungen auf dem Hof mit Holz beheizen. Schon seit vielen Jahren kannte ich das Waldstück, das wir gekauft hatten, ich war dort spazieren gegangen und hatte dieses Fleckchen Natur genossen. Nun aber ging ich am Wald anders vorbei. Ich war nicht als Erholung suchende Spaziergängerin unterwegs, sondern ich schaute mir an, wie die Bäume gewachsen waren, wie und wo sie standen: Müssten wir nicht eine Birke fällen, damit die Buche gerade wachsen könnte? Welcher Baum  würde sich besser entwickeln? Der alten Kiefer war beim letzten Sturm die Krone abgebrochen, sie würde bald absterben, und die tote Eiche trug schon länger kein einziges grünes Blatt mehr – optimal für den Holz-Schnitzler.

Nicht der Wald hatte sich geändert, sondern unser Blick auf ihn, unser „mentales Modell“ vom Wald war ein anderes geworden. Wir verändern also die Dinge, indem wir unsere Wahrnehmung ändern. Wichtige Anmerkung: Das allerdings gelingt nur in einem angstfreien Raum. Die gute Nachricht: In einem solchen Vertrauensraum (Dialog-Container) ist ein echter Dialog möglich.