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4 Anhörung des Arbeitnehmers

Als eine Voraussetzung zur Begründung eines dringenden Verdachts hat die Rechtsprechung das Erfordernis der vorherigen Anhörung des Mitarbeiters aufgestellt. Vor Ausspruch der Kündigung bzw. der Anhörung des Betriebsrats muss der Beschäftigte zu den gegen ihn bestehenden Verdachtsmomenten angehört werden. Man muss ihm Gelegenheit geben, zu dem Verdacht Stellung zu nehmen und ggf. den Verdacht auszuräumen. Entbehrlich ist die Anhörung nur, wenn der Arbeitnehmer von vornherein ohne sachlichen Grund eine Stellungnahme verweigert.

Praxistipp

Die Anhörung an sich unterliegt keinem Formerfordernis, d. h. sie muss nicht schriftlich erfolgen, sondern kann auch in einem Gespräch stattfinden. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich, die Anhörung schriftlich einzuleiten und ggf. im Anschluss ein Gespräch zu führen. Dieses sollte entsprechend sorgfältig dokumentiert sein. Dabei macht es Sinn, dass derjenige, der auf Seiten des Arbeitgebers den betreffenden Mitarbeiter anhört, auch der Entscheidungsträger für die konkrete Kündigung ist.

Oftmals wird der Beschäftigte in der Praxis zu einem Gespräch zur Aufklärung der Verdachtsmomente per E-Mail oder mündlich eingeladen. Insoweit ist die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte – bspw. des LAG Berlin- Brandenburg (Urt. v. 30.3.2012 – 10 Sa 2272/11, vgl. AuA 7/12, S. 435; v. 6.11.2009 – 6 Sa 1121/09, AuA 11/10, S. 683) – zu beachten, wonach der Arbeitnehmer nicht über das Gesprächsthema getäuscht werden darf und eine vorherige Mitteilung des Verdachtsgrundes erforderlich sein soll.

Ansonsten lassen sich u. U. im Anhörungsgespräch gemachte Aussagen wegen einer „Überrumpelung“ des Mitarbeiters nicht verwerten. Das ist sicherlich insoweit zu kritisieren, als ein Beschäftigter, der dringend verdächtig ist, sich durch Mitteilung der Verdachtsmomente auf ein Gespräch vorbereiten kann. Andererseits entspricht dieses Vorgehen der dem Arbeitsverhältnis innewohnenden wechselseitigen Fürsorgepflicht und gibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, einen Dritten – zumeist ein Betriebsratsmitglied – zur Anhörung hinzuzuziehen, vgl. zum Thema auch Fuhlrott/Naumann, AuA 7/13, S. 407 ff. Wird ein Beschäftigter zu einem Anhörungsgespräch über die Verdachtsmomente per E-Mail eingeladen, so sollte in der Einladung auch der Verdachtsmoment angegeben werden.

Beim Gespräch empfiehlt sich die Protokollierung/Bestätigung des Protokolls durch den Arbeitnehmer. Sollte dieser zum Zeitpunkt einer Anhörung krank sein, so wird die Frist des § 626 Abs. 2 BGB durch die Krankheit grundsätzlich nicht gehemmt. Es kommt darauf an, ob der Mitarbeiter nicht trotz der Krankheit in der Lage wäre, an der Anhörung mitzuwirken.

Insoweit ist es i. d. R. empfehlenswert, ihm eine schriftliche Anhörung nachweisbar zuzustellen und zur Beantwortung und zur Stellungnahme der Verdachtsmomente eine angemessene Frist zu setzen. Hier dürften drei Tage ausreichend und angemessen sein. Erst nach der Anhörung – also der Stellungnahme des Arbeitnehmers bzw. nach fruchtlosem Ablauf einer ihm gesetzten Frist dazu – beginnt die gehemmte Frist des § 626 Abs. 2 BGB wieder zu laufen.

7 Kündigung wegen Whistleblowing

Aktuell ist der Begriff des Whistleblowers im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des „PRISM“-Überwachungsprogramms durch Edward Snowden bekannt – wobei hier arbeitsrechtliche Fragestellungen nachrangig sein dürften. Frei übersetzt ist der Begriff am ehesten mit „Enthüller oder Hinweisgeber“ zu übersetzen.

Arbeitsrechtlich ist das Whistleblowing in zweierlei Hinsicht interessant, nämlich einmal unternehmensintern, als Gelegenheit für die Beschäftigten, auf Missstände im Unternehmen hinzuweisen. Ein unternehmensinternes Whistleblowing ist ein wesentliches Element einer rechtstreuen Unternehmensorganisation (Corporate Compliance). Davon zu unterscheiden ist das öffentliche Whistleblowing als Kündigungsgrund in zwei maßgeblichen Fallgestaltungen: Zum einen, wenn ein Mitarbeiter gegen seinen Arbeitgeber oder Kollegen Strafanzeigen erstattet sowie zum zweiten durch eine Weitergabe interner Vorfälle an die Öffentlichkeit, d. h. an Medien oder Behörden.

Beispiel

Der Leiter eines Jugendzentrums hatte einen Streit mit dem ihm untergeordneten Sozialarbeiter über die Arbeitsstundenabrechnung. Um den Vorgesetzten „aus dem Weg zu räumen“ zeigte der Sozialarbeiter den Einrichtungsleiter ohne vorherige interne Klärung bei der Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung von Geldern an. Er erklärte gegenüber den Ermittlungsbehörden, der Leiter reiche gelegentlich falsche Rechnungen bei den Trägern des Jugendzentrums ein. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren wurde eingestellt und der Träger des Jugendzentrums kündigte den Sozialarbeiter. Die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung des Sozialarbeiters war wirksam. Der Mitarbeiter hatte die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt, weil sich seine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft als unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers darstellte. Hinzu kam die Motivation des Sozialarbeiters, dem es hier vor allem auf die Schädigung seines Vorgesetzten ankam. Der Beschäftigte hatte also keine verfassungsrechtlichen Rechte wahrgenommen, sondern sich gegenüber seinem Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich verhalten. (vgl. BAG, Urt. v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02)

2 Dringender Verdacht

Die Verdachtskündigung ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Unternehmen die zu einer Kündigung berechtigende Pflichtverletzung darlegen und beweisen muss, weil letztlich der Kündigungsgrund nur in einem Verdacht besteht. Daher fordert die Rechtsprechung eine gewisse Erheblichkeit – nämlich einen dringenden Verdacht. Es muss aufgrund objektiver Umstände eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer die infrage stehende Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat. Dabei stellt die Rechtsprechung auf einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber ab und prüft, ob die objektiv vorliegenden Umstände auch tatsächlich einen derartigen Verdacht begründen würden.

Wichtig

Da es bei der Verdachtskündigung oft um strafbare Handlungen geht, ist das Verhältnis zu einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und einem ggf. sich anschließenden Strafverfahren wichtig. Zwar kann ein Unternehmen im Grundsatz das entsprechende Ermittlungsverfahren bis zu einer Anklageerhebung und Entscheidung abwarten und dann eine Tatkündigung aussprechen. Es muss dies aber nicht tun: Die Verdachtskündigung stellt auf das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen ab. Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens oder des Strafprozesses ist für die Verdachtskündigung nicht bindend.

Auch bei einem Freispruch kann eine Verdachtskündigung dennoch begründet sein. Während bei einem Strafverfahren der Staat die Schuld und die Tat beweisen muss, ist der Maßstab einer Verdachtskündigung ein anderer, denn hier kann alleine der dringende Verdacht ohne Nachweis der Tatbegehung die Kündigung rechtfertigen. Der Verdacht des Arbeitgebers muss sich auf eine erhebliche Pflichtverletzung des Mitarbeiters beziehen. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Tat bzw. die Pflichtverletzung an sich auf jeden Fall eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen würde. Für eine außerordentliche Verdachtskündigung muss daher der Grad des wichtigen Grundes gem. § 626 BGB erreicht sein.

1 Die Verdachtskündigung

Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn eine ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses alleine darauf gestützt wird, dass der Mitarbeiter im Verdacht steht, eine erhebliche Pflichtverletzung oder gar eine Straftat begangen zu haben. Weil sich jedoch schwere Pflichtverletzungen oder strafbare Handlungen nur schwer beweisen lassen, ist die Verdachtskündigung von großer praktischer Bedeutung. Man muss sie von der sog. Tatkündigung abgrenzen, bei der der Arbeitgeber davon überzeugt ist, dass der Arbeitnehmer eine strafbare Handlung bzw. eine erhebliche Pflichtverletzung begangen hat.

Für Tat- und Verdachtskündigung bestehen unterschiedliche Voraussetzungen, so dass es zunächst vom Willen des Unternehmens abhängig ist, auf welchen Grund es die Kündigung stützen will.


Wichtig

Die Rechtsprechung des BAG und der Instanzgerichte haben die Voraussetzung der Verdachtskündigung in den vergangenen Jahren detailliert ausgestaltet. Sie berechtigen einen Arbeitgeber auch dann zur Kündigung, wenn der infrage stehende Pflichtverstoß nicht eindeutig nachweisbar ist.

10 Fazit

Die Arbeitsgerichte entwickeln zunehmend eigenständige Kündigungstypen, die man nicht mehr zwangsläufi g unter die gesetzlichen Begriffe fassen kann. Neben der Verdachts- und der Whistleblower-Kündigung ist dies bspw. die Low-Performer-Kündigung. Diese Klassiker des Kündigungsrechts erfordern schon deswegen ein sorgfältiges Vorgehen, weil ihre Voraussetzungen durch die Rechtsprechung detailliert ausgestaltet wurden und eine Missachtung der aufgestellten Anforderungen regelmäßig zu deren Unwirksamkeit führt.

Quelle: Arbeit & Arbeitsrecht 9/2013

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5 Verhältnismäßigkeit

Wie bei allen verhaltensbedingten Kündigungen ist ein Arbeitgeber an den Grundsatz der  erhältnismäßigkeit gebunden. Insoweit ist generell eine vorherige Abmahnung erforderlich, die allerdings bei einer Pflichtverletzung im Vertrauensbereich regelmäßig entbehrlich ist, da sie kein geeignetes Mittel darstellt, das gestörte Vertrauensverhältnis wieder herzustellen. Eine Abmahnung ist nach der Rechtsprechung auch dann entbehrlich, wenn sich der Mitarbeiter aufgrund der erkennbaren Schwere der Pflichtverletzung bewusst sein musste, dass das Unternehmen dieses Verhalten nicht hinnehmen wird. Da sich Verdachtskündigungen in der Praxis oft mit Straftatbeständen des Diebstahls, der Unterschlagung oder der Untreue befassen, ist meist der Vertrauensbereich betroffen, so dass in diesen Fällen eine vorherige Abmahnung entbehrlich sein dürfte. Maßstab ist nach der Rechtsprechung auch hier, ob bei einer erwiesenen Pflichtverletzung – d. h. bei einer Tatkündigung, wenn man den zum Verdacht liegenden Sachverhalt als erwiesen ansehen würde – die Kündigung am Fehlen einer Abmahnung scheitern würde (BAG, Urt. v. 6.7.2000 – 2 AZR 454/99).

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zum einen die Stellung des Beschäftigten im Betrieb maßgeblich, d. h. seine Position, und zum anderen das Gewicht der Störung des Arbeitsverhältnisses. Man muss insoweit auch beachten, ob eine Wiederholungsgefahr droht. Bei der Anhörung des Betriebsrats ist streng zwischen der Anhörung zu einer Verdachts- oder Tatkündigung zu unterscheiden. Der Betriebsrat kann und sollte vorsorglich zu beiden Kündigungsarten angehört werden.

6 Übergang von Verdachts- zur Tatkündigung

Im Laufe eines Kündigungsschutzprozesses kann ein Verdacht verstärkt oder ausgeräumt werden. Ist ein Verdacht im Laufe des Prozesses u. U. erst in der zweiten Instanz ausgeräumt, dann ist auch die Verdachtskündigung unwirksam. Bestätigt sich der Verdacht allerdings, so kann die Verdachtskündigung als Tatkündigung aufrechterhalten bleiben, wenn das Gericht nach der Beweisaufnahme von der Tatbegehung überzeugt ist.

Praxistipp

Eine Tatkündigung lässt sich hingegen nicht als Verdachtskündigung aufrechterhalten. Insofern ist der Ausspruch einer hilfsweisen Verdachtskündigung immer empfehlenswert, der natürlich voraussetzt, dass der Betriebsrat entsprechend hilfsweise zur Verdachtskündigung angehört wurde.

Fällt der Verdacht weg, erkennt die Rechtsprechung bei wirksamer Kündigung eine Wiedereinstellung an (BAG, Urt. v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63).

3 Fristen

Grundsätzlich ist die Verdachtskündigung sowohl als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist möglich als auch als außerordentliche fristlose Kündigung. Oftmals handelt es sich in der Praxis um so schwer wiegende Verdachtsmomente, dass i. d. R. eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird. Dementsprechend sind die Voraussetzungen des § 626 BGB – insbesondere die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des Abs. 2 – zu beachten, innerhalb derer nach Kenntniserlangung eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden muss. Denn die Rechtsprechung billigt dem Unternehmen bei einer Verdachtskündigung nicht nur Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung eines Verdachts und die dafür erforderliche Zeit zu, sondern sie fordert sogar vom Arbeitgeber, alles zu unternehmen, um den Verdacht aufzuklären und u. U. zu entkräften.

Zunächst kommt es – wie bei allen außerordentlichen Kündigungen – beim Fristbeginn des § 626 Abs. 2 BGB auf die Kenntnis des Arbeitgebers und damit oft der juristischen Person an. Das ist i. d. R. die Kenntnis einer Person, die zur Kündigung berechtigt ist, also auf jeden Fall ein Organmitglied – bspw. bei einer GmbH der Geschäftsführer.

Von wesentlicher Bedeutung ist, dass während der Ermittlungen des Unternehmens zur Aufklärung des Verdachts die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB gehemmt ist. Diese Hemmung hängt nicht davon ab, ob die Ermittlungsverfahren erfolgreich sind oder nicht. Vielmehr wird die Notwendigkeit der Maßnahmen danach bewertet, ob sie darauf gerichtet waren, dem Arbeitgeber eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der notwendigen Beweismittel zu verschaffen. Die Frist wird bspw. nicht durch die Einholung von Rechtsrat gehemmt, wenn dadurch Verzögerungen eintreten. Weitere zwingende Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist die vorherige Anhörung des Beschäftigten zu den Verdachtsmomenten. Ihm muss Gelegenheit gegeben werden, den Verdacht auszuräumen. Die Rechtsprechung fordert wegen dieser gebotenen zügigen Aufklärung, dass diese Anhörung des Mitarbeiters grundsätzlich binnen einer Regelfrist von einer Woche erfolgen muss, die man nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschreiten darf (BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, AuA 10/08, S. 628). Das Unternehmen ist also gehalten, ohne große Zeitunterbrechungen und zügig zu ermitteln. Hier empfiehlt es sich, die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen mit den entsprechenden, dafür benötigten Zeiten zu protokollieren. Der Arbeitgeber kann sich zudem im Hinblick auf die Hemmung der Frist nicht auf Verzögerungen von Ermittlungsmaßnahmen berufen, die von vornherein im Zusammenhang mit dem bestehenden Verdacht unerheblich sind.

Beispiel

Das wird z. B. der Fall sein, wenn man bereits auf die Aussagen von zwei Beschäftigten zum Diebstahl eines Kollegen zurückgreifen kann und dennoch die Aussage eines dritten Arbeitnehmers, der das Geschehen ebenfalls beobachtet haben soll, warten will, sich dieser aber noch im Urlaub befindet.

Von diesen internen arbeitgeberseitigen Maßnahmen ist das Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit einer Strafanzeige zu unterscheiden. Natürlich kann ein Unternehmen auch abwarten, wenn es abhängig von dessen Ergebnis eine Tatkündigung aussprechen will. Hier sind allerdings – alleine wegen des zeitlichen Aufwands eines Ermittlungs- oder eines Strafverfahrens – regelmäßig die internen arbeitgeberseitigen Ermittlungen und Aufklärungen der Verdachtsmomente vorzuziehen.

8 Erstatten einer Strafanzeige

Mitarbeiter haben gegenüber ihrem Arbeitgeber eine vertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dazu gehört, dass sie Vorfälle zunächst erfolglos intern klären müssen, bevor sie eine Strafanzeige gegen das Unternehmen oder gegenüber anderen Arbeitnehmern erstatten. Die vorherige unternehmensinterne Klärung ist nur dann entbehrlich, wenn sie unzumutbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber selbst bzw. sein gesetzlicher Vertreter eine Straftat begangen hat, d. h. die unternehmensinterne Aufklärung und das Vorbringen deswegen kein Erfolg hat, weil es sich um Handlungen des kündigungsberechtigten Geschäftsführers handelt. Unzumutbar ist eine vorherige Klärung auch dann, wenn sich der Arbeitnehmer durch die Nichtanzeige selbst gem. § 138 StGB wegen Nichtanzeige einer Straftat strafbar machen würde. Zudem kann eine vorherige Klärung ausnahmsweise unzumutbar sein, wenn das Unternehmen nach internen Hinweisen keine Abhilfe schafft.

9 Weitergabe interner Vorfälle an die Öffentlichkeit

Auch hier gelten die gleichen Grundsätze wie beim Whistleblowing durch Erstattung einer Strafanzeige. Allerdings hat ein Beschäftigter regelmäßig kein schutzwürdiges Interesse an einer Weitergabe von Interna an Medien. Die Rechtsprechung legt deshalb beim Lancieren interner Vorfälle an die Öffentlichkeit strengere Maßstäbe an. Bzgl. Behörden wird man allerdings eine vorherige unternehmensinterne Klärung als entbehrlich ansehen müssen, wenn ein Anzeigerecht besteht. Dies ist bspw. nach § 17 Abs. 2 ArbSchG der Fall, wenn Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit betroffen sind.

Hinsichtlich einer zur Kündigung wegen Whistleblowing berechtigenden Pflichtverletzung besteht zunächst die Frage, ob die innerbetriebliche Klärung trotz Zumutbarkeit unterblieben ist. Es ist zu berücksichtigen, ob eine bewusste oder leichtfertige Falschaussage des Mitarbeiters vorliegt. Hier kommt es darauf an, ob der Whistleblower in Kenntnis – bzw. in leichtfertiger Unkenntnis – von der Unrichtigkeit der Angaben gegenüber Strafbehörden, Medien oder Behörden interne Vorfälle weitergegeben hat.

Dabei ist eine entsprechende spätere Verurteilung des Arbeitgebers i. d. R. ein Indiz gegen die Leichtfertigkeit einer Aussage. Man muss zudem prüfen, ob die Anzeige der unternehmensinternen Vorgänge unverhältnismäßig ist. Dabei gilt es, die Motivation zu berücksichtigen. So ist eine Anzeige immer dann unverhältnismäßig, wenn es dem Arbeitnehmer offensichtlich darauf ankam, seinen Arbeitgeber zu schädigen. Bei der Interessenabwägung kommt es auf Unternehmensseite darauf an, ob es das Rechtsstaatsprinzip und die Meinungsfreiheit für sich gelten lassen kann. In diesem Zusammenhang ist das Urteil des EGMR vom 21.7.2011 zu berücksichtigen (28274/08, AuA 1/12, S. 52): Eine Pflegekraft hatte nachhaltige Pflegemängel bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, nachdem sie innerbetrieblich wiederholt – aber vergeblich – darauf hingewiesen hatte. Gegen die daraufhin erfolgte Kündigung hatte sie erfolglos alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft. Der EGMR stellte eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 der Menschenrechtskonvention) der betroffenen Mitarbeiterin fest. Aus dem Urteil des EGMR folgt jedoch kein absoluter Schutz von öffentlichem Whistleblowing jeder Art. Insbesondere bei vorsätzlich wahrheitswidrigen
Angaben ist eine Kündigung stets und weiterhin zulässig. Eine vorherige innerbetriebliche Klärung muss zwar grundsätzlich stattfinden, man kann jedoch nicht stets von leichtfertig erstatteten Anzeigen ausgehen, wenn sich die Vorwürfe später nicht erhärten. Für die Kündigungsmöglichkeit dürfte auch das öffentliche Interesse maßgeblich sein. Dies ist z. B. im Hinblick auf die Verhältnisse in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen sowie bei Finanzgeschäften mit möglichen volkswirtschaftlichen Risiken größer. Auch Gegenstände des öffentlichen Interesses sind in erster Linie als Meinungsäußerung zu werten. Das Kündigungsrecht des Unternehmens tritt bei vorheriger innerbetrieblicher Anzeige hinter die Meinungsfreiheit zurück.