OLG Naumburg, Beschluss vom 1. Dezember 2010 – 2 Ss 141/10

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Foto von Kaleidico

  Problempunkt 

Der angeklagte Arbeitgeber hatte von August 2004 bis Januar 2006 auf diversen Rasthöfen Sanitäranlagen gepachtet, die er über die gesamte Woche rund um die Uhr sauber zu halten hatte. Die hierzu von ihm beschäftigten Arbeitnehmerinnen stammten aus den ehemaligen GUS-Staaten. Sie blieben jeweils 14 Tage im Monat auf den Rasthöfen, um dort täglich im Zweischicht-Betrieb bis zu zwölf Stunden Reinigungs- und Toilettenaufsichtsarbeiten zu erbringen. Die Mitarbeiterinnen waren auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung angestellt. Der Angeklagte wusste, dass sie noch staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt erhielten. Er vereinnahmte die Trinkgelder selbst und zahlte bei freier Kost und Logis Monatslöhne zwischen 60 und 170 Euro. Dabei entlohnte er nur die Zeit des Putzens, die insgesamt zwei bis drei Stunden am Tag nicht überschritt, nicht aber die Aufsichtszeit. Der Minijob-Zentrale meldete er lediglich die geringeren Putzzeiten als Arbeitszeiten. Der gesetzliche Mindestlohn betrug gemäß dem einschlägigen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag im Tatzeitraum mindestens 7,68 Euro die Stunde, was dem Angeklagten bekannt war. Die von ihm gezahlten Stundenlöhne der Putzfrauen lagen bei maximal 1,79 Euro und minimal unter 1 Euro.

Sowohl das Amtsgericht Magdeburg als auch das LG Magdeburg sprachen den angeklagten Arbeitgeber frei. Sie meinten, er habe sich nicht strafbar gemacht, weil strafrechtlich nur die tatsächlich ausgezahlten Löhne als Berechnungsgrundlage der Sozialabgaben zugrunde zu legen seien.

  Entscheidung 

Das OLG Naumburg hob den Freispruch auf Revision der Staatanwaltschaft mit Urteil vom 8.7.2009 auf und verwies die Sache zwecks erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Magdeburg zurück. Diese sprach den Arbeitgeber mit Urteil vom 29.6.2010 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 18 Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen.

Der Angeklagte hatte bewusst tarifliche Mindestlohnregelungen umgangen und die nach dem Tariflohn geschuldeten Sozialabgaben nicht entrichtet, um sein eigenes Einkommen auf Kosten der von ihm angeblich nur geringfügig beschäftigten Reinigungskräfte zu erhöhen. Die Höhe der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge richtet sich nach dem geschuldeten Tarifl ohn und nicht nach dem vom Angeklagten gezahlten untertariflichen Lohn. Daher war ihm in Höhe der Differenzbeträge von rund 69.000 Euro ein strafbares Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB vorzuwerfen.

Der 2. Strafsenat des OLG Naumburg verwarf die anschließende Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 1.12.2010 als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils des LG Magdeburg hatte keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

  Konsequenzen 

Arbeitgebern, die Tariflöhne unterschreiten, drohen verschiedene Konsequenzen: Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) sind sie, wenn sie gemäß § 4 Nr. 2 AEntG unter den Geltungsbereich eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags des Gebäudereinigerhandwerks fallen, verpflichtet, ihren Arbeitnehmern mindestens die tariflichen Arbeitsbedingungen – u. a. den Mindestlohn – zu gewähren. Wer hiergegen verstößt, handelt nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AEntG ordnungswidrig. Auch wenn der Verstoß mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro belegt werden kann, handelt es sich aber lediglich um eine Ordnungswidrigkeit, nicht um eine Straftat.

Arbeitgeber, die Mitarbeiter in extremer Weise mittels Lohndumpings ausbeuten, können sich außerdem nach § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB wegen Lohnwuchers strafbar machen. Entsprechende Feststellungen sind allerdings häufi g schwierig, da es auf Vergleichslöhne ankommt und auch Sachleistungen – wie hier Kost und Logis – zu berücksichtigen sind. Zudem muss der wucherisch Handelnde „die Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche eines anderen“ ausbeuten.

Die Feststellungen zur Strafbarkeit des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs. 1 StGB sind dagegen wesentlich einfacher. Hiernach wird derjenige, der der Einzugsstelle als Arbeitgeber Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft – unabhängig davon, ob er Arbeitsentgelt zahlt. Dabei folgt das OLG Naumburg bei der Festlegung der Berechnungsgrundlage der sozialrechtlichen Rechtsprechung (BSG, Urt. v. 14.7.2004 – B 12 KR 1/04 R): Danach ist die Höhe der Beitragsschuld gemäß §§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 SGB IV bei Tariflohnunterschreitungen nicht aufgrund des (geringeren) tatsächlich gezahlten oder unwirksam vereinbarten untertariflichen Lohns, sondern nach dem (höheren) geschuldeten Tariflohn zu berechnen.

  Praxistipp 

Nach zutreffender Auffassung folgt das Strafrecht bei der Berechnung der maßgeblichen Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung dem Sozialrecht. Konsequenz ist, dass sich der Arbeitgeber nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar macht, wenn er geringere Sozialabgaben abführt, als dies nach dem tariflichen oder auf dem AEntG beruhenden Mindestlohn der Fall sein müsste. Eine Strafbarkeit tritt allerdings erst und nur ein, wenn er vorsätzlich handelt, also in Kenntnis eines geltenden tariflichen Mindestlohns weniger zahlt. Das Strafbarkeitsrisiko kann damit einen Arbeitgeber, der sich nicht nur über Mindestlöhne informiert, sondern diese auch zahlt, nie treffen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 08/11