Wozu braucht es überhaupt einen Chef? Diese berechtigte Frage – man denke nur an die üblicherweise hohe oder sogar exorbitante Vergütung – stellt sich nicht nur in Wirtschaftsunternehmen, sondern auch da, wo die Notwendigkeit von Führung offensichtlich auf der Hand liegt: im Orchester. Denn professionelle Musiker können auch ganz gut ohne Dirigenten auskommen, wie Prof. Gernot Schulz bei einem eindrucksvollen Experiment auf dem Personalmanagementkongress in Berlin zeigte: Als der Dirigent und Pädagoge, zuvor langjähriger Berliner Philharmoniker, die Hände sinken ließ, spielten die Musiker einfach weiter. Und zwar gar nicht schlecht – zumindest für den Laien war kein Unterschied erkennbar.

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Foto von Austin Distel

„Ja, ist denn der verrückt? Zeigt der hier vor allen Leuten, dass er eigentlich überflüssig ist?“ ging es einem durch den Kopf. Doch damit war die Vorstellung natürlich nicht beendet: „Nur die relative Selbstständigkeit der Musiker erlaubt es mir, mein Konzept zu übertragen, den Bogen zu spannen. Ich kann nur Zielpunkte außerhalb des Nahbereichs anvisieren, wenn ich mich auf meine Strategie besinne“, erklärte Prof. Schulz.

Und das geht eben nicht, wenn man hektisch mit dem Taktstock herumfuchtelt, sich „im Mikromanagement verliert“. Deshalb gilt, bestätigt von den Musikern: Impulse minimieren! Und als Beleg dafür, dass motivierte Mitarbeiter durch ein Zuviel an Vorgaben und Kontrolle verstimmt werden, passt das perfekt in die Diskussionslandschaft zum Thema Führung, Hierarchien und Kontrolle. Die „Schäferhund-Führung“ per Befehlstaktik a la „Sitz!“ und „Platz!“ ist endgültig out. Schon eher up to date ist die kooperativ ausgerichtete „Husky-Führung“ oder die Mitarbeiter sind gar reif fürs Mitunternehmertum (mit Tiermetaphern zur Verdeutlichung des Führungsstilwandels bereicherte übrigens Prof. Rolf Wunderer den Kongress). Die Diskussion um den richtigen Führungsstil ist damit aber sich nicht beendet….

Und das gilt auch im Fall des Orchesters: Denn der vermeintlich unbedingte Gehorsam gegenüber dem Dirigenten ist selbst hier nur bedingt wirksam. Ihre individuelle Leistungsfähigkeit opfern die einzelnen Musiker nämlich nur zugunsten des großen Ganzen, wenn sie der Dirigent für sich und sein Konzept einnimmt, sprich, sein Vorhaben klar kommuniziert und die Musiker emotional abholt. Die ebenso amüsante wie lehrreiche Einlage beim Kongress hat das wirklich gut veranschaulicht.