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Wie kann man gut in etwas sein, das unbekannt ist und quasi in jeder neuen Minute erst erschaffen wird. Weltweit küsst die Wirtschaft den Giganten „Digitalisierung“ wach. Und Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie Bürger müssen ständig ermessen, was der damit ausgelöste Datentsunami an ihren Betriebsstätten zerstört und was er von ihnen fordert. In dieser historischen Wendezeit setzen sich Interessensverbände zusammen, um ihren Kuchenteil zu besprechen. So auch jetzt die Verbände IfKom – Ingenieure für Kommunikation und DIE FÜHRUNGSKRÄFTE – DFK. Zu ihrem jüngsten Spitzentreffen haben sie am 12. März eine Pressemitteilung veröffentlicht, unter dem Titel „Industrie 4.0 – Die vierte industrielle Revolution braucht gute Führungskräfte“. Ihre Forderung lautet: Fach- und Führungskräfte müssen gründlich ausgebildet und gezielt weitergebildet werden, damit sie Deutschland mit neuem Wissen im globalen Wettbewerb vorwärts bringen.

Das klingt vernünftig und zunächst vertraut. Ebenso vertraut klingt auch dieser Satz: „Nur mit gut ausgebildeten Führungskräften kann Industrie 4.0 seine volle Wirkungskraft entfalten.“ Doch liegt in dieser Phrase eine Tatsache begründet, die sonst kein Thema in der Erklärung der Verbände darstellt: Die volle Wirkungskraft sieht so aus: Konzerne, Subunternehmer und Selbstständige verstricken sich auf internationaler, weil digitaler Ebene immer eng miteinander, getrieben durch die Suche nach Projekten und Finanzmitteln. An den Standort Deutschland denken die wenigsten im Eifer des Gefechts. Zweitens befördert die Kraft der staatlich geförderten Industrie 4.0 die permanente Entwicklung unausgegorener Produkte und Dienstleistungen, die so schnell hinfällig sind wie sie aufkamen. Es gilt ja, am Markt schneller zu sein als die Konkurrenz, auch wenn Ideen und Produkte nur halbfertig sind. Das sind zum Großteil dann die viel zitierten Innovationen. Von Nachhaltigkeit keine Spur. Am Ende geht es nur noch um das liebe Geld. In diesem Chaos entwickelt niemand mehr Güte im Bildungswissen oder gar solides Fachwissen. Schon längst regiert Halbwissen in vielen Branchen. Was heißt da gründliche Ausbildung? Gründlich ist keine Dimension des Digitalen, zumindest nicht in der Praxis.

Fragwürdig ist auch die systemische Grundlage der veröffentlichten Presserklärung: Die proklamierte totale, weil wettbewerbsgetrieben Wirtschaft steht einer Social Media-Bewegung gegenüber, die Kooperation zur Grundlage macht. Ein „sowohl als“ auch wäre möglich. Staatlich wird aber offenbar mit der globalen Wettbewerbsphrase ein „entweder oder“ betrieben. Welche Kraft, welches System also wird das aktuelle Spiel gewinnen? Der Presseerklärung der DFK und IfKom ist eine Antwort nicht eindeutig zu entnehmen. Die Verbände beschreiben ihren Ausblick folgendermaßen: 

„Das Internet der Dinge und Dienste wird alle Lebensbereiche der Menschen revolutionieren. Die vernetzte Fabrik der Zukunft wird neue Möglichkeiten bieten. Die technischen Herausforderungen im Rahmen von Industrie 4.0 sind gewaltig. Was technisch oder rechtlich dabei letztendlich möglich ist, ist in Bezug auf die erhobenen Daten weitgehend noch offen: Verantwortungs- und Haftungsfragen sind ebenso ungeklärt wie die Frage, welche Daten erhoben und mit wessen Wissen oder Zustimmung diese Daten an wen übermittelt werden dürfen. Neben der rasanten technischen Entwicklung fordern die Verbände DFK und IfKom daher eine einheitliche Regelung des Datenschutzes in Europa auf hohem Niveau. Das Gleiche gilt für die Persönlichkeitsrechte in der digitalen Welt. Auch wird sich die Arbeitswelt durch Industrie 4.0 grundsätzlich ändern. Deshalb ist eine Stärkung der digitalen Bildung unabdingbar.“

Zum letzten Satz der Erklärung lässt sich mit der Stimme der Hirnforschung sagen: Bildung ist Bildung und sie ist viel, aber sie ist niemals digital. Bildung wird vom Gehirn vor allem im episodischen Gedächtnis des Menschen neuronal erzeugt und gespeichert. Das Digitale spricht diesen Gedächtnisteil jedoch wenig an. Die Begrifflichkeit „digitale Bildung“ funktioniert nicht, sie ist falsch aufgesetzt. Bildung ist ein Ergebnis und kein Angebot oder Produkt. Es waren wohl Halbwissen und Politik, welche die Feder führten.

(sh)
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