Problempunkt

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Gemäß § 78a Abs. 2 Satz 1 BetrVG gilt zwischen einem Arbeitgeber und einem Auszubildenden, der Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) ist, automatisch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als begründet, wenn der Azubi innerhalb von drei Monaten vor Ende des Ausbildungsverhältnisses schriftlich verlangt, dass ihn der Arbeitgeber auf einem ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt. Ein solcher ist gegeben, wenn der Azubi ihn mit seiner Qualifikation, die er während der Ausbildung erworben hat, ausfüllen kann. Verlangt der Azubi die Weiterbeschäftigung, hat der Arbeitgeber nur die Möglichkeit, beim zuständigen Arbeitsgericht zu beantragen, festzustellen, dass kein Arbeitsverhältnis durch das Übernahmeverlangen begründet wird bzw. wurde. Dabei muss er nachweisen, dass es ihm unzumutbar ist, den Azubi weiterzubeschäftigen.

Im vorliegenden Fall war streitig, ob der Arbeitgeber einem Azubi einen Dauerarbeitsplatz hätte freimachen müssen, der bislang mit einem Leiharbeitnehmer besetzt war, da er die unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, sämtliche ausbildungsadäquaten Stellen nur noch an Leiharbeitnehmer zu vergeben. Das LAG Hamm verneinte dies per se und gab dem Aufl ösungsantrag des Arbeitgebers statt.

Entscheidung

Das BAG hob die Entscheidung des LAG Hamm auf. Es führte aus, dass es einem Arbeitgeber sehr wohl zumutbar sein kann, einen mit einem Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz freizumachen. Das gilt selbst dann, wenn er sich bereits vor dem Übernahmeverlangen des Azubis entschlossen hat, künftig nur noch Leiharbeitnehmer einzusetzen. Für die Frage, ob Bedarf für die Beschäftigung des Azubis besteht, ist allein maßgeblich, welche ausbildungsadäquaten Arbeiten im Ausbildungsbetrieb anfallen und auf wie viele Personen der Arbeitgeber sie verteilen möchte. Die Entscheidung, entsprechende Arbeiten nur noch von Fremdpersonal erledigen zu lassen, ist hingegen nicht von Bedeutung. Dieser Aspekt hat keinen Einfl uss auf die Anzahl der in dem Betrieb vorhandenen Arbeitsplätze.

Ob es dem Arbeitgeber zumutbar ist, einen mit einem Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz freizumachen, ist stets im Einzelfall zu prüfen. Besetzt das Unternehmen den Arbeitsplatz innerhalb von drei Monaten vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses, ist er regelmäßig freizumachen. Denn der Arbeitgeber muss während dieser Zeit mit dem Antrag des Azubis gemäß § 78a Abs. 2 BetrVG rechnen. Maßgeblich sind zudem sämtliche betrieblichen Interessen, den konkret infrage stehenden Leiharbeitnehmer weiterzubeschäftigen sowie die vertraglichen Verpfl ichtungen, die sich aus dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ergeben. Das BAG konnte die Einzelfallbetrachtung im vorliegenden Fall nicht vornehmen, da das LAG Hamm zu den relevanten Fragen keine Feststellungen getroffen hatte.

Konsequenzen

Das BAG bestätigte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach die bloße Entscheidung über den ausschließlichen Einsatz von Fremdpersonal nicht geeignet ist, einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers gemäß § 78a Abs. 4 BetrVG zu begründen (vgl. Beschl. v. 25.2.2009 – 7 ABR 61/07). Darüber hinaus stellte das Gericht beiläufi g erstmals fest, dass es einem Arbeitgeber auch dann zumutbar sein kann, einen mit einem Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz freizumachen, wenn er sich „nicht erst anlässlich der Übernahme des nach § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden zum künftigen Einsatz von Leiharbeitnehmern entschließt“. Dieser Nebensatz gibt zu erkennen, dass das BAG es im Einzelfall sogar für zumutbar hält, einen mit einem Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz freizumachen, wenn der Arbeitgeber diesen bereits mehr als drei Monate vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses an einen Leiharbeitnehmer vergeben hat. Das ist in Abgrenzung zu Nichtleiharbeitnehmern eine Besonderheit.

Praxistipp

Arbeitgeber, deren Belegschaft (z. T.) aus Leiharbeitnehmern besteht und die zugleich ausbilden, müssen im Rahmen ihrer Personalplanung § 78a BetrVG im Auge behalten. Insoweit sollten sie insbesondere in den letzten drei Monaten vor Ende der jeweiligen Ausbildungsverhältnisse möglichst keine ausbildungsadäquaten Stellen neu besetzen. Ist dies unvermeidbar, empfi ehlt es sich, die Stelle zunächst bis zum Ende des relevanten Ausbildungsverhältnisses befristet zu vergeben. Geschieht das nicht und lässt sich vor Gericht auch nicht darlegen, dass die Weiterbeschäftigung des Azubis unzumutbar ist, besteht das Risiko, den Azubi ohne Beschäftigungsmöglichkeit vergüten zu müssen.

RA Philipp Meese,

Röhrborn Biester Juli Arbeitsrecht, Düsseldorf

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 8/11