EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010 – C-45/09 (Rosenbladt)

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Foto von Austin Distel

  Problempunkt 

Die Mitarbeiterin, Frau Rosenbladt, war 39 Jahre lang als Reinigungskraft bei der Arbeitgeberin in Teilzeit beschäftigt und verdiente 307,48 Euro brutto im Monat. Ihr Arbeitsvertrag nahm auf den einschlägigen Tarifvertrag Bezug. Danach endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der Mitarbeiter Anspruch auf Altersrente hat, spätestens aber mit Ablauf des Monats, in dem er das 65. Lebensjahr vollendet.

Die Arbeitgeberin teilte der Mitarbeiterin kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahrs mit, dass ihr Arbeitsverhältnis wegen Eintritts in das Rentenalter enden werde. Die Arbeitnehmerin wollte aber weiterarbeiten, insbesondere wegen ihres sehr geringen Rentenanspruchs von 228 Euro netto/Monat. Sie erhob Klage beim Arbeitsgericht Hamburg und machte geltend, die Beendigung ihres Arbeitsvertrags sei unzulässig, da sie eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle. Eine solche Altersgrenze könne weder nach Art. 4 noch nach Art. 6 der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein.

Das Arbeitsgericht ersuchte den EuGH um eine Vorabentscheidung, ob die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gegen das in der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegte Verbot der Altersdiskriminierungen verstößt.

  Entscheidung 

Der EuGH entschied, dass die Richtlinie 2000/78/EG einer tariflichen Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten automatisch endet, nicht entgegensteht. Eine solche Klausel ordnet nicht zwingend den Eintritt in den Ruhestand an, sondern beendet nur das Arbeitsverhältnis wegen Erreichens des Rentenalters unabhängig von einer Kündigung. Voraussetzung ist jedoch, dass eine solche Bestimmung objektiv durch ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels angemessen und erforderlich sind.

Nach dem EuGH sind derartige Klauseln im Rahmen des Arbeitsrechts der EU-Mitgliedstaaten weithin und seit längerer Zeit üblich. Den Arbeitnehmern geben sie eine stabile Beschäftigung und einen langfristig vorhersehbaren Eintritt in den Ruhestand. Den Arbeitgebern ermöglichen sie gleichzeitig eine flexible Personalplanung. Die Klauseln sind deshalb Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, die sich in den komplexen Kontext von Arbeitsbeziehungen einfügen und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft sind. Insofern bewertete der EuGH die Ziele als „objektiv und angemessen“.

Es ist daher nicht unvernünftig, wenn die Stellen eines Mitgliedstaats oder die Sozialpartner in Ausübung ihres Grundrechts auf Kollektivverhandlungen ihren weiten Ermessensspielraum nutzen und annehmen, dass Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen angemessen und erforderlich sind, um diese legitimen Ziele zu erreichen (§ 10 Nr. 5 AGG). Die vorliegende Klausel stellt zum einen nicht nur auf ein bestimmtes Alter ab, sondern berücksichtigt auch, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugutekommt. Zum anderen ermächtigen oder zwingen sie die Arbeitgeber nicht, das Arbeitsverhältnis einseitig zu beenden, was demütigend für ältere Beschäftigte sein könnte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei einer tariflichen Regelung die Sozialpartner die Gesamtlage des Arbeitsmarkts und die speziellen Merkmale der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse berücksichtigen können.

  Konsequenzen 

Mit der Grundsatzentscheidung ist zumindest für tarifvertragliche Regelungen, die das Ausscheiden mit Erreichen des Regelrentenalters vorsehen, geklärt, dass sie mit dem Antidiskriminierungsrecht konform sind. Gleichzeitig stellte der EuGH klar, dass sich sämtliche Regelungen, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an ein bestimmtes Alter knüpfen, einem legitimen Ziel unterordnen und insgesamt objektiv und angemessen sein müssen. Auch tarifliche Altersgrenzen sind einer gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen.

Eine Folgefrage könnte sich jedoch beim (Wieder-) Eintritt stellen: Das AGG – so der EuGH – verbietet es, einer Person, deren Arbeitsverhältnis wegen Erreichens des Rentenalters geendet hat, eine Beschäftigung – sei es bei ihrem früheren Arbeitgeber oder einem Dritten – aus einem Grund zu verweigern, der mit ihrem Alter zusammenhängt. Beschäftigten, die das Rentenalter erreicht haben, wird nicht der Schutz gegen Ungleichbehandlungen wegen des Alters genommen, wenn sie erwerbstätig bleiben wollen und eine neue Beschäftigung suchen.

  Praxistipp 

Ist der Tarifvertrag mit der Altersgrenzenklausel nicht allgemeinverbindlich oder gilt er nicht kraft beidseitiger kongruenter Tarifbindung (die Tarifbindung des Arbeitnehmers ist dem Unternehmen regelmäßig unbekannt), muss der Arbeitgeber ihn arbeitsvertraglich in Bezug nehmen.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – 08/11