Vortrag von Dr. Laurenz Andrzejewski auf der Messe Zukunft Personal:
Trennungskultur: Trennung – Bindung – Motivation nachhaltig und fair gestalten
22. September 2009
12.00 – 12.45, Forum 1, Halle 4.1

Herr Andrzejewski, Sie beschäftigen sich seit rund acht Jahren mit Trennungskultur. Gehen Unternehmen mit dem Thema heute anders um als früher?

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Foto von bruce mars

Das Bewusstsein für die Thematik ist gestiegen. Einige Firmen verstehen heute, dass Trennungskultur einen wirtschaftlichen Nutzen hat – und nicht nur ein Akt der Freundlichkeit gegenüber den Menschen ist. Das zeigt sich auch daran, dass Themen wie Personalabbau und -umbau langsam Eingang in die Managementqualifizierung finden, was mich sehr freut. Andererseits gibt es immer noch einen ganz großen Aufklärungsbedarf. Trennungskultur ist nach wie vor ein Tabuthema, dem viele Entscheider hilflos gegenüberstehen.

Was sind die größten Fehler im Umgang mit Trennungen?

Sehr oft stehen Manager und Führungskräfte selbst nicht hinter den Veränderungen und können sie daher nicht überzeugend vertreten. Sie bereiten sich schlecht auf Trennungsgespräche vor, reflektieren ihre eigene Rolle nicht oder versuchen, das Gespräch an HR-Kollegen abzuschieben. Führen sie das Gespräch selbst, unterlaufen ihnen häufig handwerkliche Fehler. Sie bereiten sich zum Beispiel nicht auf die Fragen der Betroffenen vor. Wenn der Gekündigte wissen will, ob er seine Dienstwohnung räumen muss, schauen sie ihn groß an, weil sie an dieses Detail überhaupt nicht gedacht haben. Sehr häufig übersehen Vorgesetzte den Menschen hinter dem Mitarbeiter und gehen nicht auf dessen Anliegen und Emotionen ein. Hinzu kommt, dass sich die Unternehmen zwar mit denen beschäftigen, die gehen müssen, aber die Verbleibenden völlig aus dem Blick verlieren.

Inwiefern?

Unternehmen schenken den Verbleibenden zu wenig Zeit und Präsenz, obwohl sie ja gerade mit diesen Menschen weiterarbeiten wollen. Die Mitarbeiter wissen oft über Wochen und Monate hinweg nicht, ob sie im Team bleiben oder nicht. Und selbst wenn sie im Unternehmen bleiben, ist der psychologische Kontrakt häufig gestört. Denn das Umfeld hat sich verändert, lieb gewonnene Kollegen sind gegangen, und das Vertrauen in die Firma ist erschüttert. Wer bleibt, hat Angst, Fehler zu machen und Entscheidungen zu treffen. Außerdem fragt er sich, wann die nächste Entlassungswelle anrollt. Hinzu kommt die Angst, an Status und Einfluss zu verlieren, sowie die Furcht vor den anstehenden Belastungen. Denn sehr häufig müssen verbleibende Mitarbeiter die Abteilung wechseln oder die Arbeit des gekündigten Kollegen mit übernehmen. Diese Ängste müssen die Führungskräfte reflektieren und thematisieren.

Leichter gesagt als getan. Viele Führungskräfte fühlen sich vor einer anstehenden Kündigungswelle selbst als Betroffene und gehen mit vielen Ängsten und Zweifeln in die Situation.

Tatsächlich stehen Vorgesetzte häufig selbst nicht hinter den Veränderungen. Dabei ist es ganz wichtig, dass die Führungskräfte an die neue Organisation glauben und ihre Leute mitziehen. Vielfach fehlt es ihnen auch einfach nur am Mut, in die neue Situation hineinzugehen. Die HR-Kollegen müssen in dieser Situation eine Coaching-Funktion übernehmen. Sie sollten mit den Führungskräften die anstehenden Veränderungen, Aufgaben und auch die eigenen Befindlichkeiten reflektieren. Außerdem ist es wichtig sich in die Mitarbeiter hineinzuversetzen und zu überlegen, wie man möglichst individuell auf die Betroffenen eingehen kann. Denn jeder geht mit einer Kündigung anders um.

Sie sagen, dass Führungskräfte Kündigungsgespräche nicht auf HR abwälzen sollten. Gibt es auch Situationen, in denen es Sinn macht, die Personalabteilung hinzuzuziehen?

Ich plädiere heute sogar für ein Tandem aus HR und dem unmittelbaren Vorgesetzten. Dafür spricht zum einen die Antidiskriminierungsgesetzgebung: Es kommt durchaus vor, dass ein Kündigungsgespräch unter vier Augen Anzeigen wegen Belästigung nach sich zieht, weil sich der Gekündigte an seinem Arbeitgeber rächen will. Das ist nach einem Sechs-Augen-Gespräch deutlich schwieriger. Außerdem können zwei Unternehmensvertreter eher sicherstellen, dass die Botschaft der Kündigung wirklich ankommt. Sehr häufig verstehen die Betroffenen nämlich nicht, dass sie das Unternehmen verlassen müssen – sei es, weil der Vorgesetzte sich nicht klar ausdrückt, oder weil sie die Nachricht nicht hören wollen. Nach wie vor denke ich aber, dass die Verantwortung für die Gesprächsführung nicht bei HR, sondern beim Vorgesetzten liegt. Er muss die ersten fünf Sätze sagen.

Was genau sind die ersten Sätze?

Wichtig ist, dass Sie den gesamten Smalltalk streichen. Stattdessen sollten Sie dem Mitarbeiter einen Platz anbieten und gleich loslegen. Sinngemäß lauten die ersten Sätze meistens: „Wie vergangene Woche in der Betriebsversammlung verkündet wurde, ist auch unser Standort von Personalabbau betroffen. Das bedeutet konkret, dass 52 Arbeitsplätze wegfallen. Auch für dich heißt das, dass wir uns zum Datum x trennen werden.“ Die Botschaft muss in den ersten fünf Sätzen kommen – und ich empfehle Führungskräften dringend, diese fünf Sätze zu üben, denn sie kommen meist nicht leicht über die Lippen. Nach diesem Einstieg sollten Sie dem Mitarbeiter Zeit lassen, das Gehörte zu verarbeiten und darauf zu reagieren, Fragen zu stellen oder Emotionen zu zeigen.

Stichwort Emotionen: Kündigungen sind fast immer verletzend. Ist es überhaupt möglich, wertschätzend zu kündigen?

Ja, wenn Vorgesetzte die Kündigung begründen und erklären, wie die Auswahlentscheidung zustande kam. Dann erleben die Betroffenen die Kündigung als hart, aber fair. Ganz wichtig ist außerdem, dass Führungskräfte den Menschen unangetastet lassen und sich nicht zu persönlichen und abwertenden Bemerkungen hinreißen lassen, selbst wenn der Betroffene sie mit Fragen löchert oder mit Vorwürfen in die Enge treibt. Wertschätzung zeigt sich auch in den Rahmenbedingungen eines Trennungsgesprächs. Ist die Vertraulichkeit gewährleistet oder findet das Gespräch in einem Raum statt, in den jeden Moment jemand hineinplatzen kann? Geben sich die Betroffenen dort die Klinke in die Hand oder lässt man Pausen zwischen den Gesprächen? Klingelt während des Gesprächs das Handy des Vorgesetzten – und geht dieser sogar an den Apparat? Wichtig ist außerdem, dass es eine wirkliche Nachsorge gibt und die Mitarbeiter Ansprechpartner haben, an die sie sich wenden können.

Kündigungen aufgrund von Leistungsschwäche sind für die Betroffenen ein besonders schwerer Schlag. Wie sollten Führungskräfte ein solches Gespräch angehen?

Bei den leistungsbedingten Kündigungen lauten die ersten Sätze meist sinngemäß: „Wir haben schon soundso oft mit dir über deine Leistungen gesprochen, es hat mehrere Abmahnungen gegeben, jetzt möchten wir uns von dir trennen.“ Wichtig ist auch hier, dass Führungskräfte nicht persönlich werden oder den Menschen runtermachen, sondern nur über das beobachtete Verhalten sprechen. Erschwert werden solche Gespräche oft dadurch, dass den Betroffenen erst im Kündigungsgespräch bewusst wird, wie unzufrieden ihr Arbeitgeber mit ihnen ist. Die Führungskräfte sprechen Leistungsdefizite im Arbeitsalltag und in den Jahresgesprächen nicht deutlich genug an. Urplötzlich kommt es dann zur Eskalation.

Wie können Unternehmen Kündigungen vorbeugen?

Unternehmen sollten zunächst ein Bewusstsein dafür aufbauen, dass Trennungskultur zur Unternehmenskultur gehört und Teil des Managementprozesses ist. Trennung heißt dabei nicht immer Kündigung, sondern kann auch Versetzung und Rochade bedeuten, also Menschen an den Arbeitsplatz zu bringen, an dem sie ihre Skills effektiver einsetzen können. Kündigungen vorbeugen können Führungskräfte, indem sie wahrhaftig sind und im Arbeitsalltag regelmäßig Feedback geben. Außerdem sollten sie antizipieren, welche Skills sie in Zukunft benötigen, und ihre Leute entsprechen auswählen und qualifizieren. Manchmal redet das Management Wochen und Monate über anstehende Veränderungen von Produkten und Dienstleistungen, hat aber keine Vorstellungen davon, welche Kompetenzprofile das Unternehmen dafür benötigt. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter langfristig entwickeln. Und damit schließt sich der Kreis von der Trennungskultur zur HR-Strategie, zum Recruiting und zur Personalentwicklung. Das alles gehört zusammen – und ist doch eigentlich ganz einfach, oder?

Interview: Bettina Geuenich

Quelle: personal manager 1/2009