Welche Herausforderungen werden in den kommenden Jahren auf Personalmanager zukommen?

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Foto von bruce mars

Es gibt offenkundige und nicht ganz so offensichtliche Problemfelder. Offenkundig ist, dass sich durch den demographischen Wandel eine Verknappungssituation auf den Arbeitskraftbeschaffungsmärkten ergibt. Außerdem diskutieren natürlich alle Unternehmen über den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit und dabei insbesondere über eine adäquate Reaktion auf den Kostendruck. Hinter diesen allgemeinen Diskussionsthemen verbergen sich aber wichtige andere Fragestellungen: So müssen Personalmanager vor allem die Innovationskraft in den Unternehmen stärken. Das hat zunächst etwas mit der Qualifizierung der Mitarbeiter zu tun, aber auch mit der Restrukturierung der Prozesse. HR sollte die Arbeitsinhalte, aber genauso auch die Arbeitsprozessgestaltung überdenken.

Was meinen Sie damit genau?

Vor dem Hintergrund der knappen Ressourcen sollten Personalmanager beispielsweise die Frage stellen, wie sie Frauen vermehrt in allen Ebenen der Hierarchie einsetzen können. Dazu müssten wir die Arbeitsstrukturen so gestalten, dass sie dem Leben von Frauen, insbesondere von Frauen in Partnerschaften, entsprechen. Für Männer gemachte Strukturen nehmen auf das Zusammenspiel von Beruf und Familie meist keine Rücksicht, weil die Verantwortlichen noch immer davon ausgehen, dass Frauen sich entsprechend anpassen. Das können wir vernünftigerweise nicht verlangen. Außerdem haben wir ein Riesenproblem auf Grund der Altersstruktur, denn wenn wir tatsächlich in Richtung einer Verlängerung der Arbeitsbiographie gehen, müssen wir erst einmal das Loch schließen, das wir durch die Frühpensionierungen gerissen haben. In vielen Unternehmen gibt es aktuell keine Arbeitskräfte mehr, die um die 60 Jahre alt sind.

Welche Konsequenzen hat die Rente mit 67 auf das Personalmanagement?

Sie wirft die Frage der inneren Personalstrukturen auf, deren Ungleichgewicht nicht in einem Generationenwettbewerb enden sollte. In Zeiten, in denen keine Wachstumsmöglichkeiten bestehen, ändert sich in den Unternehmen auch der quantitative Kapazitätsbedarf nicht. Das heißt, dass die Firmen dann auf Jahre hinaus, eben bis die „Alten” 67 geworden sind und ausscheiden, keine jungen Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt aufnehmen können. Wie gewährleisten Unternehmen in diesem Fall ihre Wettbewerbsfähigkeit? Sie sollten sich natürlich vorab überlegen, wie sie die Generationen, die im allgemeinen Verständnis nicht mehr zu den “Jungen” gehören, wettbewerbsfähig machen und halten und den Mix zwischen den „Alten“ und den „Jungen“ gestalten, um Kreativität und Erfahrung zu paaren und günstige Kooperationsmuster zu schaffen.

Themen wie der demographische Wandel oder die Bedeutung von Frauen sind eigentlich ein alter Hut. Woran liegt es, dass diese Themen aktuell so heiß diskutiert werden?

Das Personalmanagement hat teilweise einen sehr großen Aufholbedarf. Ich habe das Gefühl, dass das Personalmanagement in den letzten Jahren eher Erfüllungsgehilfe war als Visionär. Jedenfalls kann ich letzteres bisher nicht beobachten. Es dauert verhältnismäßig lange bis Unternehmen Personaltrends von einigen Vorreitern übernehmen und meistens braucht es dafür einen bestimmten Auslöser. Nehmen wir einmal das Thema familienfreundliche Personalpolitik: Ich war Ende der 1990er Jahre in das entsprechende Ausgangsprojekt der Hertie-Stiftung eingebunden. Als wir damals begonnen haben, war das überhaupt kein Thema und in den Unternehmen wurde über diese „absurde” Idee nur gelächelt. Plötzlich machten dann einige fortschrittliche Unternehmen familienfreundliche Personalpolitik zu einer Wettbewerbsthematik und nun ist sie in aller Munde.

Unternehmen konkurrieren derzeit vor allem um qualifizierten Nachwuchs. Wie können HR-Manager bei der jungen Generation punkten?

Das Personalwesen muss sich fragen, mit welchen Einstellungen junge Menschen auf die Unternehmen zukommen. Welche Erwartungen haben die heute Fünfzehnjährigen von ihrem Leben? Wie wollen sie leben und arbeiten? Wir dürfen nicht so tun, als könnten wir die Gegenwart einfach verlängern. Es könnte ja sein, dass diese junge Generation andere Zielvorstellungen entwickelt. Immer dann, wenn äußere Ängste wirken, wie es beispielsweise durch die Klimaentwicklung sein kann, fragen sich die Menschen: Was ist der Sinn des Lebens und wie gestalten wir das unsere? Unternehmen, die sich mit der Frage früher beschäftigen als andere, werden bei der Nachwuchsrekrutierung einen Wettbewerbsvorteil haben. Es könnte zum Beispiel sein, dass die Art zu arbeiten, wie es in der so genannten „New Economy“ der Fall war, der Idee der jungen Menschen von der zukünftigen Arbeitswelt am besten entspricht. Personalmanager müssen heute schon einen Sinn für die Wünsche der kommenden Generation entwickeln, weil sie die Ideen nicht von heute auf morgen ändern können.

Wie zufrieden sind denn die Mitarbeiter in Deutschland aktuell mit ihrem Unternehmen und mit dem Personalmanagement?

Die aktuelle Studie des Gallup-Institutes mit ihrem internationalen Engagement-Index kommt zu dem Ergebnis, dass es zumindest um die Loyalität der Mitarbeiter ihrem Unternehmen gegenüber nicht gut bestellt ist. Die Untersuchungsergebnisse und die Reaktionen darauf sind ein interessantes Phänomen. Die Resultate besagen, dass lediglich 13 Prozent der Mitarbeiter engagiert ihren Aufgaben nachgehen. Dieses Ergebnis scheint so weit jenseits der Realitätseinschätzung der meisten Unternehmen zu liegen, dass es erstaunlicherweise keine Reaktion mehr hervorruft. Stellen Sie sich vor, eine Studie würde heute ergeben, dass nur noch 13 Prozent der Menschen in Deutschland gesund sind und alle anderen an schleichenden Krankheiten leiden. Das gäbe eine hochintensive Diskussion. Obwohl Gallup selbst den Mut hat, die Kosten dieser Struktur mit jährlich 250 Milliarden Verlust für die deutsche Wirtschaft auszurechnen, spricht keiner darüber. Auch wenn das Ausmaß unklar ist – ich bin überzeugt, dass wir in den letzten Jahren eine abnehmende Tendenz der Loyalität hatten. Das sollte Anlass zur Sorge sein, wenn die Unternehmen nicht ihre Attraktivität als Arbeitgeber und im internationalen Wettbewerb Boden verlieren möchten.

Auf welche Weise können Personalverantwortliche die Attraktivität ihres Unternehmens steigern?

Sie sollten auf verschiedenen Ebenen handeln. Das fängt auf einer ganz normativen Ebene an: beim Stellenwert der Mitarbeiter im Unternehmen. Es geht dabei um einen internen Ethikkodex, der den Umgang mit den Mitarbeitern und mit dem externen Umfeld beschreibt. Social Responsibility ist häufig eher nach außen gewendet, aber nach innen sind Leitbildern, Führungs- oder Unternehmensphilosophie ebenso wichtig. Dieser Ethikkodex ist aber nur dann wirkungsvoll, wenn er nicht nur Hochglanz bleibt. Die erste Führungsebene muss das vorleben, wie beispielsweise der Unternehmer Hipp. Manche betrachten Ihn als Patriarch, aber er ist auch ein Garant für eine Grundhaltung gegenüber den Arbeitnehmern, mit der sich diese identifizieren können. Neben der normativen Ebene müssen sich Personalmanager über Ihre strategische Linie Gedanken machen. Das bezieht sich auf ihren Werschöpfungsbeitrag und – damit zusammenhängend – auf den Einfluß, den sie auf die Entwicklung und insbesondere auf die Umsetzung der Unternehmensstrategie ausüben können und wollen. Unmittelbar wirksam ist personalwirtschaftliche Kreativität auf der operativen Ebene. Das beginnt bei der Umsetzung betrieblicher Kernkompetenzen in Mitarbeiterqualifikationen. Aber diese Ebene umfasst ebenso die strukturellen Fragen der Arbeitsorganisation und reicht von der Inhaltsgestaltung der Arbeit über die Arbeitszeitthematik bis hin zur Vergütung.

Sie sagten aber, Personaler sind bisher häufig noch die ausführende Instanz und nicht die Strategen. Woran liegt das?

Das ist eine Gemengelage aus Unternehmenskultur, der Aufgabenstellung des Personalbereichs und der Persönlichkeiten, die sich für diese Funktion entschieden haben oder die in diese Funktion hineingesetzt wurden. Je älter ein Unternehmen ist, desto geringer ist manchmal die Bedeutung des Personalbereiches. In der Vergangenheit war er entweder mit Juristen besetzt, die ein möglichst hohes Maß an Konfliktfreiheit sicherzustellen sollten, oder mit Sozialwissenschaftlern, da ihnen ein sensitiver Umgang mit Arbeitnehmerbelangen am ehesten zugetraut wurde. Nur in wenigen Fällen kamen klassische Unternehmerpersönlichkeiten zum Zug. Der Personalbereich hat in der Praxis häufig ein weiches Image: Er gilt als gering geschäftsorientiert. Das scheint in Deutschland besonders ausgeprägt zu sein, so besagen es zumindest Untersuchungen wie das Cranfield-Projekt. Das führt dazu, dass das Einflusspotenzial dieses Bereichs, ganz entschieden von den Persönlichkeiten der obersten Verantwortlichen abhängt. Dieses Problem hat viele Großunternehmen dazu bewogen, dass sie an die Spitze des Personalbereiches keinen ausgewiesenen Personaler gesetzt haben, sondern einen erfolgreichen Kaufmann aus der Linie, um diesen Wertschätzungs”gap” zu überwinden. Häufiger ist jedoch eine schwache Personalleitung anzutreffen, die sich sogar selbst als ausführende Instanz begreift. Es gibt im Extremfall auch noch die unglückliche Situation, dass die Geschäftsführung Mitarbeiter in die Personalabteilung versetzt, die an anderer Stelle nicht mehr mithalten können, aus der Überzeugung heraus: Personalarbeit – das kann jeder.

Was sollten Personaler für eine erfolgreiche Personalarbeit mitbringen?

Der Nachwuchs braucht eine sehr solide ökonomische Grundqualifizierung und sollte gleichzeitig sehr gute soziale Kompetenzen mitbringen. Leider wird die bis zur Gegenwart reichende universitäre Qualifizierung dem nicht gerecht, weil die Ausbildung innerhalb der Betriebswirtschaft durch Vertiefungsfächer strukturiert ist. Normalerweise hat der Student zwei Vertiefungsfächer gewählt. Das bedeutet für mich, dass die Absolventen keine Generalisten sein können. Diejenigen, die Personal vertieft haben, stehen häufig noch mit den klassischen ökonomischen Fragestellungen auf Kriegsfuß. Diese Situation hat sich durch die Neustrukturierung in Bachelor- und Masterstudiengänge verbessert, so dass die Ausbildung eher den Anforderungen einer generelleren, einer systemischeren beruflichen Qualifikation entspricht. Das hängt aber von den einzelnen Universitäten ab – davon, ob sie tatsächlich etwas Neues auf die Beine gestellt, oder ihre alten Studienfächer einfach ein bisschen transferiert haben. Also mein Plädoyer ist: eine sehr solide und betriebswirtschaftlich breit angelegte Grundausbildung.

Wie könnte der Karriereverlauf eines Personalmanagers im Optimalfall aussehen?

Ich glaube, dass die Grundqualifzierung des akademischen Nachwuchses nicht ausreicht, um gute personalwirtschaftliche Entscheidungsträger vorzubereiten. Das hieße im Extremfall, dass junge Absolventen nicht unmittelbar im Personalbereich eintreten sollten, sondern erst einmal in eine dem Wertschöpfungsprozess nähere Funktion, aus der sie dann später in den Personalbereich überwechseln. Was auf jeden Fall auch geschehen muss, ist eine viel stärkere Weiterbildungsorientierung. Der Personalbereich ist wegen der Breite der Aufgabenstellung in einem höheren Maß auf Weiterbildung angewiesen als andere Bereiche. Außerdem ist Personalarbeit stark abhängig von gesellschaftlichen, rechtlichen und technologischen Prozessen. Das bedarf einer ganz breiten und intensiven Professionalisierung. Wenn Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit in einer Wissensgesellschaft tatsächlich Ernst nehmen, ist gutes Human Resource Management eine der wichtigsten Voraussetzungen und eine der anspruchvollsten Aufgaben.

Interview: Stefanie Hornung

„Muss sich das Personalmanagement neu positionieren?“ Dieser Frage wird Prof. Dr. Rainer Marr am 12. September um 15:30 Uhr auf der Fachmesse Zukunft Personal in Köln als Keynote- Speaker nachgehen.