people sitting in front of monitors inside room
Foto von Adrien Olichon

Vor allem junge Menschen hinterlassen heute Spuren im Netz; in Social Media-Foren, auf Blogs oder ähnlichen Plattformen. So auch Moritz Erhardt. Der Spiegel-Korrespondent Christoph Scheuermann ist den Weg des jüngst Verstorbenen im Web abgegangen und hat in einer Reportage zusammengetragen, was er fand. Die Fakten überraschen wenig, denn sie stimmen überein mit denen, die auch bei anderen Managern vorliegen, die den Tod im Job fanden – entweder aus Erschöpfung oder aus eigenem Willen.

Christoph Scheuermann wählt zur Einleitung seines Berichts das Sujets des Marathons, um das Leben der jungen Leute in London zu beschreiben, die es an die Topspitze des Managements schaffen wollen. Er schreibt: „Nach ihrer Zwölf-Stunden-Schicht kommen sie nach Hause, steigen in Turnschuhe und gehen joggen. Ihr Leben ist ein Marathon".  

Janus und das Leben

Hartes Trainings, Spitzenleistung, heldische Ausdauer – diese Bilder sind beliebt in vielen Führungskräfteprogrammen, aber auch in Texten über die Leistungssteigerung bei Mitarbeitern. Die Leser sollen neugierig darauf sein, was sie von Golfern, Fußballern und Radprofis lernen können. Wie jedes Thema hat auch der Spitzensport einen Januskopf. Gut und Böse liegen Rücken an Rücken. Die Todesfälle weisen auf den bösen Kopf. Ob Moritz Erhardt gewusst hat, dass das Leben zwischen beiden Gesichten stattfindet und die Mitte halten muss, um fortzubestehen?

Vielleicht, aber sicher nicht zur Gänze. Die Spurensuche von Scheuermann lässt es vermuten: Moritz Erhardt ist 21 Jahre alt und Wirtschaftsstudent. In einem Blog sagte er über sich, dass er ehrgeizig und auf Konkurrenz erpicht sei. Seine Familie will ihn außerdem reüssieren sehen, und er entspricht den hohen Erwartungen. In der Schule ist er laut Scheuermanns Bericht für Spitzenleistungen in verschiedenen Fächern ausgezeichnet worden. Er gewinnt zwei Jugend-Tennisturniere. Er war Mitglied der Jungen Union. Die hat sich bisher nicht zur Wort gemeldet. Wohl aber Vater Erhardt. Er sagte der Bild-Zeitung: "Sein Plan war: Ein paar Jahre richtig hart arbeiten und danach etwas Gutes tun."  

Der Mustermensch

Das geschah denn auch - zumindest was die harte Arbeit angeht. Obwohl Merrill Lynch gegenüber zahlreichen Zeitungen dementierte, dass Praktikanten zum Teil Nächte durcharbeiten und hunderte Überstunden machen, sagen Betroffene – wie zum Beispiel Kollegen des verstorbenen Erhardt und Studenten im Bankensektor – dass diese Praxis völlig normal sei. Da Praktika im Londoner Bankensektor zum Teil hoch dotiert sind – über 3.000 Euro monatlich – ist anzunehmen, dass die Unternehmen ihren Tribut einfordern und die Aussagen tatsächlich belastbar sind. Dem „Evening Standard“ beispielsweise erzählte ein Mitpraktikant, dass Erhardt stets konzentriert auftrat und härter arbeitete als alle anderen Praktikanten. Er habe die üblichen 15 Stunden am Tag überschritten.

Für Moritz Erhardt hätte das Praktikum die Kür werden sollen: Nach seinem Abitur ging er in die USA und studierte an der Universität von Michigan. Anschließend bekam er einen Platz als Bachelor-Student an der WHU/Otto Beisheim School of Management, einer privaten Wirtschaftshochschule in Vallendar bei Koblenz. Er hatte außerdem bereits Hospitanzen bei der Deutschen Bank, bei Morgan Stanley und KPMG vorzuweisen.

Die Business School meldet sich zur Wort

Die Business School hat sich unterdessen zu Wort gemeldet und schreibt auf ihrer Website:
"Die Nachricht vom plötzlichen und unerwarteten Tod unseres BSc-Studenten Moritz Luc Erhardt in der vergangenen Woche hat uns zutiefst schockiert. Er befand sich gerade in einem Praktikum in London. Über die näheren Umstände ist uns noch nichts Genaues bekannt. Die WHU hat einen wunderbaren Menschen und einen sehr engagierten Studenten verloren. Unsere aufrichtige Anteilnahme gilt der Familie und den Angehörigen von Moritz Luc Erhardt. Wir wünschen der Familie die notwendige Kraft, um diese schwierige Zeit zu meistern.“

Erst in 2011 hatte die WHU ein Ethik-Zentrum für verantwortungsvolle Führung gegründet.
"Die WHU entwickelt in systematischer Weise Führungskräfte, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind und auch dazu bereit sind, dieser gerecht zu werden", verdeutlichte Professor Martin Högl bei einem Pressegespräch anlässlich der Gründung des Centers. Seit ihrer Gründung stehe die Hochschule für die Ausbildung ihrer Studierenden zu verantwortungsbewussten Managern. "Vor dem Hintergrund einer weitreichenden Diskussion über soziale Verantwortung, Ethik und Integrität von Führungskräften ist es der WHU ein Anliegen, mit der Gründung eines Centers for Responsible Leadership diese Themen noch stärker in den Vordergrund zu stellen", so Högl weiter.


Wie sprechen wir mit jungen Managern
über die möglichen gefährlichen Klippen,
die sie in ihrem Leben erreichen könnten?



Konsequenzen für HR

Welche Denkaufgabe ergibt sich für Personaler aus allem Berichteten? Zuerst: Es geht für sie wohl weit weniger um PR-Strategien, wie solche Tode zu kommunizieren sind. Es wäre verächtlicher Zynismus, sich nur danach zu fragen. Vielmehr steht vor allem zur Debatte, wie Frühwarnsysteme aussehen könnten. Für Minderleistung, Motivationstiefs und ähnliches gibt es derlei. Wer aber trägt Sorge dafür, dass Hochleistungsträger – die oft den Guerillaweg gehen, um Großes zu erreichen - nicht einen vermeintlich heldischen Weg wählen, der im Tod mündet? Gilt das noch: Der Mensch steht im Mittelpunkt? Eltern verlieren ihre Söhne und Töchter. Freunde liebe Menschen. Und die Gesellschaft Hoffnungsträger.

In der Verantwortung für den aufmerksamen Umgang stehen eigentlich alle Mitmenschen, die den Manager oder angehende Manager kennen, bzw. mit ihm zu tun haben. Diese Verantwortung ist nicht an Abteilungen delegierbar. Andernfalls werden Manager wie Obdachlose am Sozialamt behandelt. Ist die Wahrheit, dass Manager das gleiche Schicksal wie sie erleiden? Man interessiert sich nicht eigentlich für sie? Mit allen Boni haben sie ihr Recht auf menschenwürdige Behandlung verwirkt? Und bevor sie von der Gesellschaft weggeschmissen werden, schmeißen sie sich selbst weg? Sie nehmen das der Gesellschaft symbolträchtig ab? Ist es das, worum es bei den meisten Toden geht? Hoffentlich nicht. Soldaten klärt man über die Gefahren des Jobs auf. Was sagt man Managern?


Weiterführende Lektüre:

Der Mensch hinter dem Suizid:
Carsten Schloter – Swisscom-Reformer



Redaktionshinweis: In der Presse haben Psychologen bisweilen von Medien gefordert, über die Tode nicht zu schreiben, um einen möglichen Werther-Effekt zu vermeiden. HRM.de meint: Um aufklären zu können, Menschlichkeit walten zu lassen und Menschen abzuholen, die sich belastet fühlen, möchten wir öffentlich und emphatisch über die Vorfälle nachdenken. In einer Welt, in der vieles im Netz öffentlich über Menschen verhandelt wird, sollen die Tode kategorisch beschwiegen werden? Wer schafft dann die Sprache, damit Leben möglich wird und Tod Würde erfährt? 
 


Fotocredit: Janusz Klosowski  / www.pixelio.de