Anbieter & Personaler: zu wenig Kompetenz

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Foto von Gabrielle Henderson

Sein Befund sagt auch eine Menge über den generellen Umgang mit Big Data aus. Hüning schreibt, den Anbietern fehle es an Kompetenz. Weiter heißt es: „Der jahrelange Fokus auf das B2B Geschäft Fernsehen / TV-Vermarktung hat naturgemäß andere Fähigkeiten ausgebildet als datengetriebene Technologien und Intelligenz auf B2C Nutzungsverhalten anzuwenden.“ Der Autor fragt ketzerisch, ob das Fernsehvolk im Ernst einen Tatort mit Helene Fischer und Mario Barth sehen will, nur weil die Quoten und Social media-Werte der beiden hochsommerlich aussehen.

Was Christoph Hüning in den Raum stellt, ist eine Überspitzung dessen, was bereits passiert. Natürlich werden Rollen nach Beliebtheitswert besetzt. Und Können sowie Charakter spielen da nicht immer die erste Geige. Wenn aber die zitierte Überspitzung zum alles überwältigenden Alltag wird – Bildzeitung rund um die Uhr – dann hat das System eine gefährliche Steilspitze überschritten.

Hünings Szenario lässt sich auf die HR-Branche übertragen. Dabei spielt es eine Rolle, dass erst die Kampagnen der Bundesregierung mit ihren enormen Fördergeldern im Hintergrund die Szene aufmerksam gemacht, vor allem im Bereich Industrie 4.0. Davor arbeiteten einzelne Konzerne und Forschungseinrichtungen im toten Winkel der Gesellschaft an digitalen Big Data-Tools. Bekannt sind dem Bürger sowie HR-Profi Begriffe wie Scoring, HR-Cockpit oder Data Mining. Dadurch, dass digitale Praktiken gegen Menschenwürde und -recht verstießen, sind einzelne Big Data-Methoden durch einen Aufschrei der Presse bekannt geworden; wie die Scoringidee der Schufa , Userinformationen aus sozialen Netzwerken als ergänzende Information zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit zu nutzen. Der Medienrummel bremste die Sache aus. Inzwischen hat ein Privatunternehmen diese Idee umgesetzt, um Kunden in Ostdeutschland mit Krediten zu versorgen, die von Algorithmen als vertrauenswürdig auserkoren wurden.

Wenn nun Anbieter und HR-Szene in die digitale Transformation starten, dann haben sie dafür keine bewährten Tools, keine Landkarten oder jahrelange Erfahrung. Die Sache ist Neuland. Die Sache verspricht Geld und das ermutigt auch Schluderer, jetzt in Big Data zu machen. Und für Personaler gilt: Hatte man Social Media nicht verstanden – und Blogger wie Henner Knabenreich legen den Finger auf fortwährende Wunden – so erfordert Big Data soziologisches, marktwirtschaftliches Verständnis. Jetzt zeigt sich an der Maschine, wie verständig, wie gebildet oder wie exzellent ein HR-Profi eigentlich ist. Die Algorithmen gießen in rigide Form, was Menschen ihnen geben.

Joachim Skura, bei Oracle im Sales Development tätig, wies in einem Interview mit der Fachzeitschrift Personalwirtschaft im Frühjahr 2015 daraufhin, dass nur ein Bruchteil der Personaler überhaupt die Kompetenz zur Anwendung von Big Data besitzt. Für viele Anbieter ist genau diese Inkompetenz des HRs der Matchpoint für ihre Produkte: Lass es uns machen, wir bauen Dir in Deine Software alles ein, was Du brauchst. Die Stunde der Experten ist durch Arbeiten 4.0 vorbei, wie es in der new work-Bewegung heißt? Die alten Experten versuchen die bewährte Expertise-Kultur neu zu verbrämen.

Manchen wird das nicht gelingen: Big Data ist nämlich keine einfache Automatisierungsschleife, sondern ein mächtiges Werkzeug, um Umstände unter das digitale Mikroskop zu legen. Das erfordert profunde Kenntnisse. Der Forscher, der Krebs erforscht, muss auch eine Menge über sein Objekt wissen und experimentieren, um beispielsweise den Stoffwechsel von Zellen zu verstehen und seine Beobachtungen auf seine Fragen zurück zu übersetzen. Bezogen auf HR bedeutet das: Welche Kompetenzen hat HR, außer den tradierten Rezepten in der HR-Szene? Wie gut können Berater sich wirklich in Betriebe rein denken? Werden beide Seiten fähig sein, einen Partikel im Zusammenhang mit dem Ganzen eines beobachteten Phänomens zu verstehen? Kommerzielles Bewusstsein von Menschen, Sozialgefügen, Geld und vielen mehr reicht da nicht.

Big Data winkt mit naturwissenschaftlicher Brillianz. Sportsfrage: Wer von uns war gut in Naturwissenschaft? Wer hatte Lust auf Politikwissenschaft? Wer kann sich auf soziologischem Terrain sicher  bewegen? Christian Scholz, einer der profiliertesten HR-Professoren in Deutschland hat schon vor Jahren bei dieser Frage abgewunken. Damals ging es noch um Corporate Social Responsibilty und Fallsimulationen im Personalmanagement.  
   
Noch ist nicht der Abend aller Tage angebrochen; Big Data im HR steht in Deutschland noch am Anfang; wiewohl es von amerikanischen Headquatern über deutsche Töchter und Filialen diktiert werden wird.  

Big Data ist unsere Chance zur Besinnung

Big Data ist unsere Chance, jetzt die Drehzahl im Business zu drosseln und uns endlich Zeit zu geben, um zu verstehen, wer wir sind, was wir eigentlich tun und was wir brauchen. Damit sollten wir die Maschinen füttern, mit den Erkenntnissen sollten wir den Robotern sagen, nach welcher Maßgabe sie für unsere Augen Realität ansehen sollen. Die Augen einer Maschine sehen nur tote Materie. Da steht kein Mensch im Mittelpunkt, und besonders ist er schon gar nicht. Und eigentlich ist 0 und 1 auch gleich – es sind für den Roboter nur Versatzstücke. Das sehen Menschen ganz anders. Erklären Sie einem Kind mal, dass es jetzt im Hochsommer entgegen seiner Gewöhnung null Eis gibt. Spüren Sie den Effekt? Hören Sie das Geschrei? Viel zu niedliches Beispiel? Wussten Sie, dass weltweit seit 1950 knapp 95 Formel-1-Fahrer im Rennen starben? Bis in die 1970er hinein galt der Tod als notwendiges Risiko. Doch die Piloten wollten nicht länger Spielbälle der Veranstalter und Teams sein – sie drückten schärfere Sicherheitsbestimmungen für Fahrzeuge und Strecken durch. Seit Mitte der 1990er Jahre gab es bis jetzt nur noch vereinzelte tödliche Unglücke; und doch immer noch zu viele. 

Wie gehen Sie mit Big Data auf die Strecke? Sind Sie der Pilot, das Publikum oder ein Teammitglied? Und was wäre der tödliche Big Data-Unfall in Ihrem Haus? Lassen Sie sich Zeit beim Denken. Das ist nicht nur gesund, es macht auch schlau.  

Tipp: Wenn der Algorithmus in Ihrem Unternehmen mal wieder als das Allheilmittel diskutiert wird, schlagen Sie vor, das Management damit zu ersetzen. Das spart Personalkosten und Debatten. Wozu einen gottähnlichen Menschen, wenn die Maschine das auch kann. Wussten Sie eigentlich, dass selbstlernende Algorithmen in 2008 am Wirtschaftscrash beteiligt waren und keiner mehr wusste, was die taten. Hat der verstorbener Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher in einem WDR-Interview mit Ranga Yogeshwa erzählt. Können Sie in diesem Video bestaunen


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Foto: FotoHiero | pixelio.de


Zeigen Sie mal von einem Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt ein einzelnes Best-Practice-Beispiel. Angeblich würde Ihnen das gelingen, glaubten wir den zahlreichen HR-Anbieter-Werbetexten und Politdebatten. Wie klein wäre wohl der Ausschnitt, den Sie zeigen könnten und wie repräsentativ für alle anderen Marktteilnehmer? Die vierte politisch hoch subventionierte industrielle Revolution beginnt zu wirken und es mangelt nicht an Experten, die wissen wie Aufgaben zwischen Mensch und Maschine zu verteilen wären. Wir Personaler sind aufgerufen, den Wandel für uns zu nutzen. So wie wir Social Media, Kreativtechniken und Co. für uns hätten nutzen sollen. 

Ganz anders liest sich abseits solch vertrauter PR-Appelle ein Bericht zur digitale Transformation vom Digital Business Consultant Christoph Hüning bei der Huffington Post. Er bezieht sich auf einen Bericht des Nachrichtendienstes „kress Report“, welcher Big Data in seiner Ausgabe 11 ins Visier genommen hatte. Darin ging es unter anderem um die Gestaltung von TV-Inhalten durch Big Data. Hüning spinnt die Debatte um den berichteten Netflix-Erfolg „House of Cards“ weiter und analysiert die Möglichkeit von Big Data-Gestaltung für den deutschen Fernsehmarkt.