Herr Hilgers, Computerspiele beschäftigen die Menschen vor allem in der Freizeit. Warum sollten sich Unternehmen also aus Ihrer Sicht dafür interessieren?

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Foto von Priscilla Du Preez

Dafür gibt es mehrere Gründe. Am ehesten beschäftigen sich Unternehmen heute damit, um selbst Computerspiele zu entwickeln – zum Beispiel für Lernzwecke. Andere Hintergründe scheinen mir aber gewichtiger: Computerspiele können zeigen, welche Talente in Menschen stecken. Ein weiteres Anwendungsfeld ist Gamification. Dabei geht es darum, wie ich Wissen über das Design von Spielen im Unternehmen einsetzen kann.

Könnten Sie den Begriff Gamification genauer definieren?

Gamification bezeichnet die Anwendung von Computerspielmechaniken und Designelementen auf Unternehmen. Personaler gamifizieren ein Unternehmen, indem sie das Wissen darüber, wie Gamedesigner ein Spiel gestaltet haben, im Unternehmen zur Anwendung bringen. Spieldesigner legen zum Beispiel üblicherweise jedem Spiel ein sogenanntes Flowdiagramm zugrunde. Es soll sicherstellen, dass der Spieler immer Aufgaben bekommt, die seinem Wissenstand entsprechen – also Aufgaben, die nicht zu schwer und nicht zu leicht für ihn sind und eine ideale Herausforderung darstellen. Genau dieser Ablauf, der die richtigen Skills mit den richtigen Aufgaben für die Mitarbeiter kombiniert, zeichnet Computerspiele aus. Man kann sich also von ihnen abschauen, welche Tricks und Elemente sie dazu verwenden.

Könnten Sie das mit einem Beispiel veranschaulichen?

Ein Spieler steht zum Beispiel in einem Rollenspiel vor einem Monster und muss es mit einem riesigen Schwert erlegen. Hier ist zu beachten, wie er da hingeführt wird, welche Belohnung lockt und was ihn als nächstes erwartet. So einen Pfad gibt es bei allen Spielen – auch bei Social Games auf Facebook oder auf Mobile Devices. Diese Schemata beruhen oft auf psychologischen Grundlagentheorien. Wenn man sie auf diese Art veranschaulicht, ergeben sich eine Menge Möglichkeiten, Verbesserungspotenzial in Unternehmen zu nutzen.

Sie sagten auch, Computerspiele können Talente sichtbar machen. Wie ist das gemeint?

Über die Computerspiele, die jemand spielt, können Personaler herausfinden, wofür sich derjenige am meisten interessiert und wie er sich im Unternehmen am besten einsetzen lässt. Das kann wichtige Hinweise im Vorstellungsgespräch liefern.

Inwiefern kann Wissen über Computerspiele in Vorstellungsgesprächen die Personalauswahl verbessern?

Personaler sollten verstärkt nach der Freizeit fragen. Wenn jemand zum Beispiel in einem Fußballteam war, sagt das eine ganze Menge über seine Fähigkeiten. So ist das auch mit Computerspielen, denn sie nehmen heute bei vielen Menschen einen großen Teil  des Lebens ein und fordern den Spieler. Herauszufinden, welche Rolle jemand in diesen Spielen übernimmt, enthält deshalb einen großen Informationswert.

Nehmen Sie World of Warcraft. Das ist immer noch das erfolgreichste Multiplayer-Game weltweit und auf gewisse Art und Weise eine Wirtschaftssimulation, wenn auch eine sehr eingeschränkte. Ich handle mit Währungen und ich habe einen ökonomischen Hintergrund hinter meinem Handeln. Das lässt sich übersetzen in Tätigkeiten, die ich in einem Job zu erfüllen habe und die Fähigkeiten, die ich dafür brauche. Aufschlussreich ist dabei auch, ob jemand in solchen Spielen ein Team aufgebaut und ob er darin eine Führungsrolle übernommen hat oder eher andere Aufgaben erfüllt.

Haben Sie selbst schon Mitarbeiter eingestellt, die bestimmte Spiele besonders gut spielen konnten?

Ja, ich habe zwei Mitarbeiter eingestellt, die bei EVE Online besonders erfolgreich waren. Sie sind mit die besten Projektleiter, die ich bisher in meinem Unternehmen hatte. In dem Spiel EVE Online befindet sich der Spieler in einem Universum, das an Star Wars erinnert. Der Spieler hat das Ziel, möglichst große Raumschiffe zu fliegen und möglichst viele Einschüsse zu erzielen. Dieses Spiel setzt neben toller Grafik und großen Raumschlachten auf eine unfassbar detaillierte Wirtschaftssimulation. Wer dort ökonomisch handeln will, muss eine ganze Menge Faktoren berücksichtigen. Es kann dabei eigentlich gar niemand allein zum Erfolg kommen. Deshalb muss man Allianzen beitreten und bestimmte Positionen ausfüllen. Auch Politik spielt in diesem Spiel eine große Rolle.

Welche verschiedenen Spielertypen gibt es?

Im Prinzip gibt es unendlich viele Spielertypen, so wie es unglaublich viele verschiedene Spiele gibt. Zum einen ist das wie bei anderen Konsumgütern, zum Beispiel beim Fernsehen: Es gibt Leute, die spielen sehr viel, und welche, die das nicht so oft bis gar nicht tun. Auch die Interessenslagen bezüglich der Spieltypen sind ganz unterschiedlich und reichen von Aufbauspielen über Actionspiele bis hin zu Strategiespielen.

Mittlerweile sind Computerspiele in allen gesellschaftlichen Schichten und in jedem Alter wiederzufinden. Die Silvergamer sind noch nicht ganz so intensiv mit Computerspielen in Berührung gekommen – da besteht das größte Wachstumspotenzial. Aber ansonsten durchzieht die Begeisterung für Computerspiele die gesamte Gesellschaft.

Präferenzen bei Computerspielen hängen zudem in einem bestimmten Maß vom kulturellen Hintergrund ab. In Asien beobachten wir einen Hang zu Rollenspielen und Strategiespielen, während in Nordamerika eine Tendenz zu Actionspielen vorherrscht. In Europa hält sich das die Waage. Diese Beobachtung bezieht sich aber vor allem auf die männliche Zielgruppe der Spieler, für die weibliche ist es schwieriger einzuschätzen. Frauen konzentrieren sich im Spiel stärker auf die Kommunikation mit anderen Mitspielern, während der männliche Gegenpart sich mehr auf seine Mission fokussiert.

Inwiefern ändern sich Computerspiele dadurch, dass sie heute auf Smartphone und Tablet quasi überall gespielt werden können?

Jedes neue Medium bringt auch eine neue Art von Spielen mit sich. Die häufigste Anwendungssituation bestimmt, welche Spiele sich auf bestimmten Geräten entwickeln.
Der typische PC-Spieler setzt sich ganz bewusst zuhause zum Spielen hin – meistens mit einem recht großen Zeitkontingent. Wer ein Spiel auf dem Smartphone spielt, wird mit größter Wahrscheinlichkeit ein kurzweiligeres Spiel wählen, das weniger Zeit in Anspruch nimmt. Das Tablet ist inzwischen das interessanteste Gerät. Mehr als 80 Prozent der Zeit, die jemand damit verbringt, ist er auf dem Sofa – also in einer absolut relaxten Situation. Da spielt man dann zum Beispiel Geschicklichkeitsspiele, knifflige Spiele oder Aufbauspiele und seltener Actionspiele.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was wird sich aus Ihrer Sich in den nächsten Jahren in der Computerspiele-Landschaft tun?

Computerspiele sind die letzte Station vor der wirklich virtuellen Welt. Das ist technologisch gemeint. Computerspiele erzeugen eine sehr attraktive, unterhaltsame, aufregende Welt, in der sich Menschen meistens gern befinden. Der nächste technologische Schritt werden die sogenannten AR glasses sein. Das ist eine Art BriIle, die eine virtuelle, erweiterte Realität, Augmented Reality eben, erzeugen kann.

Wie funktionieren AR glasses?

Augmented Reality ist im Grunde die Überlagerung der echten Welt mit Informationen aus dem Computer. Im Moment haben wir Computerspiele auf dem Smartphone zwar schon immer einsatzbereit, allerdings müssen wir das Gerät erst aus der Tasche holen, um zu spielen oder um Informationen aus einem sozialen Netzwerk abzurufen. Die AR glasses, die gerade von Google maßgeblich weiterentwickelt werden, heben wahrscheinlich diese letzte Barriere auf. Sie haben dann das Internet immer sofort vor sich.

Wenn ich zum Beispiel AR glasses aufhätte, die wirklich aussehen wie eine Art Brille, und in die U-Bahn gehe, sehe ich sofort eine Zeit vor meinen Augen, die mir angibt, wann der Zug fährt. Dann steht da noch, wenn ich links abbiege, komme ich zur U6, die fährt Richtung Berlin Mitte, und wenn ich rechts abbiege, komme ich zur U1, die in 3 Minuten nach Pankow fährt. Diese Informationen oder diesen Kontext liefert mir die Brille. Ich sehe möglicherweise auch in meinem Blickfeld, welcher meiner Kontakte auf Facebook oder einer anderen Plattform gerade in der Nähe ist.

Und warum sind Computerspiele sozusagen die technologische Vorhut dafür?

Computerspiele sind der Technologietreiber, weil die Menschen mit der Brille ihren Genuss beim Spielen erhöhen können, wenn sie quasi in virtuelle Realitäten eintauchen.

Welche Auswirkungen wird das auf die Arbeitswelt haben?

Anwendungsformen für Unternehmen sind bislang kaum greifbar, weil das so immens in seiner Auswirkung ist. Es ist gefährlich, zum Beispiel für die Gesundheit der Mitarbeiter, weil vermutlich der Anreiz, sich selbst aktiv zu bewegen, weiter abnehmen wird. Aber auch was die Chancen angeht, sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt – auch für Betriebe. Deshalb lohnt es sich für Unternehmer und Personalmanager, sich mit der Entwicklung von Computerspielen intensiv zu beschäftigen.

Interview: Stefanie Hornung