Problempunkt

man sitting beside white wooden table
Foto von Austin Distel

Der Kläger war, neben seiner Anstellung in einem Privatunternehmen, freiwilliger Feuerwehrmann in Nivelles, Belgien. Anlässlich seiner Tätigkeit als freiwilliger Feuerwehrmann nahm er zum einen an Einsätzen der Feuerwehr teil, zum anderen nahm er Wach- und Bereitschaftsdienste wahr. Im Rahmen dieser Dienste war er verpflichtet, sich zu bestimmten Zeitplänen, die zu Jahresbeginn festgelegt wurden, für Einsätze bereitzuhalten und dem Ruf seines Arbeitgebers zum Einsatzort innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten. Aus diesem Grund mussten die Feuerwehrmänner in der Nähe der Feuerwehrwache wohnen und sich jedenfalls während der Wach- und Bereitschaftsdienste in der Nähe der Feuerwehrwache aufhalten. In diesen Zeiten, in denen er „nur“ auf den Ruf seines Arbeitgebers hin bereitstand, wurde der Kläger nicht bezahlt. Daher klagte er gegen die Stadt Nivelles, u.a. um eine Entschädigung für seine zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste zu erhalten. Diese waren nach Ansicht des Klägers als Arbeitszeit einzuordnen. Das zuständige Arbeitsgericht gab der Klage überwiegend statt. Der anschließend mit der Sache befasste Arbeitsgerichtshof Brüssel, Belgien, rief den EuGH an, damit dieser klärt, ob die zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste unter die Definition der Arbeitszeit i. S. d. RL 2003/88/EG fallen.

 

Entscheidung

Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht gestatte, eine andere Definition für den Begriff „Arbeitszeit“ einzuführen, als den in der Richtlinie bestimmten. Denn die Richtlinie soll gerade sicherstellen, dass die in ihr enthaltenen Definitionen nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht unterschiedlich ausgelegt werden. Den Mitgliedstaaten steht es aber frei, in ihrem nationalen Recht Regelungen zu treffen, die günstigere Arbeits- und Ruhezeiten für Arbeitnehmer vorsehen.

Die Luxemburger Richter stellten klar, dass die Bereitschaftszeit dann als „Arbeitszeit“ anzusehen ist, wenn Arbeitnehmer diese Zeit zu Hause verbringen müssen und darüber hinaus verpflichtet sind, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatzinnerhalb von acht Minuten zu folgen. Begründet wurde dies damit, dass die Möglichkeiten des Arbeitnehmers, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen, in diesem Fall erheblich eingeschränkt werden. Daran ändert sich nach Ansicht des EuGH auch nichts dadurch, dass der Kläger seinen Bereitschaftsdienst von seinem Wohnsitz aus und nicht von seinem Arbeitsplatz aus ableistete. Denn der Kläger war im vorliegenden Fall verpflichtet, persönlich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, damit er innerhalb von acht Minuten erscheinen konnte.

Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von der Rufbereitschaft. Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst kann der Arbeitnehmer während seiner Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort frei wählen, muss aber für seinen Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein. Daher ist es dem Arbeitnehmer in dieser Situation auch möglich – obwohl er für den Arbeitgeber erreichbar sein muss – seinen persönlichen und sozialen Interessen nachzugehen. Unter Würdigung dieser Umstände ist im Rahmen der Rufbereitschaft, im Gegensatz zum oben gelagerten Bereitschaftsdienst nur die Zeit, die für die tatsächliche Erbringung von Leistungen aufgewandt wird, als „Arbeitszeit“ i.S.d. RL 2003/88/EG anzusehen. Der EuGH macht in seinem Urteil deutlich, dass die Frage des Arbeitsentgelts nicht in der Zuständigkeit der Union liegt. Die Mitgliedstaaten können in ihrem nationalen Recht festlegen, dass das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers für Vollarbeitszeit von dem für Bereitschaftszeit abweicht.

 

Konsequenzen

Die vorliegende Entscheidung ist nicht überraschend und trägt zur Rechtssicherheit für die Arbeitsvertragsparteien bei. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der EuGH mit der Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zur Arbeitszeit weiter fortsetzt, zum anderen, dass das Urteil im Einklang mit bereits ergangenen Entscheidungen der deutschen Gerichte, insbesondere des BAG, steht. Die deutschen Gerichte haben bereits seit längerer Zeit zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterschieden. So entschied bspw. das BAG mit Urteil vom 31.1.2002 (6 AZR 214/00), dass sich die Rufbereitschaft vom Bereitschaftsdienst dadurch unterscheidet, dass sich der Mitarbeiter in der Zeit, für die sie angeordnet ist, nicht in der Einrichtung aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort selbst bestimmen kann.

Da der Bereitschaftsdienst im Gegensatz zur Rufbereitschaft volle Arbeitszeit ist, muss diese Zeit dem Arbeitnehmer auch vergütet werden. Da der Bereitschaftsdienst aber grundsätzlich mit einer weniger anstrengenden Belastung verbunden ist, muss diese nicht im gleichen Umfang wie die restliche Arbeitszeit vergütet werden. Arbeitgebern ist es daher erlaubt, in Arbeits- und Tarifverträgen einen geringeren Stundenlohn für die Zeit im Bereitschaftsdienst festzulegen. Die Einhaltung des Mindestlohns muss dabei aber beachtet werden. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Bereitschaftsdient, da er als Arbeitszeit gilt, für die Anrechnung der Arbeitszeithöchstgrenzen im Sinne des ArbZG zu beachten ist. Dies gilt bei der Rufbereitschaft nicht, da diese nicht als Arbeitszeit eingestuft wird.

 

Praxistipp

Arbeitgeber (und Arbeitnehmer) sollten explizit differenzieren, ob es sich bei der jeweiligen Tätigkeit um eine Rufbereitschaft oder um einen zur Arbeitszeit zählenden Bereitschaftsdienst handelt. Durch eine konkrete Ausgestaltung der der Tätigkeit innewohnenden Verpflichtungen für den Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber hierauf Einfluss nehmen. Sollte es sich um einen zur Arbeitszeit zählenden Bereitschaftsdienst handeln, ist dieser grundsätzlich wie normale Arbeitszeit zu vergüten. Mit einer entsprechenden Regelung im Arbeitsvertrag oder in Betriebsvereinbarungen kann hierfür aber auch ein geringerer Stundensatz angewandt werden.

 

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA 10/18, S. 612.