Katrina Collier hat es sich zur Aufgabe gemacht, Recruiting und Candidate Journey zu verbessern. Sie ist Autorin des Buches „The Robot-Proof Recruiter”, in dem sie beschreibt, warum sich die Talentakquise stärker auf den Menschen konzentrieren sollte. Wie Unternehmen den Einstellungsprozess optimieren können, ist das Thema ihrer Keynote auf dem TALENTpro Expofestival in München (siehe Veranstaltungstipp). Im Interview gibt sie schon vorab einige praktische Tipps.

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Frau Collier, wie sind Sie zum Recruiting gekommen?

Wie nahezu alle Recruiterinnen und Recruiter, bis auf zwei, die ich in den vergangenen 20 Jahren kennengelernt habe, bin ich in diese Profession hineingestolpert. Die meisten tun das, was traurig ist, denn es ist ein wichtiger Job und wir verändern das Leben von Menschen. Als ich 2003 nach London zog, sah ich ein Job-Inserat für eine Stelle als Trainee im Recruiting und ich dachte mir, „Das könnte ich machen“. Ich bekam den Job, merkte aber schnell, dass es kein professionelles Unternehmen war. Also verließ ich es und landete schließlich bei einer Agentur, wo ich fünf Jahre blieb.

Dann kam der große Crash 2008/2009 – und ich sah meine Chance, auszusteigen. Ich wollte Unternehmen Weiterbildung für Social Media Recruiting anbieten. Können Sie sich vorstellen, dass jemand 2009 an so etwas gedacht hat? Einige Unternehmen machen das heute noch nicht! Ich war etwas früh dran, also habe ich zunächst inhouse für Unternehmen gearbeitet und dann begonnen, mein Vorhaben umzusetzen. 

Katrina Collier

Sie haben außerdem ein Buch geschrieben. 

Ja, damals, im Jahr 2019, sagten viele Leute, dass Technologien Recruiting überflüssig machen würden, was meiner Meinung nach nicht passieren wird. Deshalb habe ich den Robot-Proof Recruiter geschrieben, um zu zeigen, dass Technik Recruiterinnen und Recruiter nicht ersetzt. Wir können sie nutzen, um den Prozess zu verbessern, aber wir sollten den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sehr oft schafft Technologie Hindernisse, wo keine sein sollten.

Welche Art von Hindernissen?

Wenn man sich um einen Job bewirbt, möchte man einfach nur seinen Lebenslauf an die Person schicken, die den Job hat. Aber genau hier bauen viele Unternehmen Hindernisse auf. Sie müssen sich in das Bewerbermanagementsystem einloggen und ein Konto einrichten, ob Sie wollen oder nicht. Manchmal müssen Sie sogar Ihren Lebenslauf kopieren und Zeile für Zeile in das System einfügen. Manche Unternehmen verlangen von den Bewerbenden, dass sie ein Video produzieren und darin Fragen zum Job beantworten. Die Videos werden dann später mit künstlicher Intelligenz analysiert. Es gibt Websites, die einem bei solchen Videointerviews helfen. Das ist doch lächerlich!

Wie sollte der Erstkontakt mit den Bewerberinnen und Bewerbern stattdessen aussehen?

Sprechen Sie mit den Leuten! Anstatt sie Zeit dabei verschwenden zu lassen, Accounts zu erstellen oder das perfekte Video zu produzieren, könnten Recruitingverantwortliche mit ihnen reden. In einem fünfminütigen Telefonat finden sie dann unter Umständen heraus, dass für diese Person Gehalt, Standort und Arbeitszeiten der Stelle nicht attraktiv sind. So ließe sich in kürzester Zeit prüfen, ob jemand geeignet, interessiert und passend ist.

Eine weitere Barriere sehe ich in der Art und Weise, wie Unternehmen Stellenanzeigen verfassen. Job-Inserate sehen oft gleich aus, weil sie alle mit denselben Tools geschrieben werden. Sie sind langweilig. Woher soll der Arbeitsuchende wissen, dass Ihre Stelle besser ist als die eines anderen Bewerbers?

Daher: Konzentrieren wir uns wieder auf den Menschen. Wir sind Menschen, die Menschen für andere Menschen einstellen. Technologie sollte uns dabei unterstützen – und uns nicht im Weg stehen.

Was brauchen Recruiterinnen und Recruiter, um das umsetzen zu können?

Ich biete Design-Thinking-Workshops zum Thema Recruiting an. Das Hauptproblem, das darin zur Sprache kommt, ist das Briefinggespräch. Die Managerinnen und Manager, die Personal suchen, nehmen sich nicht genügend Zeit, mit dem Recruiting die Anforderungen für die Stelle zu klären. Stattdessen verweisen sie auf die Stellenbeschreibung. Ohne Briefing wird aber der Einstellungsprozess nicht erfolgreich sein. Das ist ein menschliches Problem. Keine Technologie wird das lösen.

Was ist falsch daran, sich an der Stellenbeschreibung zu orientieren?

Stellenbeschreibungen stimmen selten mit den Anforderungen überein. Sie sind meistens veraltet und unvollständig. Die wichtigen Details erfahren Sie meist im Briefinggespräch. Nehmen wir an, Sie haben die Gelegenheit, mit der zuständigen Führungskraft zu sprechen, und fragen sie: „Woher wissen Sie, dass Sie nach 12 Monaten die richtige Person eingestellt haben?“. Dann kommt möglicherweise die Antwort: „Nun, die letzte Person konnte nicht mit dem Kunden umgehen und der mochte sie auch nicht. Wir hätten das Projekt fast verloren – und es ging um mehrere Millionen von Euro“. Sie erwidern: „Oh, interessant, also sollte die Person gut mit Kunden umgehen können, richtig? Aber das steht nicht in der Stellenbeschreibung. Außerdem sind Fähigkeiten im Projektmanagement erforderlich, aber das steht auch nicht in der Stellenbeschreibung“.

Das heißt, es ist zentral, die aktuellen Anforderungen zu klären.

Es ist vor allem wichtig herauszufinden, was der Personalverantwortliche braucht, nicht was er will. Oft schreiben Führungskräfte für das Recruiting lange Listen mit „Must-haves“. Sie brauchen alle diese Fähigkeiten nicht, aber sie denken, wenn der Recruiter jemanden mit diesen Skills findet, löst das alle Probleme. Aber selbst wenn diese Person gefunden würde, hätte sie womöglich eine toxische Persönlichkeit oder passt einfach nicht ins Team. Daher ist es oft hilfreicher, jemanden zu finden, der über 70 Prozent der gewünschten Fähigkeiten verfügt. Also: Reduzieren Sie die Anforderungen. Zeigen Sie, wie wenige Personen auf dem Markt alle Fähigkeiten haben, die auf der Must-have-Liste stehen, und klären Sie, was wirklich gebraucht wird. 

Wie sollte die Aufgabenverteilung zwischen Recruiting und Fachabteilung während des Suchprozesses aussehen?

Einigen Sie sich auf eine Vorgehensweise. Wie sieht der Zeitplan aus? Wann führen wir die Bewerbungsgespräche? Wie kommunizieren wir? Das ist sehr wichtig. Sie brauchen ein Service-Level-Agreement. Denn es gibt immer wieder Führungskräfte, die E-Mails nicht beantworten, Vorstellungsgespräche in letzter Minute absagen und den gesamten Prozess behindern. Ich kenne Recruiter, die das Stellengesuch im System schließen, wenn der Manager nicht antwortet. Das ist auch gut so, denn schließlich geht es um eine Partnerschaft. Recruiter sind nicht einfach Verwalter, die dem Management zu Diensten sind.

Und wie bringt das Recruiting gestresste Manager dazu, sich stärker in der Personalsuche zu engagieren?

Fragen Sie nach den Kosten! Wie hoch sind die Kosten für das Endergebnis, solange die Stelle unbesetzt ist? Wie groß ist der Druck auf das Team? Steht ein Kundenprojekt auf dem Spiel? Wenn Sie diese Kosten kennen, können Sie diese Informationen nutzen: „Wir hatten vereinbart, dass Sie mir am Montag antworten, jetzt ist Mittwoch. Unter dem Strich sind das 10.000 Euro. Wann melden Sie sich wieder?“ Oder: „Wenn wir die Kandidatinnen und Kandidaten warten lassen, springen sie ab. Dann müssen wir wieder von vorne anfangen – und das dauert erneut drei Wochen.“ Die Aufgabe des Recruitings ist es, die Führungskraft durch den Prozess zu führen. Wenn man die Kosten kennt, fällt das leichter.

Recruiterinnen und Recruiter müssen nicht nur ihre internen Kunden zufriedenstellen, sondern vor allem externe Talente überzeugen. Wie gelingt das am besten?

Indem sie bekannt, beliebt und vertrauenswürdig sind. Auch dabei kann ihnen eine gute Beziehung zu den Führungskräften aus den Fachabteilungen helfen. Denn wenn Sie als Recruiterin die richtigen Informationen bekommen, können Sie diese in der Kommunikation nutzen. Sie haben dann ein tieferes Verständnis der Anforderungen und können so die richtigen Personen ansprechen.

Wenn Sie zudem überwiegend im selben Segment rekrutieren und mit der Zeit Fachwissen aufbauen, können Sie dieses ebenfalls verwenden. Sie können beispielsweise auf Social Media über Fachthemen schreiben und Artikel teilen. Damit zeigen sie, dass sie neugierig sind, recherchiert haben und sich auskennen. Ich würde allerdings nicht empfehlen, künstliche Intelligenz zu nutzen, um dieselben langweiligen Inhalte zu produzieren wie alle anderen. Stattdessen würde ich eigenen Inhalte veröffentlichen, die sich von anderen abheben.

Menschen zu rekrutieren, obwohl diese gar nicht auf Jobsuche sind, ist ziemlich herausfordernd. Was empfehlen Sie für die Erstansprache?

Personalisieren Sie Ihre Nachricht und nutzen Sie alle Informationen, die Sie haben. Beginnen Sie mit dem Projekt, für das Sie suchen, erzählen Sie etwas Interessantes darüber und fassen Sie sich kurz: „Hallo Katrina, möchtest du uns helfen, dieses Problem zu lösen? Dein Werdegang sieht interessant aus und du hast vielleicht genau die Fähigkeiten, die wir brauchen. Ich würde gerne wissen, welche Wünsche du bezogen auf deinen nächsten Job hast.“ Schreiben Sie den Namen der Person richtig. Seien Sie nicht kryptisch, sondern klar und respektieren Sie die Zeit des Empfängers.

Viele Unternehmen klagen über den Fachkräftemangel. Sie sagen, dass einige ihren Talentpool selbst begrenzen. Wie kommt es dazu und was können Arbeitgeber dagegen tun?

Ein Aspekt ist der Ruf des Unternehmens. Vor ein paar Wochen hat eine Frau aufgezeichnet, wie sie von ihrem Unternehmen entlassen wurde. Sie wusste, dass der Anruf kommen würde, weil viele ihrer Kolleginnen und Kollegen diese 15-minütigen Gespräche bereits geführt hatten. Sie nahm ihres auf und stellte das Video auf TikTok. Es ging viral, weil das Unternehmen sie so schlecht und grundlos entlassen hatte. Dieser Arbeitgeber wird es schwer haben, Kundenbetreuer zu rekrutieren, da dieses Video noch jahrelang im Internet zu sehen sein wird. Auch die Reaktion des CEO hätte besser sein können. Wenn man Menschen schlecht behandelt, kann man seine Rekrutierungsmöglichkeiten erheblich einschränken.

Eine weitere Möglichkeit, den Talentpool zu minimieren, besteht darin, Menschen mit Behinderungen, Menschen in einem bestimmten Alter, Geflüchtete und andere Gruppen nicht zu berücksichtigen. Wenn Sie weiterhin nur weiße Männer mittleren Alters einstellen, schränken Sie Ihren Pool ein. Dasselbe gilt, wenn Sie darauf bestehen, dass alle Beschäftigten fünf Tage pro Woche ins Büro kommen müssen. Unternehmen, die das tun, werden feststellen, dass die Leute sich lieber einen neuen Job suchen. Denn Umfragen zeigen, dass nur sehr wenige Wissensarbeiter bereit sind, auf Homeoffice zu verzichten.

Wie wird sich das Recruiting in Zukunft verändern?

Es wird immer schwieriger werden, die Aufmerksamkeit der Bewerberinnen und Bewerber zu gewinnen und zu halten, da immer mehr Menschen online gehen und Inhalte verbreiten. Das macht es schwieriger, Kandidatinnen und Kandidaten zu erreichen. Umso wichtiger ist es, genau zu wissen, wen man einstellen will, um durch den digitalen Lärm zu dringen und die Aufmerksamkeit der passenden Leute zu gewinnen.

Um ihren Job zukunftssicher zu machen, sollten Recruitingverantwortliche intern erklären, was Talentakquise ist, was sie jeden Tag tun und welche Fähigkeiten sie haben. Recruiting Skills können übrigens auch in anderen Bereichen nützlich sind, beispielsweise in Sales oder im Marketing, wenn es darum geht, Kontakte zu knüpfen und Menschen zu erreichen. Wenn wir jedoch nur als Verwalter wahrgenommen werden, kommt das Management schnell auf die Idee, dass wir durch Technologie ersetzbar sind.

(Dieses Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Veranstaltungstipp

Katrina Collier hält eine Keynote auf dem TALENTpro Expofestival, das am 11. und 12. Juni 2024 in München stattfindet. https://talentpro.de/

Literaturtipp

The Robot-Proof Recruiter: A Survival Guide for Recruitment and Sourcing Professionals. Von Katrina Collier, 2. Aufl. Kogan Page 2022.

Quelle

Dieses Interview erschien zuerst in der Fachzeitschrift personal manager, Ausgabe 2/2024.