Herr Schmitz, was verlieren wir Menschen eigentlich, wenn wir unseren Körperbezug im Business vernachlässigen? 

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Foto von Dane Deaner

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ohne Berührungen sind wir schlichtweg nicht existenzfähig. Machen wir uns bewusst: Es gibt blinde Menschen, es gibt taube Menschen, es gibt Menschen, die verlieren ihren Geruchs- oder Geschmackssinn, aber es existiert kein Lebewesen ohne jeglichen Tastsinn. Sogar querschnittsgelähmte Menschen können an den nicht  betroffene Körperzonen immer noch fühlen. Das zeigt uns, dass der Tastsinn nicht so einfach ersetzbar ist. Er ist die Basis des Lebens – ohne Tastsinn kein Leben. 

Berührung ist also lebenswichtig. 

Absolut, und zwar vom ersten Moment unseres Lebens an. Körperliche Nähe hat für unsere gesamte Entwicklung eine entscheidende Bedeutung. Unsere Sprache weist uns schon darauf hin. So sagen wir „in Beziehung stehen“, „zusammenstehen“, „dieser Mensch ist mir nahe“ – diese Ausdrücke zeigen, wie wichtig uns räumliche Nähe ist. Oder denken wir an die Tests des Verhaltensforschers Harry Harlow mit Affenbabys oder an die Erkenntnisse, die Experten aus der Beobachtung von Kindern in Waisenhäusern gewannen. Diese bekamen zu wenig körperliche Nähe und wurden dadurch in ihrem späteren Leben sowohl bewegungsmäßig als auch sozial elementar beeinträchtigt. 

Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus für den modernen Büroalltag?

Wir wissen aus Studien sehr genau, dass Menschen, die in räumlicher Nähe miteinander arbeiten, hinsichtlich ihrer Ergebnisse wesentlich produktiver sind als jene, die über Videokonferenzen oder sonstige Medien miteinander kommunizieren. Die Gründe liegen auf der Hand: Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel miteinander essen und trinken, Kaffee kochen, auf Toilette gehen, zusammen im Unternehmen ankommen und zusammen das Haus wieder verlassen, sind verbindende Handlungen, welche wiederum die Produktivität positiv beeinflussen können. Bei Geschäftsessen und gemeinsamen Veranstaltungen, wie zum Beispiel in der Lounge beim Fußball oder Eishockey werden diese Effekte ja auch ganz gezielt genutzt. 

Eines der wichtigsten Prinzipien 
           in der Haptik ist, Menschen mitwirken 
    zu lassen, mitmachen zu lassen.

In der digitalen Welt wird offenbar das Gegenteil gepflegt.

Die Vereinsamung der Menschen nimmt leider sicherlich rasant zu, doch viele Leute erkennen mittlerweile, dass ein Freund bei Facebook nicht unbedingt derjenige ist, welcher ihnen tatsächlich in der Not zur Seite steht. Nur mit einem körperlich präsenten Mensch können wir echtes Mitgefühl intensiv erleben. Und übertragen auf den Berufsalltag bedeutet das: Wenn jemand in direkter persönlicher Nähe zu Schaden kommt, sind wir eher tief betroffen. Wir brauchen also die körperliche Nähe, um mitfühlen zu können, um einen Teamgeist zu erleben, der uns motiviert, über unsere eigenen Grenzen hinaus zu wachsen. 

Grenzen ist ein schönes Stichwort. Personaler müssen bei ihren Vorträgen und Präsentationen vor Partnern, Mitarbeitern oder dem Management mit ihren Botschaften auch Grenzen überwinden. Wie könnte ihnen dies unter Berücksichtigung haptischer Aspekte gelingen?

Eines der wichtigsten Prinzipien in der Haptik ist, Menschen mitwirken zu lassen, mitmachen zu lassen. Sehr viele Menschen sind heutzutage in den Betrieben gefrustet, weil sie den Eindruck haben, dass sie selbst keinen oder nicht genügend Einfluss nehmen können, nichts bewirken können und keinen Eindruck hinterlassen werden. Also ganz gleich, ob Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsleitung oder einfach nur der Vorgesetzte – es ist wichtig, die Menschen soweit wie es irgendwie geht  einzubeziehen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie selbst an den Prozessen beteiligt sind und Einfluss nehmen können. 

Es sollten eben nicht nur die 
            Augen und Ohren der Zuschauer in 
     Präsentationen informiert werden …


Wie könnte dies konkret aussehen?

Wann immer es irgendwie geht, sollten eben nicht nur die Augen und Ohren der Zuschauer in Präsentationen informiert werden, sondern auch der Körper. Je mehr Sinne beteiligt sind, desto besser für den gesamten Informationsprozess. Die Gestaltung von Sitzanordnungen sollte uns zum Beispiel zur Aktion anregen; vielleicht wird sogar im Stehen oder Gehen gearbeitet. Vielleicht gibt es anstatt standfester Stühle Sitzkissen und Sitzbälle – je nach Firmenkultur. Man könnte in Gruppen öfter mal Plätze tauschen, um eben mehr Bewegung zu erzeugen, weil Bewegungsprozesse immer auch Denkprozesse anregen. Außerdem empfehle ich, entweder alle Zuhörer, in jedem Fall aber zumindest Teilnehmer teilweise mitmachen lassen, um eine stärkere Identifikation mit dem Publikum zu erreichen.

Diese Identifikation würde dann die Botschaft des Präsentierten unterstreichen.  

Gemeinsames Handeln verbindet immer Menschen und Ideen miteinander. Besonders hilfreich ist natürlich der Respekt, die Wahrnehmung des jeweiligen Mitmenschen, um auch aufeinander eingehen zu können. Haptik zu berücksichtigen bedeutet aber auch: Weniger reden, weniger sehen, mehr handeln – das ist das einfachste Prinzip, unter dem man hier praktische Tipps geben kann. Dabei dürfen Zuhörer übrigens auch berührt werden, wenn sich das ergeben könnte – mit dem nötigen Respekt natürlich. Eine Berührung erzeugt eine stärke Verbundenheit und steigert die Mitmachbereitschaft um 300 Prozent, wie Studien zeigen. Der stärkste Impuls geht jedoch von einem Objekt aus, das man gemeinsam als Denkmal erschafft. Das soll bedeuten, dass die Beteiligten ein Objekt mit eigenen Händen erschaffen, was dann als Erinnerungsstück, als Symbol, als Denkmal präsent bleibt. Man könnte hier auch von Talisman sprechen oder vom Glücksbringer. Ich rege an, spielerischer an Präsentationen heranzugehen und – wo passend – solche Szenarien zu wagen. Das dies natürlich keine Bilanzpressekonferenz sein kann, ist selbstredend.

Herr Schmitz, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.



Fotocredit: 
Portrait Schmitz: 
© Schmitz
Hände: © Andrea Damm / www.pixelio.de