Wie wichtig eine solide HR-Strategie ist, zeigt der Blick auf die Unternehmensbewertung. Finanz-Analysten nehmen heute auch die Personalsituation von Unternehmen unter die Lupe. Nachvollziehbare HR-Strategien werden so zu einem elementaren Vermögenswert. Dabei ist es unerheblich, ob die Differenzen zwischen Buchwert und Marktkapitalisierung nun „Wert der Marke“, „Intangible Assets“ oder „Human Capital“ heißt. Fest steht, dass die weicheren, schwerer messbaren Faktoren den Unternehmenserfolg zunehmend beeinflussen. Sie werden ähnlich bedeutsam wie die harten Faktoren. In unserer Informations- und Wissensgesellschaft wird dieser Trend weiter anhalten.

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Foto von Drew Beamer

Personalstrategien entwickeln

Wie sollte ein Unternehmen vorgehen, das eine Personalstrategie entwickeln möchte? Zunächst muss es eine möglichst realistische Ist-Situationsdarstellung aller HR-relevanten Themen ausarbeiten. Darüber hinaus benötigt das Unternehmen ein Konzept für die künftige Entwicklung. Im Zentrum stehen die Frage nach den Veränderungen des Marktes in den nächsten Jahren und die Frage nach den Fähigkeiten und Kernkompetenzen des Unternehmens.

Mit Hilfe von Umfeldanalysen wie SWOT oder PESTLIED lassen sich die Rahmenbedingungen der Entwicklung beschreiben. Die SWOT-Analyse (strengths, weaknesses, opportunities, threats) untersucht die Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Bedrohungen des Unternehmens. PESTLIED steht für political, economic, social, technological, legal, international, environmental and demographic changes.

Kunden- und Mitarbeiterbefragungen bieten wichtige Informationen über die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder. Mitbewerber-Analysen geben Aufschluss über die derzeitige Position im Markt.

Doch wie will sich das Unternehmen künftig am Markt positionieren? Hat es eine Vision, so wird es ihm leichter fallen, Ziele zu definieren. Andernfalls muss es sich aus dem bestehenden „Business as usual“ in die Zukunft vortasten – zum Beispiel, indem es eine Zukunftskonferenz mit der gesamten Belegschaft veranstaltet. So kann ein Unternehmen herausarbeiten, ob es künftig primär auf den Preis, die Innovationen oder die Kundenbeziehungen setzen will.

Viele Unternehmen möchten in allen Bereichen führend sein und lähmen sich damit selbst. Eine Firma benötigt einen Fokus und eine Vision. Auch im Sport unterliegt der Zehnkämpfer in einzelnen Disziplinen dem Spezialisten. Der Markt will wissen, wofür ein Unternehmen steht und vergleicht sein Angebot dann mit den eigenen Bedürfnissen. Gefragt sind Spezialisten, die auf die Bedürfnisstruktur der Kunden gezielt und ganzheitlich eingehen.

Hat das Unternehmen angesichts der künftigen Herausforderungen eigene Visionen und Ziele entwickelt, kann es überprüfen, welche Kompetenzen im eigenen Haus vorhanden sind. Diesen Ist-Zustand kann es anschließend mit den künftigen Anforderungen vergleichen, zum Beispiel mit Hilfe einer Qualifi kationsmatrix oder einer dynamischen Bildungsbedarfsanalyse. Häufig gestellte Grundsatzfragen zu diesem Zeitpunkt lauten: „Wie sollen unsere Mitarbeiter in Zukunft handeln?“ und „Warum handeln sie nicht jetzt schon so?“ Aber auch: „Was unterscheidet einen guten von einem schlechten Mitarbeiter in einer bestimmten Funktion?“

Möglicherweise stellt das Unternehmen auch fest, dass es bestimmte Zukunftsaufgaben mit den eigenen Mitarbeitern nicht wirtschaftlich sinnvoll erledigen kann. In diesem Fall muss es Leistungen zukaufen.

Eine Erfolgs- beziehungsweise Zufriedenheitsbefragung unter den Kunden bringt zusätzliche Perspektiven. Ein einfaches Instrument wie der typischerweise in Hotels ausliegende Fragebogen kann – umgearbeitet auf die konkrete Firmensituation – sehr schnell und klar die wesentlichen Schlüsselfaktoren auf den Punkt bringen. Der Fragebogen sollte den Ist-Zustand ebenso abfragen wie den Soll-Zustand. So liefert er Hinweise darauf, wie das Unternehmen sein personalpolitisches Instrumentarium effizienter gestalten und Fortschritte messen kann. Mögliche Fragen sind zum Beispiel: „Warum kauft der Kunde gerade bei uns?“ Oder: „Was sind die drei wichtigsten Punkte, die uns positiv von der Konkurrenz abheben?“

HR-Manager sollten ruhig selbstbewusst und offensiv an die Hypothesenbildung herangehen und verschiedene Perspektiven berücksichtigen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen.

Steht das Fundament, so kann der Betrieb kritische Erfolgsfaktoren für die eigene Personalarbeit definieren und eine Balanced Scorecard entwickeln, welche wichtige Kausalzusammenhänge zwischen den erfolgsrelevanten Parametern aufzeigt. Dies könnte zum Beispiel der Zusammenhang zwischen dem Ausbildungsstand der Belegschaft und der Kreativität in der Problemlösungsfindung sein, welche letztendlich zu mehr Aufträgen führt.

Das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in einer dynamisch-schnelllebigen, vernetzten und daher immer auch instabileren Umwelt ein trivial maschinenartiger Ansatz nur begrenzt aussagefähig ist. Nichtsdestoweniger ist es besser, einen simplifizierten Ansatz zu haben als überhaupt keine gemeinsame Verständigungsbasis.

In der nächsten Arbeitsstufe bringt das Unternehmen alle HR-Aktivitäten in eine Projekthierarchie. Es räumt zunächst mit bekannten und drängenden Engpässen und Missständen aus. Dies wird als Debugging bezeichnet und soll dazu dienen, verlegte (Energie-)Kanäle wieder freizulegen. So können schlecht koordinierte Arbeitsabläufe, eine unpassende Struktur oder  eine destruktive Unternehmenskultur die Arbeit der Mitarbeiter behindern. Nach dem Bearbeiten dieser Altlasten geht es darum, die zukünftigen Anforderungen in eine Rangordnung zu bringen. Das Unternehmen muss klären, welche Unterstützung es benötigt, um seine Ziele zu erreichen. Fortschrittliche Unternehmen beziehen auch Notfälle und Unfälle (emergency preparedness) in ihre Personalplanung mit ein. Spinnendiagramme mit den wesentlichen Parametern sind hier häufig hilfreich, denn sie führen allen Beteiligten den Ist- und den Soll-Zustand des Personalmanagements vor Augen (siehe Grafik).

Dank dieser strategischen Vorgehensweise gewinnt die Organisation einen Überblick über ihre künftigen HR-Aktivitäten und kann sie aus der Helikopterperspektive betrachten (im Maßstab 1:250 statt des üblichen 1:10). Aus dieser Perspektive ist es leichter, die Ressourcen – also Zeit, Geld und Energie – im Vorfeld optimal einzuteilen. Wirkungs- und Wertschöpfungsketten lassen sich besser nachvollziehen. Interventionen können bewusst an den Beginn eines Prozesses gestellt werden, so dass sich deren Wirkung vervielfacht.

Derartig strukturiert kann die Organisation alle personalrelevanten Felder im Einzelnen abarbeiten. Als Gliederungshilfe dient die Abbildung „Integriertes Personalmanagement-System“.

Sie zeigt ein praxiserprobtes Grundschema, das Unternehmen individuell anpassen können. Zum besseren Verständnis können sie die einzelnen Felder noch etwas ausformulieren oder genauer definieren.

Alternativ eignet sich jede Struktur, die alle wesentlichen Gestaltungselemente für ein Performance Management aufweist. Einige Organisationen bevorzugen einen prozessorientierteren Ansatz, der zum Beispiel zwischen Mitarbeitergewinnung, -bindung, -entwicklung und -abbau unterscheidet. Auch Themen wie Corporate Social Responsibility (CSR) oder Corporate Governance können integriert werden. Wie detailliert das System ausfällt, hängt von den kulturellen Gepflogenheiten der Organisationen ab.

Die Grafik zeigt die wichtigsten Faktoren für die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Nicht immer kann das HR-Management diese Faktoren beeinflussen, denn die Verantwortlichkeiten sind von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich geregelt. Dennoch ist es sinnvoll, eine gemeinsame Personal-Strategie zu erstellen, die alle Faktoren abdeckt.

Das Unternehmen sollte – bezogen auf jedes Thema – den Ist- und Soll-Zustand definieren sowie beide Zustände gegenüberstellen. Daraus ergeben sich Aktionspläne und Ziele. Letztere sollten spezifisch, mess- und erreichbar, ergebnisorientiert und für einen definierten Zeitraum gesetzt sein. Das Unternehmen muss Indikatoren definieren, anhand derer es messen kann, ob es seine Ziele erreicht hat oder nicht. Mögliche Indikatoren sind zum Beispiel Weiterbildungskosten oder Ausbildungsstandards.

Ganz wichtig ist es, die geplanten Aktivitäten in ein HR-Controlling oder Human Capital Management einzubetten. Die laufende quantitative Betrachtung professionalisiert den Umgang mit den weichen Faktoren. Aus diesen und vielen anderen Gründen verdient das HR-Controlling im Rahmen der Personalstrategie einen besonderen Stellenwert. Es nimmt eine Metaposition zum HR-Geschehen ein, in dem es Ressourcenströme optimiert und transparent macht.

Um die eigene Personalarbeit messbar zu machen, sollte das Unternehmen eine Zielpyramide entwickeln, die übergeordnete und nachrangige Ziele darstellt. Sie kann zum Beispiel aus fünf bis zehn Leistungsindikatoren bestehen, die durch bis zu 25 weitere Kenngrößen (Ratios) ergänzt werden, welche zur Strategie in Relation gesetzt sind.

Es gilt dabei, das unternehmensspezifisch richtige Maß zu finden zwischen einem Minimum von etwa fünf und einem Maximum von circa 35 Personalkennziffern, die das gesamte wirtschaftlich relevante Geschehen wie im Cockpit eines Flugzeuges abbilden. Mögliche Kennziffern sind zum Beispiel die Wertschöpfung pro Mitarbeiter oder die Produktivität pro Mitarbeiter. Die Kunst besteht darin, dieses Cockpit strategierelevant zu halten und von Zahlenfriedhöfen zu befreien. Denn wenn etwas gemessen wird, erhält es Aufmerksamkeit. Auch hier ist Kreativität und Einfühlungsvermögen gefordert – ebenso, wie bei der Entwicklung einer Marketingstrategie. Die so entstandene HR-Strategie inklusive Monitoring gleicht einem kybernetischen System, das in der Lage ist, mit der wellenförmigen, manchmal auch abrupten und instabilen Entwicklung des Umfeldes Schritt zu halten, Chancen zu antizipieren und proaktiv zu handeln. Damit sichert es die Zukunft des Unternehmens. Zugleich zeigt es deutlich, welchen Beitrag die HR-Funktion für den Unternehmenserfolg leistet.

Literaturtipps

Strategy Synthesis

Von Bob de Wit. Thomson Learning 2005.

Human Power & Strategic Performance

Von Eduard Hauser. Gellius Academy 2004.

Personalstrategie. Personalmanagement als Business Partner.

Von Heinz Klinkhammer.

Hermann Luchterhand Verlag 2002.

Quelle: personal manager 3/2005