BAG, Urteil vom 22. Juli 2010, 8 AZR 144/09

sittin people beside table inside room
Foto von Annie Spratt

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Unternehmen ursprünglich zum Einzelhandelskaufmann ausgebildet worden und wurde danach über mehrere Jahre als Verkäufer im Getränkemarkt beschäftigt. Als dort durch Inventuren erhebliche Fehlbestände an Leergut aufgefallen waren, nahm der Arbeitgeber zunächst Langzeitauswertungen vor und installierte dann Ende Juni 2006 eine für den Arbeitnehmer nicht erkennbare Videokamera über seinem Arbeitsplatz an der Getränkemarkt-Kasse. Nach Darstellung des Arbeitgebers ergab die Videoauswertung, dass der Arbeitnehmer binnen dreier Arbeitstage Leergut im Wert von 1.120,00 Euro unterschlagen hatte. Die Kassenauswertung für zwei Monate ergab sogar einen Schaden von mehr als 10.000,00 Euro.

Hiermit wurde der Arbeitnehmer Ende Juli 2006 im Beisein der Betriebsratsvorsitzenden konfrontiert, worauf er einräumte, seit vier Jahren regelmäßig Geld genommen und dies mit fingierten Pfandbonzetteln verdeckt zu haben. Nach anfänglich kleinen täglichen Beträgen, die nicht weiter aufgefallen seien, habe er zeitweise zwischen 500,00 und 600,00 Euro täglich entnommen. Der Arbeitnehmer bestätigte handschriftlich, innerhalb von vier Jahren einen Gesamtschaden von wenigstens 110.000,00 Euro verursacht zu haben.

Daraufhin fuhren die Parteien zu einem Notar, bei dem der Arbeitnehmer dann ein vom Notar formuliertes Schuldanerkenntnis wegen von ihm begangener vorsätzlicher unerlaubter Handlungen in Höhe von 113.750,00 Euro zuzüglich Zinsen unterzeichnete. Zusätzlich unterwarf sich der Arbeitnehmer der sofortigen Zwangsvollstreckung. Im Gegenzug wurde ihm eine monatliche Ratenzahlung in Höhe von 200,00 Euro eingeräumt.

Ende Dezember 2006 ließ dann der Arbeitnehmer seine Willenserklärung im notariellen Schuldanerkenntnis aus allen Gesichtspunkten anfechten und verlangte schließlich klageweise die Urkunde wegen Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts heraus.

Die erhobene Klage blieb vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch ohne Erfolg. Zur Begründung führt das BAG aus, der Arbeitnehmer könne Einwände gegen die Höhe des von ihm verursachten Schadens oder gegen die Art und Weise, wie er überführt wurde, gegen das notarielle Schuldanerkenntnis nicht ins Feld führen. Mit Unterzeichnung des Anerkenntnisses habe er solche bekannten Einwände aufgegeben.

Der Inhalt der notariellen Urkunde stelle sich auch nicht als sittenwidrig dar. Zwar sei die Summe hoch, aber im Verhältnis zu dem vorausgegangenen Geständnis des Arbeitnehmers und zu den Feststellungen, die der Arbeitgeber gemacht habe, sei der Schadensbetrag vorsichtig kalkuliert.

Der Arbeitgeber habe auch keine Geschäftsunerfahrenheit des Arbeitnehmers ausgenutzt. Die Drohung mit einer Strafanzeige erscheine angesichts des vom Arbeitnehmer selbst eingeräumten Sachverhalts nicht als unverhältnismäßig. Zusammenfassend kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass ein unterzeichnetes notarielles Schuldanerkenntnis grundsätzlich nicht erfolgreich mit solchen Argumenten angegriffen werden könne, die vor Unterschrift gegen die Forderung des Gegners noch zulässig gewesen wären.

Fazit:

Arbeitnehmer sollten niemals voreilig ein notarielles Schuldanerkenntnis unterzeichnen, selbst dann nicht, wenn sie dies für unvermeidlich halten. In jedem Fall sollte immer zuvor anwaltlicher Rat und Beistand eingeholt werden.

Für den Arbeitgeber ist der vorgenannte Fall dagegen noch glücklich verlaufen. Nicht nur der aufwändige und schwierige Schadensnachweis ist ihm so erspart geblieben, auch die Frage der Zulässigkeit des verdeckten Filmens des Arbeitsplatzes an der Kasse spielte für die Rechtswirksamkeit des Schuldanerkenntnisses letztlich keine Rolle mehr.

Weitere Informationen: www.edk.de