Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt in seinem § 13 allen Mitarbeitern das Recht, sich an eine interne Beschwerdestelle zu wenden, wenn sie sich aufgrund eines der durch das AGG geschützten Merkmale benachteiligt, insbesondere belästigt, fühlen. Der Arbeitgeber ist durch das AGG verpflichtet, eine solche Beschwerdestelle einzurichten, sie bekannt zu machen und den Beschwerden nachzugehen. Tut er dies nicht, kann dies gegebenenfalls sogar zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Mitarbeiters (§ 14 AGG) führen.

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Foto von Mimi Thian

Strategische Auswahl der Beschwerdestelle ist Chance für den Arbeitgeber
Die Regelung eines gesetzlichen Beschwerderechts soll sicherstellen, dass benachteiligte Mitarbeiter ein offenes Ohr für ihre Situation finden. Gleichzeitig wird damit aber auch sichergestellt, dass der Arbeitgeber die erforderlichen Informationen erhält, um Benachteiligungen in seinem Betrieb wirksam unterbinden zu können. Man darf nicht vergessen, dass der Arbeitgeber nach dem AGG auch dafür verantwortlich ist, Benachteiligungen der Mitarbeiter untereinander zu unterbinden.
Hat der Arbeitgeber in diesem Fall nicht durch ein entsprechendes Beschwerdesystem dafür gesorgt, dass er über mögliche Beschwerden zeitnah informiert wird, kann er dadurch unter Umständen sogar schadensersatzpflichtig werden. So gesehen ist die Einrichtung einer Beschwerdestelle nicht nur als „lästige Pflicht“ für den Arbeitgeber zu sehen. Ein effizientes Beschwerdemanagement hat vielmehr auch den Vorteil, dass Missstände im Unternehmen frühzeitig aufgedeckt und bekämpft werden können. Damit können nicht nur mögliche Schadensersatzansprüche, sondern auch indirekte Nachteile – zum Beispiel durch sinkende Motivation oder Abwanderung – vermieden werden.
Das Extrembeispiel des Enron-Skandals zeigt deutlich, welche Folgen unzureichendes Beschwerdemanagement (wenn auch in einem anderen Bereich) haben kann. Vor allem die Anwerbung qualifizierter Mitarbeiter wird durch negative Berichte über die Arbeitsbedingungen deutlich erschwert. Die angesprochene zweifache Zweckrichtung des Beschwerderechts ist auch bei der Besetzung der Beschwerdestelle zu beachten, da ihre Mitglieder sowohl die Interessen der Mitarbeiter als auch die des Arbeitgebers wahrnehmen sollen.
In welcher Form und in welcher Besetzung die Beschwerdestelle ausgestaltet ist, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt, sodass dem Arbeitgeber insoweit ein weites Ermessen zusteht. In kleineren Betrieben kann und wird die Beschwerdestelle häufig bei der Personalleitung angesiedelt sein. Dies hat den Vorteil, dass die Personalleitung die Mitarbeiter bereits kennt und deren Aussagen daher einschätzen und bewerten kann. Ergänzend wäre zum Beispiel die Einbindung des Betriebsrats denkbar.
Inbesondere in größeren Betrieben, wo die Beschwerdestelle sowieso mit mehreren Personen besetzt werden muss, könnte ein Gremium aus Vertretern des Arbeitgebers und des Betriebsrats diese Aufgabe übernehmen. Da der Betriebsrat jedoch vom Gesetz her keinen Einfluss auf die Besetzung der Beschwerdestelle hat, ist dessen freiwillige Einbeziehung nur sinnvoll, wenn der Arbeitgeber auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat vertrauen kann. Alternativ kann aber auch eine externe Hotline eingerichtet werden, die die Beschwerden aufnimmt und an die jeweils zuständige Stelle im Unternehmen weiterleitet. Auch ein Anwalt kann durchaus als Beschwerdestelle fungieren.

Spielregeln sind notwendig
Nach dem AGG ist jede Beschwerde zu prüfen und das Ergebnis dem Beschwerdeführer mitzuteilen. In der Praxis muss daher ein Verfahrensablauf gefunden werden, der sowohl den gesetzlichen Anforderungen als auch den Gegebenheiten im jeweiligen Betrieb Rechnung trägt.
Achtung: In Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, kann das Beschwerdeverfahren nur gemeinsam mit dem Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden! In jedem Fall sind zunächst Gespräche mit den betroffenen Mitarbeitern zu führen und gegebenenfalls weitere Ermittlungen über den Vorfall einzuleiten. Hierbei muss insbesondere klar festgelegt werden, welche Personen bei kritischen Beschwerden, zum Beispiel bezüglich sexueller Belästigung, in die folgende Sachverhaltsaufklärung einbezogen werden und wie der Schutz des möglicherweise zu Unrecht beschuldigten Mitarbeiters sichergestellt werden kann. Eine Protokollierung und Dokumentation der Gespräche und Ermittlungen schützt den Arbeitgeber dabei vor späteren Vorwürfen, der Beschwerde nicht oder nicht ausreichend nachgegangen zu sein. Sobald sich der Verdacht der Benachteiligung erhärtet, sind je nach der Position des benachteiligenden Mitarbeiters dessen Vorgesetzte oder die Geschäftsleitung einzuschalten, um über die anschließenden Maßnahmen, wie zum Beispiel Abmahnung oder Versetzung, zu entscheiden.

Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung
Wird keine Beschwerdestelle benannt, sieht das Gesetz zunächst keine unmittelbaren Folgen vor. Es hat zunächst lediglich zur Folge, dass die Mitarbeiter mit ihren Beschwerden im Endeffekt zu jeder ihnen geeignet erscheinenden Stelle im Betrieb gehen können, zum Beispiel Vorgesetzte, Personalabteilung, aber auch Betriebsrat. Ein Schadensersatzanspruch ist allein wegen der fehlenden Benennung einer Beschwerdestelle kaum denkbar. Allerdings kommt ein Schadensersatzanspruch dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber keine geeigneten Maßnahmen gegen weitere Benachteiligungen treffen konnte, weil er von der Beschwerde nicht oder nicht rechtzeitig erfahren hat. Die weitere Benachteiligung würde dann auf einem Organisationsverschulden des Arbeitgebers beruhen.
Dem gleichen Risiko setzt sich der Arbeitgeber aus, wenn er zwar pro forma eine Beschwerdestelle einrichtet und bekannt macht, er der Beschwerde jedoch nicht oder nicht in angemessener Zeit nachgeht. Dies hat nach dem AGG zunächst keine Folgen oder Sanktionen. Aber Achtung: Beruht die Beschwerde dabei auf einer Belästigung, kann dies zu einem Leistungsverweigerungsrecht des Mitarbeiters, dessen Beschwerde unbearbeitet bleibt, führen.
Dieser kann dann die Arbeit verweigern, behält jedoch seinen Lohnanspruch, in Form des sogenannten „Verzugslohns“. Gerade die Fehleinschätzung des Beschwerderechts durch Vorgesetzte kann zu solchen Folgen führen. Beispiel: Ein Vorgesetzter geht der Beschwerde einer muslimischen Mitarbeiterin über „derbe Sprüche“ eines Kollegen nicht nach, weil er sie selbst vielleicht für unverfänglich hält.
Werden die Bemerkungen des Kollegen für die Mitarbeiterin irgendwann unerträglich, steht ihr neben dem Entschädigungsanspruch (eine Art Schmerzensgeld) auch das Recht zur Arbeitsverweigerung zu. Ihren Gehaltsanspruch würde sie in diesem Fall aufgrund des § 14 AGG behalten – soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist. Wann von einer solchen Erforderlichkeit auszugehen ist, werden die Gerichte in den kommenden Jahren klären. Sie ist aber sicherlich immer dann anzunehmen, wenn die Belästigung zu einer Erkrankung der Mitarbeiterin führt.

Aktive Gestaltung lohnt sich
Im Ergebnis ist allen Arbeitgebern dringend zu empfehlen, eine geeignete Beschwerdestelle zu schaffen und diese auch ausreichend und offensiv bekannt zu machen. Damit kann er im eigenen Interesse Missstände im Sinne von Verstößen gegen das neue AGG zeitnah aufspüren und kommt gleichzeitig seinen gesetzlichen Verpflichtungen nach dem AGG nach.

Gesetzestext

§ 13 AGG Das Beschwerderecht
Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.

§ 12 Abs. 5 AGG Die Aushangpflicht
Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.