Abgesehen von der stärkeren Berücksichtigung psychischer Belastung in der Prävention bringt die Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes kaum größere Neuerungen mit sich. In erster Linie dient sie der Rechtsvereinheitlichung und sprachlichen Anpassung. Sie integriert vor allem Bestimmungen aus bestimmten Spezialgesetzen (zum Beispiel dem Bergbaugesetz) ins ArbeitnehmerInnenschutzgesetz. Die weiteren relevanten Änderungen sind im Folgenden kurz zusammengefasst:

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Foto von Matt Hoffman

Sicherheitsvertrauenspersonen: Nachdem es diesbezüglich in der Vergangenheit Unklarheiten gegeben hat, stellt die Novelle klar, dass Unternehmen als Sicherheitsvertrauenspersonen nur Arbeitnehmer und keine externen Personen bestellen dürfen.

Arbeitsstoffeverordnung: Die Novelle integriert die Bestimmungen der EG-Verordnung 1272/2008 in das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz. Die Verordnung sieht eine von der bisherigen Einstufung nach dem AschG abweichende Kategorisierung nach Gefahrenklassen vor. Die Arbeitnehmerschutzvorschriften knüpfen derzeit aber noch an die gefährlichen Stoffeigenschaften im Sinne des § 40 ASchG an. Durch die Novelle wird klargestellt, welche der Schutzbestimmungen für die nach der Verordnung kategorisierten Arbeitsstoffe gelten.

Arbeitsmediziner: Die Novelle legt fest, dass Eignungs- und Folgeuntersuchungen nur noch Ärzte vornehmen können, die nicht nur die persönlichen Qualifikationen und sachlichen Voraussetzungen mitbringen, sondern auch eine anerkannte arbeitsmedizinische Ausbildung gemäß § 38 Ärztegesetz absolviert haben. Eignungs- und Folgeuntersuchungen sind zum Beispiel bei Tätigkeiten erforderlich, die eine hohe Hitzebelastung oder die Gefahr einer Berufskrankheit bergen.

Verwaltungsvereinfachung: Relevante Informationen rund um das Thema Arbeitnehmerschutz wird der Gesetzgeber in Zukunft im Internet veröffentlichen. Dazu zählt zum Beispiel die Liste der arbeitsmedizinischen oder sicherheitstechnischen Zentren. Dies erleichtert Unternehmen den Zugang zu notwendigen Informationen, um den Verpflichtungen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu entsprechen. Darüber hinaus sind Betriebe nicht mehr verpflichtet, ein Verzeichnis über jene Arbeitnehmer zu führen, die Kräne oder Stapler führen. Verzeichnisse betreffend Taucharbeiten, Gasrettungsdienste, Sprengarbeiten und vergleichbar risikoreiche Arbeiten müssen sie indes weiter führen.

Leiter sicherheitstechnischer Zentren: Bisher ist vorgesehen, dass nur solche Sicherheitsfachkräfte die Leitung eines Zentrums übernehmen können, die Vollzeit arbeiten. Da diese Regelung Teilzeitkräfte (und somit auch indirekt Frauen, die den Großteil an Teilzeitkräften ausmachen) diskriminiert, musste sie angepasst werden. Nunmehr sollen auch Teilzeitmitarbeiter die Leitung von sicherheitstechnischen Zentren übernehmen können.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 6 November / Dezember 2012

Für die Ermittlung der in der Novelle konkretisierten „Gefahren für die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer“ am Arbeitsplatz stehen dem Arbeitgeber entsprechend den gesetzlichen Vorschriften verschiedene Verfahren zur Verfügung. Der Gesetzgeber schreibt nicht vor, welche Gefahrenermittlungsmethoden der Arbeitgeber anzuwenden hat. Da die Vorgangsweise zur Gefahrenermittlung auch nicht der Genehmigung durch das Arbeitsinspektorat unterliegt, stellt sich die Frage, wie umfassend die Ermittlung sein sollte, damit sich der Arbeitgeber nicht dem Vorwurf einer unzureichenden Erfüllung seiner Verpflichtungen aussetzen muss. Diese Frage lässt sich wohl nur im Einzelfall beantworten. Zu empfehlen ist aber in jedem Fall eine umfassende Dokumentation der Evaluierung und dabei aufgedeckter Risiken. Arbeitgeber sollten darüber hinaus beachten, dass sich die Gefahrenermittlung auf einzelne Arbeitsschritte einzelner Arbeitnehmer beziehen muss. Nicht zulässig ist hingegen eine bloß globale Ermittlung der arbeitsbezogenen Gefahren, bei der zum Beispiel nur eine stichprobenartige Evaluierung der zu prüfenden Arbeitsplätze erfolgt.

Schon bisher sah das Gesetz vor, dass der Arbeitgeber Fachleute, insbesondere Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner, heranziehen muss, um mögliche Gefahren zu ermitteln und entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Novelle legt nunmehr ausdrücklich fest, dass Arbeitgeber auch sonstige geeignete Fachleute wie Chemiker und Toxikologen, Ergonomen und insbesondere auch Arbeitspsychologen beauftragen können. Für die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern sind künftig also nicht nur Arbeitsmediziner, sondern auch speziell ausgebildete Psychologen zuständig.

Neben der generellen Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sieht die Novelle des AschG die Verpflichtung vor, nach Zwischenfällen mit erhöhter arbeitsbedingter psychischer Fehlbeanspruchung die Überprüfung anzupassen. Dies kann zum Beispiel bei Restrukturierungen, Arbeitsunfällen, Mobbing oder Diskriminierungsvorfällen der Fall sein. Um den gesetzlichen Ansprüchen gerecht zu werden, sollte die Evaluierung in solchen Fällen wiederholt beziehungsweise überprüft werden.

Ob die im Gesetzesentwurf geplanten Maßnahmen zur Prävention psychischer Erkrankungen und Belastungserscheinungen wirklich erfolgversprechend sind, hängt im Wesentlichen davon ab, wie ernsthaft die Unternehmen die Gefahrenevaluierung vornehmen. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass in Betrieben, die bereits aktive Maßnahmen für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter ergriffen haben, Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen massiv zurückgegangen sind. Unternehmen sollten aber auch aus anderen Gründen ein Interesse daran haben, die Evaluierung entsprechend den gesetzlichen Vorschriften durchzuführen: Wenn Arbeitgeber zum Beispiel die entsprechende Arbeitsplatzevaluierung nicht durchführen, die laut Gesetz durchzuführenden Schutzmaßnahmen nicht festlegen oder nicht für deren Einhaltung sorgen, drohen Betrieben Verwaltungsstrafen. Deren Höhe steigt mit der Gesetzesnovelle ebenfalls beachtlich: Die Nichteinhaltung der den Betrieben durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz auferlegten Obliegenheiten führt zu Geldstrafen von 166 bis 8.324 Euro; im Wiederholungsfall können Geldstrafen von 333 bis 16.659 Euro auferlegt werden. Bisher betrugen die Strafen zwischen 145 und 14.530 Euro.

Psychische Erkrankungen sind in letzter Zeit stark in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Als Geißel des modernen Arbeitslebens ist das Burnout-Syndrom in aller Munde. Tatsächlich können psychische Erkrankungen und Belastungen sowie damit zusammenhängende psychosomatische Erscheinungen Krankenstände, Arbeitslosigkeit und Frühpensionen verursachen. Für Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger sind sie mit hohen Kosten verbunden. Viele Unternehmen sind daher mittlerweile nicht mehr bereit, Mitarbeiter, die aufgrund psychischer Erkrankungen in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind, mitzutragen. Von Seiten der Beschäftigungs- und Sozialpolitik geht die Tendenz indes dahin, die Arbeitsfähigkeit möglichst lange zu erhalten und somit krankheitsbedingte Frühpensionierungen zurückzudrängen. Aus diesen Gründen sollen psychische Erkrankungen und Belastungen Winklernunmehr auch im ArbeitnehmerInnenschutzrecht ernst genommen werden. Die geplante Novelle des ASchG zählt daher erstmals auch „arbeitsbedingte physische und psychische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen“ zu den arbeitsbedingten Gefahren.

Während Gefahren für die körperliche Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern eher erkennbar sind und durch Spezialisten objektiv abgeklärt werden können, sind psychische Fehlbelastungen für Arbeitgeber und externe Spezialisten in der Regel schwieriger zu identifizieren. Fraglich ist in diesem Zusammenhang insbesondere, was unter „psychischen Fehlbelastungen“ im Sinne der Novelle zu verstehen ist. Zu denken ist dabei zum Beispiel an:

  • Kommunikationsmängel
  • Über- und Unterforderung
  • diskriminierende Arbeitsbedingungen
  • nicht passende Qualifizierung für die übernommenen Arbeitsaufgaben
  • Monotonie der Tätigkeit
  • fehlende Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Arbeiten
  • unklare Zuständigkeiten
  • belastende Gefahren, die Angst vor möglichen Unfällen auslösen
  • unpassende beziehungsweise belastende Arbeitsumgebungen (Lärm, schlechte Lichtverhältnisse etc.)

Die Risiken für die psychische Gesundheit variieren natürlich von Unternehmen zu Unternehmen und sind insbesondere auch von der Tätigkeit an sich abhängig. So werden die in Pflegeberufen vorherrschenden Belastungen und die dagegen zu setzenden Maßnahmen andere sein als jene in einem Consultingunternehmen. Bei der Evaluierung dieser Gefahren ist es in jedem Fall unverzichtbar, Gespräche mit den einzelnen Arbeitnehmern zu führen. Denn sie kennen ihren Arbeitsplatz und die damit verbundenen Probleme am besten.