Quelle: WEKA ArbeitsrechtsPraxis Online und Botschaft zur ZPO vom 28. Juni 2008 S. 7221 ff.

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1 Überblick

Am 1. Januar 2011 tritt die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft, welche dazu führt, dass das Prozessrecht nunmehr vollumfänglich auf Bundesebene geregelt ist und die bisherige diesbezügliche kantonale Kompetenz vollumfänglich derogiert wird.

Das materielle Recht (z.B. OR, ZGB) sowie ein grosser Teil des Vollstreckungsrechts (SchKG) sind seit über einem Jahrhundert einheitlich für die ganze Schweiz gültig. Demgegenüber ist das Zivilprozessrecht (Prozessordnung und Gerichtsorganisation) den kantonalen Regelungen überlassen worden. Jeder Kanton hat seine Eigenheiten, was es vor allem der Anwaltschaft nicht leicht machte, wenn sie in einem anderen Kanton ein Gerichtsverfahren anstreben wollte. Sobald auf Bundesebene – wo auch immer – eine einheitliche Gesetzgebung zustande kam, mussten die Kantone ihre Regelungen laufend anpassen (z.B. Art. 343 OR im Arbeitsrecht). Um diese kantonalen Unterschiede durch eine schweizweite Regelung zu vereinheitlichen, haben das Volk und die Stände im Jahre 2000 einer Verfassungsänderung zugestimmt, dem Bund die Kompetenz für eine einheitliche Regelung zu übertragen (dasselbe gilt auch für die schweizerische Strafprozessordnung, welche ebenfalls am 1. Januar 2011 in Kraft tritt).

Die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) tritt an die Stelle der 26 kantonalen Regelungen. Inhalt dieses Gesetzes ist das Verfahren vor den kantonalen Gerichten und die nationale Schiedsgerichtsbarkeit (bisher im Schiedsgerichtskonkordat geregelt). Die Zivilrechtspflege durch das Bundesgericht ist im Bundesgerichtsgesetz geregelt.
Weiterhin den Kantonen überlassen bleibt die Gerichtsorganisation und damit verbunden die sachliche Zuständigkeit der Gerichte. Eine Besonderheit liegt auch darin, dass es in den Kantonen nur noch eine Rechtsmittelinstanz geben wird.

2 Gründe für die Vereinheitlichung

• Das schweizerische Zivilprozessrecht ist zersplittert.
• Die Rechtszersplitterung kompliziert den Alltag.
• Die Rechtszersplitterung behindert die Freizügigkeit der Anwaltschaft.
• Die Rechtszersplitterung ist unübersichtlich – für Praxis und Wissenschaft.
• Die Rechtszersplitterung setzt die Kantone unter ständigen Anpassungsdruck.


3 Ziele

Ziele der Vereinheitlichung sind:

• Schaffung einheitlichen Rechts und möglichst effizienter Verfahren.
Dass bereits die Vereinheitlichung selbst ganz Entscheidendes zur Effizienzsteigerung beitragen kann, liegt auf der Hand: Der Zugang zum Recht wurde vereinfacht, was den Rechtsalltag erleichtert.

• Wer Recht hat, soll auch Recht bekommen.
Diese einfache Grundforderung richtet sich an jede Prozessordnung. Das kommt nicht von ungefähr, denn die Qualität eines Rechtsstaates wird vor allem an der Qualität seiner Rechtspflege gemessen. Prozessrecht ist dienendes Recht. Es soll das materielle Recht verwirklichen und durchsetzen. Doch so lapidar diese Forderung auch klingen mag: Die Verfahrenspraxis scheint eine ganz andere Sprache zu sprechen. Denn sehr rasch ist Kritik zur Hand, wenn nach den Kernproblemen des Prozessrechts gefragt wird. Beklagt werden vor allem die mit einem Prozess verbundenen Kosten, die oft als schleppend empfundene Verfahrensdauer, die Überlastung und teilweise Überforderung der Gerichte, die deswegen mangelhafte Qualität der Urteile und der sprichwörtliche Formalismus. Oder auf eine einfache Formel gebracht: Aufwand und Ertrag eines Prozesses würden nicht selten in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Den Verfahren mangle es an Effizienz.

• Was ist ein effizientes Verfahren?
Je nach Blickwinkel stehen andere Kriterien im Vordergrund, so dass sich die Frage
stellt, welches denn das Entscheidende sein soll: Ist es der Faktor Organisation der
Gerichte? Oder ist die Arbeitsverteilung innerhalb eines Gerichts, zwischen verschiedenen gleichstufigen Gerichten und schliesslich noch zwischen den Instanzen angesprochen? Geht es um den Faktor Zeit und damit um eine möglichst rasche Erledigung des Streites? Ist es der Faktor Geld, der nach einem möglichst günstigen Verfahren ruft? Sind es die Faktoren Gerechtigkeit und Verfahrensqualität, oder mit andern Worten: Geht es um eine möglichst gründliche Erforschung der materiellen Wahrheit – verbunden mit einem materiell gerechten Entscheid? Oder geniesst der Faktor Rechtsstaat und damit eine ausgebaute Kontrolle der gerichtlichen Tätigkeit (Instanzenzug) Priorität? Soll der Faktor Rechtsschutz und damit ein möglichst direkter und einfacher Zugang zum Gericht leitend sein? Oder soll der Faktor Wesentlichkeit obenaus schwingen, mithin eine Entlastung der Gerichte von sachfremden Aufgaben angestrebt werden?

• Zielkonflikte verlangen Wertentscheidungen und Kompromisslösungen.
Diesen Kernfragen liegen handfeste Zielkonflikte zu Grunde. Wird der Akzent auf Wesentlichkeit gelegt, wird sofort ein Abbau des Rechtsschutzes befürchtet, denn Wesentlichkeit kann wohl nur durch Zulassungsbeschränkungen erreicht werden. Ist andererseits eine möglichst kurze Verfahrensdauer das Ziel, so ist sehr schnell von „Erledigungs- und Discountjustiz“ die Rede, vor allem wenn das konkrete Ergebnis dann im Einzelfall nicht befriedigt.

• Die kantonale Tradition – Chance und Verpflichtung zugleich.
Trotz Rechtszersplitterung weist das schweizerische Prozessrecht eine sehr hohe Qualität auf. Dem vermag auch die allgemeine Diskussion über die Verfahrenseffizienz keinen Abbruch zu tun. Zudem ist das Prozessrecht in anerkannten und bewährten Kommentaren wissenschaftlich erfasst und für die Praxis erklärt.

• Die neue ZPO – vertraut, innovativ und zukunftsgerichtet.
Das einheitliche Recht berücksichtigt auch die neueren und internationalen Entwicklungen des Prozessrechts. Neuerungen sind mit dem Schweizer System und Rechtsempfinden vereinbar, entsprechen zudem einem praktischen Bedürfnis und können sowohl für die Gerichte als auch für die Parteien entlastend wirken. 

4 Leitlinien der neuen ZPO 

• Vereinheitlichung durch Kodifikation.
• Anknüpfung an die kantonale Tradition.
• Mut zur Lücke oder ein Prozessrecht für die Praxis
• Ein Prozessrecht für die Wirklichkeit.
• Ein “soziales” Prozessrecht.
• Die kantonale Gerichtsorganisation ist grundsätzlich nicht anzutasten.
• Ein möglichst gleich langer Weg für alle Kantone.
• Abstimmung mit dem übrigen Bundesrecht.

5 Inhalt

Die ZPO regelt das Verfahren vor den kantonalen Instanzen für streitige Zivilsachen, gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, gerichtliche Angelegenheiten des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, die Schiedsgerichtsbarkeit. Sie ist in folgende Hauptteile gegliedert:

• Allgemeine Bestimmungen.
• Besondere Bestimmungen.
• Schiedsgerichtsbarkeit.
• Schlussbestimmungen.