Also, brauchen wir eine HR-Abteilung? Nein, aber wir brauchen ein HR-Management, das sich aus der Irrelevanz zum zeitgemäßen Vorbild weiterentwickelt, das Menschen wirklich in den Mittelpunkt einer Netzwerk-Unternehmung stellt und dabei die eigene Abteilung im Idealfall selbst überflüssig macht.

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Foto von bruce mars

Webtipp
www.resourceful-humans.com

Dabei kristallisieren sich aktuell gänzlich neue Ansätze zur Unternehmensführung heraus, die das Potenzial haben, Missmanagement und Korruption vorzubeugen. Dazu gehören zum Beispiel Holacracy, Agile oder ROWE. Hinzu kommen neue Technologien wie Slack und Basecamp (Kollaborationstools für Arbeitsgruppen), die Kommunikation in Netzwerken erleichtern. Einige Firmen experimentieren sogar mit eigenen Managementansätzen, um sich aus dem überholten Pyramidenmodell in eine Netzwerkwelt weiterzuentwickeln. Darunter sind etablierte Player wie SwissRe mit „Own the Way you work“, T-Mobile mit „T-Spirit“ oder Mittelständler wie Haufe-umantis mit dem „RH-Way“. Alle drei greifen tief in bestehende Machtstrukturen ein und stellen sie auf eine demokratischere Basis. Neue Managementansätze kommen aus der Linie, teilweise aus der IT. Woher kommen sie nicht? Von HR. Es geht so weit, dass Unternehmen HR aktiv ausgrenzen, damit es Innovation nicht verhindert. Warum ist das so?

 

Die Evolution von HR verläuft gemäß RHWay von der Polizei zum Partner über den unternehmerischen Player bis hin zur eigenen Auflösung. Für diese Auflösung aus einer Position der Stärke heraus bedarf es vorbildlicher und mutiger HR-ler und Führungskräfte. Ein Beispiel dazu: Vor zwei Jahren begann unsere Firma eine Zusammenarbeit mit David Marquet. David führte in seinem Team von 150 Mitarbeitern demokratisches Unternehmertum ein – und zwar so erfolgreich, dass es nach gängigen Messkritierien das erfolgreichste aller Zeiten innerhalb der Organisation wurde. Das Besondere? David war Kapitän der USS Santa Fe, einem amerikanischen Nuklear-U-Boot. Dessen Organisation war die US Navy, die nicht für demokratische Strukturen bekannt ist. Seine Lehre manifestierte er in dem Buch “Turn the Ship around“ (Das Schiff wenden). David wurde zum Vorbild demokratischer Führung ohne bürokratischen Gegenwind (es gibt keine HR-Abteilung auf einem U-Boot).

 

Diese besteht in einer Netzwerkorganisation mit direkten Wegen, wie bei der Industriegröße W. L. Gore mit mehr als 10.000 Mitarbeitern und 3,2 Milliarden Umsatz. Bei Gore führt jeder. Es gibt keine Hierarchieebenen. Informationen fließen frei und persönliche Kommunikation ist die Norm. Mitarbeiter und Teams gehen direkt an jedermann in der Organisation, um zu bekommen, was sie benötigen. Das Ergebnis? Innovation für den Kunden. Teamarbeit statt individuellem Wettkampf, organische Führung und Mitarbeiter, die sich wie Erwachsene selbstbestimmt verhalten können.

Ein weiteres Beispiel: Alexander Göttling, Vizepräsident Human Resources von Faro Technologies, arbeitet im Dienste seiner Organisation auf die Auflösung der eigenen Abteilung hin. Dazu gehört im ersten Schritt der Weg vom Partner zum Player – HR als Unternehmung. Alles in HR wird agil und Projekt. Es geht darum, zu automatisieren, alles Administrative auszulagern und den Fokus auf die iterative Lösungsentwicklung für das Business zu legen – und zwar aus der eigenen Erfahrung als Netzwerk-HR. 

Wie geschieht Performancemanagement im Netzwerk? Wie funktioniert die Gehaltsfindung? Alle Prozesse und Tools werden durch den klar artikulierten Wertbeitrag der Organisation gefiltert in das, was weg muss, und das, was her muss. Anschließend erfolgt die Priorisierung in Gold (kriegsentscheidend), Silber (unterstützt Gold) und Bronze (nicht schlechter machen als Standard). Statt Jobbeschreibungen und Rollen hat jeder HR-ler einen persönlichen Businessplan, der den eigenen Wertbeitrag für den Endkunden darstellt. 

Nun verlagert das Unternehmen die HR-Kompetenzen Schritt für Schritt in die Businessteams zurück und reintegriert sie in das Tagesgeschäft. Dies ist anfänglich Mehraufwand, führt aber mittelfristig zu besseren, weil maßgeschneiderten Prozessen und Entscheidungen, die Teams Zeit und Geld sparen. Am Ende steht die Netzwerk-Organisationsform. Diese einzufordern und deren Skalierung zu begleiten, ist nicht nur richtig, sondern vorbildlich. 

Von dieser Art Organisationen profitieren Mitarbeiter zum Beispiel in Form von weitgehend selbstbestimmten Arbeitszeiten. Kunden profitieren von wirklich engagierten Mitunternehmern und die Gesellschaft von einem zeitgemäßen Unternehmensmodell.

Keine HR-Abteilung bedeutet in diesem Ansatz: Jeder ist HR. So geschehen zum Beispiel bei SEMCO, einer brasilianischen Firma mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Sie begann 1951 mit der Produktion von Waschmaschinen, arbeitet heute aber in verschiedenen Branchen wie Immobilien, Banken und Web-Services. Trotz der seit zehn Jahren anhaltenden Rezession in Brasilien wuchs der Umsatz bei SEMCO weiter um 600 Prozent. Der Gewinn steigerte sich um 500 Prozent, die Produktivität um 700 Prozent. Die Mitarbeiterfluktuation liegt bei ein bis zwei Prozent pro Jahr.

Wie Marc Stoffel, CEO von Haufe-umantis, führt auch Ricardo Semler, CEO von SEMCO, den Erfolg seines Unternehmens auf das Design der Organisation als demokratisches Netzwerk von Mitunternehmern zurück. HR hat die Transformation zur Netzwerkorganisation maßgeblich gestaltet. Entstanden ist eine Organisation ohne Manager oder Personalabteilung. Jeder arbeitet in kleinen, selbstbestimmten Teams, die ihre eigenen Entscheidungen in Bezug auf Gehalt und Boni, Einstellungen, Entlassungen sowie Teamführung treffen.

Laut dem amerikanischen Wissenschaftsphilosophen Thomas Kuhn verläuft intellektueller Fortschritt nicht linear, in kleinen Schritten, sondern in plötzlichen Paradigmenwechseln. Auf Zeiten, in denen jeder ein bestimmtes Paradigma befürwortet, folgen Zeiten des “Modell-Drifts”: Unzulänglichkeiten häufen sich, das bestehende Modell erscheint allmählich fehlerhaft und es kommt zu einer „Modellkrise”, in der das Paradigma zusammenbricht. Versuche, das Modell zu flicken, scheitern. An diesem Punkt ist das HR-Businesspartnermodell aus meiner Sicht angekommen. Denn es spiegelt undifferenziert ein unzeitgemäßes Managementmodell, an dem viele HR-Verantwortliche dennoch festhalten. Was ist die Alternative?

Warum konnte David das Schiff ohne HR einfacher wenden? Anfang März dieses Jahres hatte ich dazu eine kontroverse Diskussion mit Dave Ulrich, dem Papst des HR-Businesspartnerkonzepts. Meine Frage war, warum HR im Mittelstand zumeist nicht als Befähiger, sondern als Bürokrat oder Verhinderer wahrgenommen werde. Auch in Großorganisationen scheint es, dass HR selbst in seiner besten Implementierung als Businesspartner keinen Beitrag leiste, um epischen Desastern wie bei VW, Enron oder der FIFA vorzubeugen. 

In der Logik des Businesspartners hat HR laut Ulrich die Struktur der Geschäftseinheiten zu spiegeln und dabei gewisse Kernkompetenzen zu fördern, um dem Business Wert beizutragen. Die Verantwortung für Skandale wie bei VW liegt aus Ulrichs Sicht nicht bei HR. Das HR-Management sei mitverantwortlich, aber nicht zuständig für Unternehmenskultur, und habe in der Praxis nichts mit dem Endkunden zu tun.