5  Verhaltensbezug

silver iMac with keyboard and trackpad inside room
Foto von Carl Heyerdahl

Schließlich existieren noch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, wenn durch das E-Learning bestimmte Verhaltensvorgaben vermittelt werden sollen.

Beispiele

Klassischer Bestandteil von Compliance-Systemen sind Ethikrichtlinien, Verhaltenskodices (Codes of conduct) sowie Schulungen zu rechtlichen Rahmenbedingungen (Insiderregelungen, Strafbarkeit von Bestechung/Bestechlichkeit, kartellrechtliche Fragen sowie Urheber- und Wettbewerbsschutz).

Um die Umsetzung solcher Policies und Richtlinien zu dokumentieren, gehen immer mehr Arbeitgeber dazu über, ihre Beschäftigten nicht mit daumendicken Papierregelwerken zu überfordern, sondern die Inhalte der Richtlinien mittels E-Learnings zu vermitteln. So soll zugleich der Nachweis der Schulung erbracht werden, etwa um gegenüber Aufsichtsbehörden die Umsetzung – und damit fehlendes Organisationsverschulden – sowie in Gerichtsverfahren dokumentieren zu können, dass der einzelne Mitarbeiter anweisungswidrig gehandelt hat.

Es ist eigentlich nicht einzusehen, aus welchem Grund der Betriebsrat mitzubestimmen haben soll über Fragen, die darüber hinaus ganz erhebliche Bedeutung für die unternehmerische, moralische und compliance-orientierte Positionierung des Unternehmens haben. Das BAG hatte im Jahr 2002 das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auch bei solchen Regelungen bejaht, bei denen der Arbeitgeber (Verlag) von seinen Wirtschaftsredakteuren die Offenlegung eigenen Aktienbesitzes verlangte (Beschl. v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, BAGE 101, S. 216). Der Schritt des Verlags beruhte nicht etwa auf unsachgemäßen Erwägungen oder schierer Neugierde: Für ihn war die Glaubwürdigkeit seiner Wirtschaftszeitung maßgeblich davon abhängig, dass er die unabhängige Berichterstattung durch seine Redakteure gewährleisten und kontrollieren konnte.

Dabei ist auch zu berücksichtigten, dass es einen strafrechtlich relevanten Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot darstellt, wenn ein Wirtschaftsredakteur Aktien, die er in der Presse zum Kauf empfiehlt, zuvor selbst erwirbt. Zu bedenken ist insoweit ferner, dass nach Umsetzung der Richtlinie 2004/39/EG (MiFID), dort Art. 13 – Organisatorische Anforderungen, die Zulassung als Finanzdienstleistungsinstitut u. a. davon abhängt, dass das Unternehmern geeignete organisatorische Maßnahmen (bspw. Die Offenlegung eigenen Aktienbesitzes) durchführt, um das Vorliegen von Interessenkollisionen zu vermeiden.

2  Die Schulung an sich

Große Bedeutung für die Frage nach „Ob“ und Ausmaß der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hat die Unterscheidung zwischen betrieblicher Bildungsmaßnahme einerseits und der arbeitgeberseitigen Einweisung eines Arbeitnehmers (§ 81 BetrVG) andererseits. Die reine Einweisung ist – als Teil des Arbeitsverhaltens – mitbestimmungsfrei. Um die Interessen des Betriebsrats und seiner Beteiligungsrechte zu wahren, legt die Rechtsprechung den Begriff der Einweisung jedoch sehr eng aus. Im Wesentlichen ist davon nur diejenige eines einzelnen Beschäftigten umfasst. Wenn hingegen mehrere Mitarbeiter zum Ziel einer Einweisung/Erläuterung versammelt und gemeinsam geschult werden, ist schnell die Grenze zur betrieblichen Weiterbildung überschritten.

Die Mitbestimmungsrechte bei betrieblichen Bildungsmaßnahmen beschränken sich im Vorfeld zunächst auf Beratungs- und Initiativrechte im Zusammenhang mit der Ermittlung des Bildungsbedarfs. Der Betriebsrat darf demnach beim Unternehmen bestimmte Schulungen anregen und eine Beratung über die Frage der betrieblichen Fortbildung fordern. Ganz wesentliche Kernpunkte kann das Unternehmen demnach – aus rechtlicher Sicht – allein vorgeben und damit naturgegeben auch die daran anknüpfenden Fragen maßgeblich beeinflussen.

WICHTIG

Bei allen darüber hinausgehenden Themen hat der Betriebsrat im Wesentlichen ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Er kann also das „Wie“ der betrieblichen Bildungsmaßnahme im Einzelnen mitbestimmen. Dazu gehören bspw. die konkrete Auswahl der Arbeitnehmer (aus der abstrakten Gruppe), die die Schulung besuchen sollen, die Prüfung der Qualifikation und Auswahl des Fortbildenden, die inhaltlichen Themensetzungen und die konkrete Ausgestaltung der Durchführung (Ort, Zeit etc.). Dies beinhaltet auch die Entscheidung darüber, ob eine Schulung physisch oder virtuell – also als E-Learning – durchgeführt wird.

Insofern kann der Betriebsrat sehr wohl über Schulungsinhalte mitbestimmen – auch bei Themen, die dem Grunde nach gesetzlich oder durch Aufsichtsbehörden vorgegeben sind. Bei diesen verbleibt nämlich stets noch ein hinreichender Gestaltungsspielraum für die konkrete Umsetzung, so dass das Gremium mitgestalten kann und muss. Ausländische Gesetze und Vorgaben (bspw. des Sarbanes-Oxley-Acts, der US-Börsenaufsicht oder des UK Bribery Acts) haben keinerlei (schmälernden) Einfluss auf die Mitbestimmungsrechte.

3 Technikbezug

Beim E-Learning sind aber auch die technikbezogenen Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertreter von großer Bedeutung. § 87 BetrVG ist der Kernbereich der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung. Hier kann das Unternehmen nicht ohne Zustimmung des Betriebsrats – bzw. der Einigungsstelle – wirksam und rechtmäßig Maßnahmen durchführen. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber benötigt die Zustimmung des Gremiums, bevor er IT-Systeme, die der Mitbestimmung unterliegen, im Betrieb einsetzt.

WICHTIG

§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besagt, dass der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung technischer Systeme hat, die zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Mitarbeiter geeignet sind. Im Gesetz steht zwar nicht „geeignet“, sondern „bestimmt“, aber das BAG liest seit Jahrzehnten den Text so, als stehe dort „geeignet“. Diese kleine Änderung im Wortsinn hat schwere Folgen und macht die Mehrzahl von Software- und IT-Systemen zum Gegenstand der betriebsrätlichen Mitbestimmung.

Unternehmen vertreten häufig die Auffassung, die Einführung von IT-Systemen oder von Software unterliege nicht der Mitbestimmung, da arbeitgeberseitig damit keine Kontrollziele verbunden seien. Dies ist auch in aller Regel zutreffend und ein gewichtiges Argument in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Dessen Mitbestimmungsrecht schließt dieser Umstand jedoch nicht aus. Dafür hat das BAG mit der oben dargestellten Auslegung des Gesetzes gesorgt. Nahezu jedes IT-System und fast jede Software speichert eine Fülle von Nutzerdaten in Protokoll- und Log-Dateien.

Deren Speicherung und Erstellung kann der Arbeitgeber i. d. R. nicht verhindern. Häufig genug weiß er nicht einmal, dass es diese Protokoll- bzw. Log-Dateien gibt. Er ist auch in so gut wie allen Fällen fern davon, solche Dateien auszuwerten, um damit ein Nutzerprofil zu erstellen. Faktisch bleibt es jedoch dabei, dass das Unternehmen – wenn auch oft mit enormem technischem Aufwand – bei jedem IT-System bzw. jeder Software zumindest die Möglichkeit einer solchen Auswertung hat. Und allein diese – theoretische – Möglichkeit genügt nach Auffassung des BAG dazu, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auszulösen.

PRAXISTIPP

Keine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht, wenn das E-Learning-Tool sich auf die passive Nutzung von Medien wie CD-Rom oder DVD beschränkt. Alle anderen E-Learning-Tools, sei es als Web-Seminare, computergestützte Video-Konferenzen oder gar als reines Softwaretool, sind hingegen mitbestimmungspflichtig. In aller Regel werden zumindest Log-in Daten der Arbeitnehmer erfasst. Zudem sind viele Schulungs-Tools gerade darauf ausgelegt, genau festzuhalten, wer wann welche Schulung (bis zu welchem Grad) genutzt hat und sehen zum Teil auch Erfolgs-/Lernkontrollen vor, die dokumentiert werden.

4 Blockadehaltung

Arbeitnehmervertreter setzen ihre Mitbestimmungsrechte häufig dazu ein, um E-Learning zu verhindern. Sie sind der Auffassung, dass E-Learning-Module häufig didaktisch nur eingeschränkt empfehlenswert seien und vor allem von vielen Beschäftigten gar nicht ernst genommen würden. Anders als bei Präsenzschulungen, bei denen der Vortragende in großem Umfang kontrollieren kann, ob und in welcher Tiefe die Teilnehmer ihm folgen, lassen sich technische Module häufig noch leicht austricksen. Viele Mitarbeiter, für die die Teilnahme Pflicht ist, führen E-Learning-Module aus, während sie andere Arbeiten erledigen. Bei Telefonkonferenzen bspw. klickt sich der Arbeitnehmer einfach von Lektion zu Lektion, ohne den Inhalt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Mit Recht reklamieren die Betriebsräte, dass damit der Schulungszweck nicht erfüllt wird. 

Auch bei webbasierten Seminaren ist die Kommunikation oft nur in eine Richtung ermöglicht, nämlich vom Vortragenden zu allen (möglicherweise sehr vielen) Teilnehmern. Dies lässt sich nur dann umgehen, wenn bei Webinaren der Kommunikationskanal in beide Richtungen eröffnet wird und der Vortragende die Möglichkeit hat, eine Präsenzschulung mittels der technischen Mittel realistisch nachzustellen, indem er z. B. auch einzelne Teilnehmer gezielt abfragen kann. Neben der „Totalblockade“ stellen Betriebsräte bei der Einführung von E-Learning-Tools häufig die folgenden Forderungen auf:

›› generelles Verbot der Leistungs- und Verhaltenskontrolle,
›› schnellstmögliche Löschung sämtlicher arbeitnehmerspezifischer
   Daten und Verbot der Weitergabe jedweder arbeitnehmerspezifischer Daten,
›› Verbot personeller Maßnahmen im Zusammenhang mit der Nutzung des E-Learning-Tools,
›› Mitbestimmung des Betriebsrats über die Vergabe von Zugriffsrechten    
   sowie Dokumentation und Einschränkung jedweder IT-/SoftwareSchnittstelle,
›› Einräumung eines eigenständigen Leserechts des Betriebsrats mit
   Administratorberechtigung (dieses muss freilich nach der BAG-Rechtsprechung
   nicht gewährt werden),

›› Verbot jedweder Änderung am System ohne vorherige
   Zustimmung des Gremiums.

Ergänzend kann auch § 94 BetrVG greifen. Danach besteht eine Mitbestimmungspflicht, wenn der Arbeitgeber das E-Learning-Tool als technikbasierten Fragebogen nutzt, den die Arbeitnehmer zu beantworten haben und dessen Ergebnisse personifiziert oder personenbeziehbar erfasst werden. Ferner kommt die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 94 BetrVG in Betracht, wenn das Unternehmen ein berufliches Fortkommen (bspw. Die Beförderung zur Führungskraft) an die Bedingung knüpft, dass bestimmte E-Learning-Tools bestanden bzw. mit einem Mindesterfolg bestanden wurden. Das kommt etwa bei Schulungen zur Beachtung der Vorgaben nach § 12 AGG in Betracht.

1 Risiken abwehren – online?

Notwendige Weiterbildungen sind insbesondere

›› regelmäßige Brandschutzunterweisungen,
›› Unterweisungen im Hinblick auf die Arbeitssicherheit –
   nach entsprechender Gefährdungsbeurteilung,
›› Schulung zur Beachtung der Vorgaben des AGG,
›› Sensibilisierung für kartell-, straf- und aufsichtsrechtliche Themen,
›› Schulungen zum Verhalten der Arbeitnehmer, bspw. im Rahmen
   der Einführung von Social-Media-Policies, Codes of Conduct, 
   Compliance-Richtlinien und ähnlichen Themen.

All das kostet Geld und verursacht damit Kosten, die – sofern der Arbeitnehmer sich nicht eigenständig fortbildet – vom Arbeitgeber zu tragen sind. In Zeiten großen Wettbewerbsdrucks setzen viele Unternehmen den Rotstift an. Einsparspotenzial wird dabei stets im Personalbereich gesucht. Die Zeiten von kostspieligen Fortbildungsreisen sind daher für viele Beschäftigte vorbei. Stattdessen sucht man innovative Wege, die Einsparpotenziale oder – bei Ausweitung des Fortbildungsspektrums – eine Kostenbremse verwirklichen und zugleich nachprüfbar machen, welcher Mitarbeiter wann welche Schulung (mit Erfolg) in Anspruch genommen hat. Hinzu kommen neue pädagogische Entwicklungen. Die Methoden der Wissensvermittlung haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten – zum Glück – dramatisch gewandelt. Nicht mehr der achtstündige Frontalunterricht ist das Maß aller Dinge; vielmehr soll Wissen durch möglichst große interaktive Bestandteile vermittelt werden.

Ein Mittel, das auf den ersten Blick all das ermöglicht, ist das sog. E-Learning: Der Teilnehmerkreis kann – je nach Ausprägung – selbst darüber entscheiden, wann die Fortbildung stattfinden soll. Es lässt sich bspw. ein zweistündiges Modul auch auf mehrere Teilsegmente aufsplitten und folglich peux-a-peux durchführen. Reisekosten und Übernachtung für die früher üblichen (und dem Networking dienenden) Veranstaltungen in internen Akademien oder bei externen Anbietern können eingespart werden. Die Teilnahme und das Verstehen des Erlernten kann man auch beim E-Learning über eingebaute Kontrollmechanismen und Tests weitgehend sicherstellen, kontrollieren und dokumentieren.

WICHTIG

Ein potenzieller Nachteil von E-Learning-Tools ist – je nach Verhältnis zum zuständigen Gremium – der Umfang der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrats. Wie intensiv diese Rechte im Einzelnen sind, darüber entscheidet die Ausgestaltung der einzelnen Maßnahme. Grob lässt sich nach vier verschiedenen Themen unterscheiden:

›› Mitbestimmung in Bezug auf die Schulung an sich,
›› Mitbestimmung in Bezug auf die Nutzung der IT,
›› Vorgaben zur Bewertung von Mitarbeitern, abhängig
   vom Bestehen bestimmter Schulungen, und

›› Mitbestimmung im Hinblick auf darin vermittelte Verhaltensvorgaben.

6  Fazit

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass E-Learning-Tools aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht betrachtet erhebliche rechtliche Herausforderungen mit sich bringen. Wegen einer – bisweilen ideologisch motivierten – häufigen Blockadehaltung der Betriebsratsgremien ist gerade bei der Einführung solcher Tools verhältnismäßig häufig die Anrufung der Einigungsstelle erforderlich. Davor sollte die Arbeitgeberseite aber nicht zurückschrecken. Sie hat dort nämlich oft weit weniger zu befürchten als die Betriebsratsseite.

Fotocredit: Martin Schemm | www.pixelio.de
Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | Ausgabe 2/2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de