Da sich die Regierungskoalition nicht auf eine grundlegende Reform der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung verständigen konnte, hat man den vermeintlich einfachen Weg beschritten und den Beitragssatz von 1,7 Prozent auf 1,95 Prozent angehoben. Der Arbeitgeberanteil steigt damit um 0,125 Prozentpunkte von 0,85 auf 0,975 Prozent. Diese Erhöhung gilt auch im Freistaat Sachsen, der bei der damaligen Einführung der Pflegeversicherung auf die Kürzung eines Feiertages verzichtete und damit einer Sonderregelung unterliegt. Der Beitragszuschlag für Kinderlose von 0,25 Prozent bleibt dagegen unverändert.

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Arbeitsrechtliche Änderungen

Zusammen mit der sozialrechtlichen Reform der Pflegeversicherung wurde auch das neue Pflegezeitgesetz eingeführt. Es sichert den Beschäftigten einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeit zu, wenn sie sich um die Pflege eines nahen Angehörigen kümmern müssen. Dabei wird unterschieden zwischen der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung, auch „Pflegeurlaub“ genannt, und der Pflegezeit. Der Pflegeurlaub soll dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich um die Organisation der Pflege oder gegebenenfalls der Beschaffung eines Heimpflegeplatzes zu kümmern. In der Pflegezeit wird vorausgesetzt, dass der Beschäftigte selbst die Pflege eines Angehörigen übernimmt. Das neue Recht gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, Auszubildenden und arbeitnehmerähnliche Personen, also zum Beispiel Heimarbeiter. Voraussetzung ist, dass ein naher Angehöriger pflegebedürftig ist. Als nahe Angehörige sind im Gesetz definiert:

  • Großeltern,
  • Eltern,
  • Schwiegereltern,
  • Ehegatten,
  • Lebenspartner (eingetragene Partnerschaften),
  • Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft,
  • Geschwister,
  • Kinder (auch die des Ehegatten),
  • Adoptivkinder (auch die des Ehegatten),
  • Pflegekinder (auch die des Ehegatten),
  • Schwiegerkinder,
  • Enkelkinder.

Pflegebedürftigkeit besteht, wenn die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI)erfüllt sind. Besonderheit: Beim Pflegeurlaub reicht es aus, wenn der Angehörige „voraussichtlich“ pflegebedürftig ist. Gerade bei der kurzfristigen Arbeitsbefreiung geht es ja häufig darum, überhaupt festzustellen beziehungsweise feststellen zu lassen, ob und welche Leistungen aus der Pflegeversicherung gewährt werden können. Um hier Rechtsunsicherheiten zu Lasten des Beschäftigten zu vermeiden, reicht es aus, wenn subjektiv Pflegebedürftigkeit besteht.

Pflegeurlaub

Die kurzzeitige Arbeitsbefreiung erfolgt an bis zu zehn Arbeitstagen. Eine längere Vorankündigung ist – schon bedingt durch den Zweck der Vorschrift – nicht notwendig. Der Beschäftigte hat seinen Arbeitgeber lediglich unverzüglich von der notwendigen Arbeitsbefreiung zu unterrichten. Ein Verweigerungsrecht seitens des Arbeitgebers besteht hierbei nicht. Grundsätzlich ist beim Pflegeurlaub keine Entgeltfortzahlung zu leisten. Es kann aber aufgrund von tariflichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ein Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber bestehen. Möglicherweise besteht auch eine Verpflichtung aus § 616 BGB wegen einer Arbeitsverhinderung für eine unerhebliche Zeit durch einen in der Person des Beschäftigten liegenden Grund. Die Anwendung dieser Vorschrift ist aber in vielen Tarifverträgen durch eine detaillierte Aufzählung der in Frage kommenden Tatbestände eingeschränkt. Im Gegensatz zu den Regelungen des Pflegezeitgesetzes kann der Anspruch aus § 616 BGB durch Tarif- oder Arbeitsvertrag abbedungen werden. Die Pflegebedürftigkeit und die Notwendigkeit der Freistellung sind auf Verlangen des Arbeitgebers durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen. Bei dem Anspruch von zehn Tagen handelt es sich um die maximale Dauer des Pflegeurlaubs. Ist nur eine kürzere Zeitspanne notwendig, endet der Anspruch entsprechend früher. Anspruch auf Pflegeurlaub besteht gegebenenfalls auch mehrfach, wenn verschiedene Angehörige (nacheinander) betroffen sind.

Pflegezeit

Für die selbst vorgenommene Pflege eines nahen Angehörigen sieht das Gesetz eine Freistellung von bis zu sechs Monaten vor. Aufgrund der längeren Abwesenheit des Beschäftigten und der damit verbundenen größeren Belastung des Betriebs gelten hierfür eine Reihe einschränkender Bestimmungen:

  • Anspruch auf Pflegezeit besteht nur in Betrieben, die regelmäßig mehr als fünfzehn Mitarbeiter beschäftigen. Damit sollen kleinere Selbstständige vor einer Überforderung geschützt werden.
  • Der Angehörige muss in „häuslicher Umgebung“ von dem Arbeitnehmer gepflegt werden. Dabei kann es sich um die Wohnung des Arbeitnehmers oder die des zu Pflegenden handeln. Eine häusliche Gemeinschaft wird nicht vorausgesetzt.
  • Die Pflegebedürftigkeit ist durch eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (dieser nimmt die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit für die Pflegekassen vor) nachzuweisen. Bei Privat-Pflegeversicherten ist ein anderer, adäquater Nachweis zu erbringen.
  • Die Pflegezeit muss dem Arbeitgeber spätestens zehn Arbeitstage vor ihrem Beginn schriftlich angekündigt werden.
  • Die Freistellung kann vollständig oder in Teilzeit erfolgen. Auf die vollständige Freistellung besteht ein unmittelbarer Rechtsanspruch. Diese kann vom Arbeitgeber nicht mit Hinweis auf dringende betriebliche Belange abgelehnt werden. Bei einer teilweisen Freistellung muss eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber getroffen werden. Im Ergebnis kann eine teilweise Freistellung so durch den Arbeitgeber erschwert oder sogar verhindert werden. Wie die Arbeitsgerichte in solchen Fällen entscheiden werden, bleibt abzuwarten.

Die Pflegezeit kann grundsätzlich nicht einseitig durch den Arbeitnehmer vorzeitig beendet werden. Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn der Angehörige nicht mehr pflegebedürftig ist oder die häusliche Pflege unmöglich oder unzumutbar geworden ist. Das gilt insbesondere, wenn der Pflegebedürftige verstirbt oder in ein Pflegeheim eingewiesen werden muss. Gleichwohl kann der Arbeitnehmer nicht verlangen, von einem auf den anderen Tag wieder beschäftigt zu werden. Das Gesetz sieht eine „Auslauffrist“ von vier Wochen vor. So soll dem Arbeitgeber Gelegenheit gegeben werden, die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zu treffen. Die Wahrnehmung der Pflegezeit ist Grund für die Befristung einer ersatzweisen Anstellung. Wird die Pflegezeit vorzeitig beendet, besteht auch die Möglichkeit, der Aushilfskraft vorzeitig zu kündigen.

Weitere Regelungen

Von der Ankündigung des Pflegeurlaubs oder der Pflegezeit an besteht ein Sonderkündigungsschutz, vergleichbar dem Kündigungsschutz in der Elternzeit oder bei Mutterschaft. Der besondere Kündigungsschutz besteht sofort, also ohne Wartezeiten und ist unabdingbar. Eine Ausnahme ist, etwa bei betriebsbedingten Kündigungen, mit Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde möglich. Die Regelungen des Pflegezeitgesetzes sind unabdingbar. Sie können also auch durch Tarif- oder Arbeitsvertrag nicht zulasten des Beschäftigten verschlechtert werden. Verbesserungen und Erweiterungen zum Vorteil der Arbeitnehmer sind natürlich zulässig.

Autor: Jürgen Heidenreich, Fachjournalist, Reinbek

Quelle: Personalwirtschaft – 07/2008