Wir als HR-Community haben uns bereits so daran gewöhnt, über die vielbeschworene VUCA-Welt zu sprechen, dass es sich schon beinahe heimelig angefühlt hat, da kommt schon das nächste Akronym in unser Bewusstsein: BANI. Dieses steht für eine brüchige, ängstliche, nicht-lineare und unbegreifliche Welt. Ein hohes Maß an Veränderung und gefühltes Chaos, das viele Unternehmen zu Vorsicht bei hoher Anpassungsfähigkeit zwingt. Wenn sich die Rahmenbedingungen des Business schnell ändern, wie können wir dann unsere Mitarbeitenden mitnehmen, sicherstellen dass sie über die richtigen Qualifikationen und Fähigkeiten zum richtigen Zeitpunkt verfügen?

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Foto: JJ Ying, Unsplash

Die schockierende Antwort für alle, die sich immer noch der Illusion einer Steuerung von oben nach unten hingeben, lautet: Zentral steuerbar ist das nicht. Eine sich schnell verändernde, komplexe Welt außerhalb des Unternehmens erfordert ein entsprechend schnelles und anpassungsfähiges Lernen innerhalb des Unternehmens. Denn wie bereits Jack Welsh sagte: „Wenn die Geschwindigkeit des Wandels außerhalb der Organisation schneller ist als innerhalb der Organisation, ist ihr Ende in Sicht.“

Traditionelle Formate funktionieren nur noch bei traditionellen Qualifikationen

Natürlich können wir Grundlagen für die üblichen Herausforderungen auch auf herkömmlichen Wegen schaffen. Ein traditionelles Academy-Programm wird von vielen Mitarbeitenden als besonderes Benefit eines Arbeitgebers geschätzt, trägt es doch auch zur internen Vernetzung bei. Trainings und Seminare haben zudem bei der reinen Wissensvermittlung sicherlich ihre Berechtigung. Aber können diese herkömmlichen Angebote die Antwort auf das hohe Maß an Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit sein? Welchen Vorlauf haben klassische Schulungsangebote?

Die Antwort muss in einer schnelleren, flexibleren und anpassungsfähigen Einheit liegen, bei den Expertinnen und Experten für ihr Fachgebiet, die über die besten Kenntnisse über ihre Qualifikationen verfügen: den Mitarbeitenden selbst. So hat sich denn auch in den letzten Jahren der Begriff des Selbstgesteuerten Lernens etabliert.

Lernen im Seminar (Foto: master1305, iStock)

Selbstgesteuertes Lernen versus alleingelassenes Lernen

Einzelne Mitarbeitende fühlen sich mit dieser neuen Verantwortung jedoch schnell alleingelassen und überfordert, auch wenn neue Lernformate auf den ersten Blick viele Vorteile bieten. E-Learning oder andere Micro-Learning-Formate werden oft als „Lernen der benötigten Inhalte zur richtigen Zeit“ beschrieben.

Ohne den passenden Rahmen einer freien Lernkultur läuft ein solches Angebot jedoch oftmals ins Leere. Daher bietet es sich an, sich in Lernzirkeln zu verschiedenen Themen zusammenzuschließen oder moderierte Study Circles zu Schwerpunktthemen wie Digitalisierung anzubieten.

Lernen durch und im Austausch mit anderen lässt die Mitarbeitenden mit dieser Herausforderung nicht allein. Vernetzung ist das Zauberwort: Zur Einführung kann man auch auf bereits existierende Formate wie Working Out Loud zurückgreifen und im Unternehmen Raum für informellen Austausch schaffen.

Selbstgesteuertes Lernen (Foto: Khosrork, iStock)

Inkompetenz-Kompensationskompetenz oder die Angst vor dem Fehler

Lernen in Peer Groups macht zwangsläufig eigene Entwicklungsfelder sichtbar. Das gefällt nicht jedem. Hat man denn nicht immer Karriere gemacht, indem man sich gut darstellte und keine Fehler machte? Um Lernfelder bewusst zu machen, ist unbedingt die Rückmeldung von anderen erforderlich. Nur so werden blinde Flecken sichtbar, die unbewusste Inkompetenz, die nun kompensiert werden kann. Die viel besprochene positive Fehlerkultur würde dabei helfen.

Aber, Hand aufs Herz, was wird in den meisten Organisationen mit Karrierechancen und einer Gehaltserhöhung belohnt? Was sind die wirklichen Glaubenssätze der Organisation – unabhängig der vom Agile Coach durchgeführten Fuck-up-Sessions? Eine positive Lernkultur beinhaltet den offenen Umgang mit Lernfeldern sowie dem Vertrauen in die Mitarbeitenden, ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich bestmöglich einzusetzen, ob nun zum Arbeiten oder zum Lernen.

Von Fehlern lernen (Foto: Brett Jordan, Unsplash)

Daher bedingen sich die Kultur der Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit und eine fördernde Lernkultur gegenseitig. Das eine geht nicht ohne das andere. Führungskräfte können in dieser Lernkultur begleitend unterstützen und konstruktiv Feedback geben. Sie machen die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden möglich. In transformativen Gesprächen entwickeln sie mit den Mitarbeitenden Zukunftsszenarien und geben wichtige Impulse für die Entwicklung der Rolle und Person.

Netzwerke bieten schnellen Austausch zu Themen – beinahe so schnell, wie sie entstehen

Ein Netzwerk entwickelt sich organisch, in Echtzeit entsteht ein Austausch zu Themen, die in diesem Moment für die Community relevant sind. Ein gut gepflegtes Netzwerk bietet Zugang zu Wissen innerhalb und außerhalb der Organisation. Regelmäßiger Austausch und netzwerkbasiertes Lernen ist eine Antwort auf die dynamische Veränderung der Arbeitswelt in einer sich schnell verändernden Umwelt.

Lernen findet so auf verschiedenen Plattformen statt, persönlich und digital – über Kongresse und Business-Netzwerke wie LinkedIn. Um Social Media aber gut nutzen zu können, sind Grundkenntnisse über deren Algorithmen erforderlich, ebenso wie Mut den ersten Schritt zu machen, sowie Ausdauer bei der Pflege des Netzwerks.

Gemeinsames Lernen von- und miteinander. Von Kommunikationskompetenz und Teilen

Wesentlich für das gemeinsame Lernen ist das Verständnis, Teil eines großen Ganzen zu sein, in dem eine Ausgewogenheit von Geben und Nehmen besteht. Dies beinhaltet auch die Bereitschaft eigene Kenntnisse und Erfahrungen mit der Gemeinschaft zu teilen.

So erfordert Netzwerken auch ein hohes Maß an Kommunikationskompetenz, der Entwicklung vom Wissensarbeitenden zum Beziehungsarbeitenden. Frei nach dem Zitat von Steffen Kirchner: Menschen, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen aktiv in Netzwerke einbringen und teilen, sich gegenseitig beim Wachstum unterstützen, multiplizieren ihre wechselseitigen Erkenntnisse.

Gemeinsam lernen (Foto: Obradovic, iStock)

So ermöglicht Vernetzung über die Kooperation hinausgehende Kollaboration: Mitarbeitende, die „transparent“ sind und ihre Arbeit sichtbar machen, öffnen sich für Unterstützung durch andere, die frühzeitig wertvollen Input durch noch unbekannte Perspektiven liefern. So zerfließen die Grenzen zwischen aktivem Lernen und gemeinsamem Arbeiten.

Grundlage für ein solch aktives Netzwerken sind Eigenschaften wie Großzügigkeit, Offenheit, Wissbegier und die Bereitschaft seine Arbeit sichtbar zu machen. Diese lassen sich natürlich nicht einfordern, aber durch die Förderung von informellem Austausch anregen. Dazu können zum Beispiel Blind Lunches oder zugeloste virtuelle Kaffee-Sessions dienen.

Diese Art der Zusammenarbeit und Lernens im Netzwerk wird von wechselseitigem Vertrauen und somit schlussendlich von einem positiven Menschenbild getragen.

Quellen

Dieser Artikel ist inspiriert vom Austausch mit Katharina Krenz, WOL-Pionierin von der Robert-Bosch GmbH, und Christoph Bauer von collaboration lab, einem Vortrag von Anja Schmitz, Professorin für Personalmanagement an der Hochschule Pforzheim, dem Buch von Christiane Brandes „Netzwerk schlägt Hierarchie“ – und wahrscheinlich noch vielen anderen Mitgliedern meines Netzwerks. Vielen Dank euch allen!