Vor kurzem plauderte ich mit einem Personalmanager über einen Fusionsprozess, der sein Unternehmen sehr in Anspruch nahm. „Sie glauben nicht, was sich da abspielt“, klagte er. „Jahrelang predigen wir, wie ein einschneidender Veränderungsprozess zu gestalten ist. Und was machen wir im Personalbereich? Wir halten uns nicht an unsere eigenen Vorgaben! Wir kommunizieren nichts oder falsch, überlassen die Betroffenen ihrer Orientierungslosigkeit. Und dann installieren wir bei uns auch noch eine Doppelspitze, nur weil wir uns nicht entscheiden können. Für die anderen Unternehmensbereiche haben wir einen kriteriengestützten Selektionsprozess entwickelt und natürlich auch in unserer Governance- Funktion vorgegeben, mit dessen Hilfe möglichst objektiv jene Führungskräfte ausgewählt werden sollen, die weiterhin in Topfunktionen verbleiben.“ Kommen Ihnen solche Schilderungen bekannt vor?

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Foto von Sean Pollock

HR als Rollenmodell

HR-Organisationen stehen immer auf einem – manchmal wackeligen – Präsentierteller und müssen den Spagat zwischen Hoheits- und Dienstleistungsfunktion, zwischen Vorbild und Selbstbetroffenheit vollführen. Sie sind Experten für Führung und entwickeln in dieser Position Leadershipinstrumente und Managementsysteme. Sie wissen also, wie man Unternehmen professionell führt und steuert. Dennoch wenden HR-Manager ihr einschlägiges Expertenwissen manchmal nur unzureichend an. Die Gründe dafür sind zahlreich. So sind Personaler dem Druck eines emotional oft enorm anstrengenden Jobs ausgesetzt. Sie bewegen sich im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungshaltungen und laufen schnell Gefahr, sich darin aufzureiben. Das gilt besonders dann, wenn Einsparungen anstehen und das Personalmanagement Rationalisierungen vornehmen, Outsourcingprozesse begleiten, Gehälter kürzen und Stellen abbauen muss. Natürlich werden sie stellvertretend für die Entscheidungen der Unternehmensführung verantwortlich gemacht. Außerdem müssen sie ihre „ureigenste“ Arbeit immer mehr dezentralisieren, denn das, wofür man sie früher gebraucht und gelobt hat, die klassische Personalbetreuung, können sie beim besten Willen nicht mehr leisten. Die Hauptkunden der Personalabteilung sind nicht mehr alle Beschäftigten, sondern die Führungskräfte. Diese müssen jedoch nicht selten feststellen, dass mehr HR-Jobs an sie delegiert werden, als sie in Auftrag geben. Zugleich fällt es vielen Linienmanagern schwer, die neuen Rollen zu akzeptieren, mit denen sich HR profilieren soll. Als „Business-Partner“ oder „interne Berater“ sind sie oft noch nicht richtig akzeptiert, weil die Linie ihnen die Funktion als „interne Externe“ aus Angst vor möglicher Einmischung nicht zugestehen will. In diesem schwierigen Umfeld, das den Personalmanagern Standing und starke emotionale innere Sicherheit abverlangt, ist es ihnen oft nur schwer möglich, sich auf die Führung des eigenen Bereichs zu konzentrieren. Das ist wie beim Schuster mit den schiefen Sohlen.

Hinzu kommt, dass sich Personalmanager manchmal nur mühsam von ihrer Expertise für HR, Personal- oder Organisationsentwicklung lösen können, um sich mit größerer Intensität dem Führen ihres eigenen Bereichs zu widmen. Das hat zur Folge, dass die Personalleiter selbst mit großem Engagement diverse Projekte begleiten, statt die Verantwortung an ihre Mitarbeiter abzutreten. Viele HR-Verantwortliche nehmen die eigenen Führungsaufgaben somit nicht ausreichend wahr.

Ein Beispiel dazu. Ein Personalbereich sollte ein neues System für Mitarbeitergespräche entwickeln und einführen. Ein Element des neuen Systems war die ausführliche Vorbereitung der Mitarbeiter und Vorgesetzten anhand eines Leitfadens. Der Personalchef hatte kurzerhand entschieden, die Vorbereitung im eigenen Bereich nicht so ausführlich zu halten, weil ohnedies jeder HR-Mitarbeiter das neue System kenne und viele an seiner Entwicklung beteiligt waren. So wurden weder die Vorgesetzten noch die Mitarbeiter der Personalabteilung auf die erste Gesprächsrunde vorbereitet. Auch die laut System zu veranschlagende Gesprächszeit reduzierte der Vorgesetzte auf die Hälfte. Denn er wollte Ressourcen sparen für die zahlreichen anstehenden Projekte, unter anderem für die Einführung des neuen Mitarbeitergesprächs in den übrigen Unternehmensbereichen. Doch die Einführung endete nicht erfolgreich. Nachdem der in diesem Unternehmen auch im Personalbereich sehr starke Betriebsrat eingeschaltet worden war, musste HR rund 80 Prozent der Gespräche wiederholen, weil sich die Mitarbeiter beschwert hatten, dass die Führungskräfte sie in der knappen Zeit überfahren hätten.

Personalmanager prägen in ihrer Rolle als Führungskräfte das organisationsweite Verständnis von Führung in ganz besonderer Weise. Was der Organisationstheoretiker Ed Schein über die Bedeutung der Führungskräfte für die Unternehmenskultur sagte, gilt auch für Personalmanager als Kokreatoren von Führung im Unternehmen: Alles, was sie tun oder unterlassen, wird registriert, und sie werden daran – zu Recht – gemessen. Im schlimmsten Fall bringen die Führungskräfte des Unternehmens ein von HR mühevoll entwickeltes Leadershipinstrument zum Kippen, weil die Personaler es selbst nicht professionell anwenden. So lässt sich folgern, dass Führungskräfte aus dem Human Resource Management Rollenmodelle für Führung sind. Sie sind Identifikationsflächen, an denen sich die anderen Führungskräfte reiben und orientieren möchten.

Empfehlungen für die Praxis

Welche Empfehlungen sind daraus abzuleiten? Zum einen müssen sich Führungskräfte aus HR-Abteilungen „der Kultur bewusst sein, die sie erschaffen“ (Schein 2009). Sie sollten „ihr bestes Leuchtturm-Projekt sein und ihre eigenen Prinzipien leben.“ (Kreuzer 2010). Außerdem sollten sie den Mut aufbringen, die reine Expertenrolle abzustreifen und Führungsverantwortung wahrzunehmen. Stellen Sie sich selbst regelmäßig die Gewissensfrage: „Muss ich der Experte sein und als solcher im Unternehmen auftreten oder sollte ich mir mehr Zeit für das Führen meiner HR-Experten reservieren?“

Haben Sie sich für das Führen entschieden, taucht meist die Frage nach dem „Wie“ auf. Hier lauert die nächste Gefahr. Viele HR-Manager gönnen sich keine Unterstützung von außen, weil sie selbst Führungsprofis sind. Unter uns: Kennen Sie einen Zahnarzt, der sich selbst die Zähne bohrt? Nein? Nun, dann leisten Sie sich für die anstehende Teamentwicklung einen Moderator, anstatt sie selbst zu leiten. Verzichten Sie nicht darauf, Ihren eigenen Vorgesetzten in die Führungsverantwortung zu nehmen – auch wenn er möglicherweise wenig Zeit mitbringt und sich bereits weit von der operativen Führungsarbeit entfernt hat. Nehmen Sie zum Beispiel keinen Auftrag von ihm an, ohne diesen ausführlich zu klären. Lassen Sie ihn am Beginn einer Teamentwicklung seine Ziele und Erwartungen an Ihr Team formulieren. Treten Sie dann in einen Verhandlungsprozess mit ihm ein, statt einfach nur Anordnungen entgegenzunehmen. Außerdem sollten Sie für sich selbst in Anspruch nehmen, was Sie Ihren Kunden empfehlen und vermitteln: regelmäßiges Coaching und Supervision. Denn im eigenen Wald sehen auch professionelle Förster manchmal die Bäume nicht mehr so genau.

Schließlich sei noch vor einer besonderen Verführungsmöglichkeit gewarnt, für die HRProfis bekanntlich empfänglich sind: Halten Sie sich nicht allzu lange mit Selbstreflexionen auf, sondern handeln Sie stattdessen. Das heißt auch: Analysieren Sie nicht Ihre Rolle als HR-Champion, sondern seien Sie es!

HR und Leadership

Welchen Beitrag leistet HR, um Führung im Unternehmen nachhaltig zum Leben zu erwecken und zu halten? Wie können Sie Ihren wertebasierten Führungsstil durchgängig so in der Organisation verankern, dass die Mitarbeiter ihn wahrnehmen und entsprechend handeln? Wenn Sie die oben beschriebene Rolle als Kokreator von Führungskultur im Unternehmen umsetzen, haben Sie im Wesentlichen folgende Aufgaben:

1. Sie „ver-instrumentalisieren“ Führung als Methodenexperte, indem Sie Systeme und Instrumente entwickeln sowie Roadmaps für die Umsetzung entwerfen.

Die Roadmap zur Einführung einer neuen Vorgesetztenbeurteilung sah in einem von mir betreuten Unternehmen zum Beispiel so aus: Nachdem das Projektteam die Arbeit abgeschlossen hatte, organisierte HR Workshops für alle Führungskräfte, um sie mit dem Instrument vertraut zu machen. Es folgten Informationsveranstaltungen für die Mitarbeiter. Im nächsten Schritt schickte die Personalabteilung die Beurteilungsbögen an die Mitarbeiter – und auch die Vorgesetzten erhielten die Bögen, damit sie sich auf die Befragung einstimmen konnten. HR wertete die Beurteilungen aus. Anschließend moderierte die Personalabteilung Rückmeldeworkshops in jedem Team. Darin konnten die Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern die anonymisierten Beurteilungsergebnisse besprechen und weitere Schritte ableiten.

2. Sie definieren Kriterien und Richtlinien für gute Führungsarbeit, die Sie empfehlen oder – je nach Rolle – vorgeben.

Immer mehr Unternehmen entscheiden sich dafür, das „Führungsverhalten“ zu einem Kriterium der Führungskräftebeurteilung zu machen. In der Regel hat HR dabei die Rolle als „Systemwart“ und Berater. So hilft die Personalabteilung dem jeweiligen Vorgesetzten dabei, die Entwicklung einer Führungskraft anzustoßen, wenn diese noch nicht den Anforderungen gerecht wird, welche die Führungskompetenzen beschreiben.

3. Sie schaffen Führungsstrukturen im Unternehmen, indem sie die Regeln von Kommunikation, Kooperation und Entscheidung realer Teams unter die Lupe nehmen.

Ein Beispiel: Ein Abteilungsleiter lud einen Kollegen und mich ein, einen Prozess zur Entwicklung eines zukunftsorientierten Führungsverständnisses mit allen seinen Führungskräften aufzusetzen. Gemeinsam mit zwei internen Beraterkollegen aus dem HR-Bereich gestalteten wir folgende Prozessschritte: Als Auftaktveranstaltung fand ein Managementworkshop mit dem Abteilungsleiter und seinen Gruppenleitern statt, in welchem die Führungsrichtlinien des Unternehmens auf die Gesamtabteilung heruntergebrochen wurden. Es folgte eine Workshopreihe für jeden Gruppenleiter mit seinen Teamleitern, in der die Anregungen des Managementteams für die besonderen Bedingungen der jeweiligen Gruppe übersetzt und Handlungsempfehlungen für die Subteams erarbeitet wurden. Anschließend fanden in jedem Subteam Teamentwicklungen statt, die von den internen Kollegen aus HR moderiert wurden. Darin konkretisierten die Teammitglieder, wie die schon aufbereiteten Führungsgrundsätze im eigenen Team ganz konkret zu leben sind. Zum Beispiel: Welche Entscheidungen fällt der Teamleiter, welche die Mitarbeiter allein und welche werden gemeinsam getroffen?

4. Sie entwickeln Lernangebote für (Nachwuchs-)Führungskräfte.

Diese reichen von Einzeltrainings über umfangreiche Entwicklungsprogramme bis hin zu Coachings.

5. Sie unterstützen Netzwerktreffen und bieten Begegnungsplattformen für Führungskräfte der unterschiedlichen Ebenen an.

Dazu gehören zum Beispiel Großgruppenveranstaltungen für Absolventen einer Führungskräfteentwicklung, Blogs im Intranet für Manager, jährlich stattfindende Führungswerkstätten, die Sie unter ein Generalthema stellen, oder eine „Top- Plattform“ für die erste Berichtsebene, die einmal im Quartal für drei Stunden ausgetragen wird – mit externen Referenten oder eigenen Beiträgen der Zielgruppe.

6. Sie sind im weitesten Sinn als „Führungsentwickler“ tätig, indem Sie als Prozessbegleiter „Metareflexionen zum Stand der Führung“ anregen und methodisch unterstützen.

Das geschieht zum Beispiel in Team- und Bereichsentwicklungen oder Veränderungsprozessen. Eine Skalierungsfrage aus einer Teamentwicklung könnte zum Beispiel lauten: „Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie schätze ich den Stand der Arbeitsfähigkeit in unserem Team ein?“ Alle Teammitglieder inklusive Leiter geben ihre Bewertung ab, begründen diese und beschreiben, was sie bräuchten, um ein Stück höher auf der Skala zu kommen. Anschließend wird besprochen, wer künftig was tut oder auch nicht mehr tut und welche Unterstützung speziell durch die Führungskraft gewünscht wird.

7. Sie sind professioneller Berater in Führungsangelegenheiten, indem Sie Coachings oder Beratungsgespräche zur gesamten Palette der HR-Themen anbieten.

Ihre internen Kunden können mit unterschiedlichen Fragen zu Ihnen kommen. Einige Beispiele: „Wie gehe ich als Führungskraft mit Mitarbeitern um, die ihre Leistung nicht bringen und durch ihr Verhalten das gesamte Team demotivieren?“, „Was muss ich tun, wenn ich erkenne, dass ein Mitarbeiter ein Alkoholproblem hat?“, „Wie reagiere ich darauf, dass ein Mitarbeiter an bestimmten Wochentagen häufig krank ist?“ oder „Wie vermittle ich einem Mitarbeiter, dass er sich selbst viel zu gut einschätzt und einen Karriereschritt einfordert, den er aus meiner Sicht nicht leisten kann?“

Fazit

Das Führungsfeld, auf dem sich die Personalmanagerinnen und -manager bewegen müssen, ist also weit gesteckt. Einerseits warten viele anregende Betätigungsfelder auf HRProfis, die Leadership im Unternehmen verankern möchten. Andererseits besteht die große Kunst darin, sich nicht in der Fülle zu verzetteln. Wenn sich Personalchefs bewusst sind, dass sie das HR-Kürprogramm nur gemeinsam mit den eigenen HR-Experten gestalten können, wenn sie sich also selbst für das Führen der eigenen Abteilung entscheiden und ihre Mitarbeiter machen lassen, wird daraus professionelle, wertstiftende HR-Arbeit für das gesamte Unternehmen erwachsen.

Literaturtipps

Wie Sie HR als attraktiven Partner des Business positionieren.

Von Ingrid Kreuzer, in: Führung Leben. Praktische Theorie – praktische Beispiele – praktische Tipps.

Herausgegeben von Conecta. Carl-Auer Verlag 2010.

Führung und Veränderungsmanagement.

Von Edgar Schein. EHP-Verlag 2009.

Quelle: personal manager 4/2010