Problempunkt

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Foto von William Iven

Die Arbeitgeberin ist ein Pharmaunternehmen. Sie ist Mitglied im Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“ (FS), der einen Verhaltenskodex für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten, Apothekern etc. aufgestellt hat. Im Unternehmen existieren zudem fi rmeninterne Compliance- Richtlinien.

Der 1960 geborene, geschiedene Mitarbeiter ist als Pharmareferent beschäftigt. Die Compliance- Richtlinien waren ihm aufgrund einer E-Mail bekannt. Er reichte betreffend einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte zum Ausgleich die Rechnung einer Agentur über 2.174 Euro, die Rechnung eines Hotels über Bewirtungskosten i. H. v. 92 Euro sowie als Anlage eine Teilnehmerliste mit neun namentlich benannten Ärzten und sich selbst als Teilnehmer ein. Daraufhin kündigte ihm das Unternehmen fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der Kläger hatte entgegen den Compliance-Richtlinien auch die Partnerinnen der Ärzte eingeladen und ein Rahmenprogramm mit einer Rheinschifffahrt angeboten.

Das Arbeitsgericht hielt zwar nicht die fristlose, wohl aber die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung für gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers verstieß sowohl gegen die Richtlinie als auch den Verhaltenskodex des FS. Außerdem trug der Kläger im Vorfeld der Kündigung nicht zur Aufklärung des Sachverhalts bei, sondern versuchte, diesen zu verschleiern.

Entscheidung

Das LAG hielt die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung ebenfalls für sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG. Der Kläger hatte eine schwere Vertragspfl ichtverletzung begangen. An der von ihm organisierten Ärztefortbildung mit Rahmenprogramm nahmen nur fünf Ärzte, davon vier mit fachfremder weiblicher Begleitung teil. Er legte bei der Beklagten eine sachlich unzutreffende Teilnehmerliste vor: Von den neun namentlich benannten Ärzten nahmen vier an der Veranstaltung überhaupt nicht teil. Ein weiterer übernachtete nicht im Hotel. Gegen die Compliance-Richtlinien verstieß der Kläger daher, indem er

  • für die Beklagte eine als Fortbildung bezeichnete Veranstaltung organisierte und durchführte, an der nicht nur Angehörige der Fachkreise teilnahmen, sondern auch deren Begleitpersonen,
  • ein fachfremdes Rahmenprogramm mit Freizeitwert gewährte und
  • die Anwesenheit der Teilnehmer und den durchgeführten Programmablauf nicht ordnungsgemäß dokumentierte.

Unabhängig davon besteht ohnehin die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, bei Spesenbelegen zu Abrechnungszwecken zutreffende Angaben zum Verwendungszweck zu machen und als Teilnehmer von Fortbildungsveranstaltungen nur Personen aufzuführen, die tatsächlich anwesend waren.

Eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung schied auch nicht deshalb aus, weil die Beklagte mit dem Verhalten des Klägers einverstanden gewesen wäre. Ebenso wenig konnte der Kläger irrtümlich hiervon ausgehen, was er auch nicht tat. Daher lag kein Verbotsirrtum vor. Er hatte nicht konkret vorgetragen, wie die Geschäftsführung subjektive Kenntnis von derartigen Verstößen gehabt und diese geduldet, gebilligt oder gar gefördert habe. Insoweit äußerte er nur Vermutungen „ins Blaue“ hinein. Darüber ist weder Beweis zu erheben noch sind sie von der Beklagten zu widerlegen, die grundsätzlich die Beweislast dafür trägt, einen Rechtfertigungsgrund zu widerlegen (BAG, Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, RzK I 6a Nr. 82). Der Kläger erkundigte sich nicht wegen Zweifelsfragen oder nach der Verbindlichkeit der Compliance-Richtlinie. Auch seinen Vorgesetzten hatte er weder unterrichtet noch war dieser hiermit einverstanden und hatte das Vorgehen genehmigt.

Einer vorherigen einschlägigen Abmahnung bedurfte es angesichts der Schwere des Pflichtverstoßes nicht. Die Rechtswidrigkeit war dem Kläger bekannt. Er konnte auch nicht damit rechnen, dass die Beklagte den Verstoß hinnimmt. Zudem versuchte er, ihn zu verschleiern, indem er eine sachlich unzutreffende Teilnehmerliste vorlegte und die Beklagte durch unwahre Angaben täuschte. Diese hatte ihm verbindlich und ernsthaft aufgegeben, die Compliance- Richtlinie einzuhalten, und er missachtete sie dennoch.

Trotz der Sozialdaten und des bislang beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses ging die Interessenabwägung zulasten des Klägers aus. Es stand zu befürchten, dass er auch weiterhin im Interesse der Steigerung seiner Absatzzahlen Weisungen missachten und gegen Vorgaben der Compliance-Richtlinie verstoßen würde. Dadurch könnte er die Beklagte in die Gefahr von Sanktionen durch den FS bringen. Außerdem würde er sie der Rufschädigung im Zusammenhang mit dem sensiblen und medienwirksamen Bereich der unlauteren Vorteilsgewährung an Mitglieder der ärztlichen Berufe zur Absatzförderung ihrer pharmazeutischen Produkte aussetzen.

Konsequenzen

Compliance gewinnt zunehmend an Bedeutung im Arbeitsleben, sowohl als Unternehmenswert als auch bei der rechtlichen Umsetzung. Die Entscheidung belegt die Bedeutung von Compliance-Richtlinien, ihre Verbindlichkeit und welche erheblichen Folgen Verstöße haben können. Einen bewussten, ungerechtfertigten, schweren Verstoß darf der Arbeitgeber mit einer verhaltensbedingten Kündigung ahnden. Die Compliance-Richtlinie kann den Arbeitnehmer „bösgläubig“ und eine vorherige Abmahnung entbehrlich machen.

Praxistipp

Arbeitgeber sollten Compliance-Richtlinien veröffentlichen und allen Arbeitnehmern bekannt geben (Zugangsnachweis bzw. dokumentierte Schulungen). Aus ihrem Inhalt muss sich ergeben, dass sie verbindlich sind. Bekannte Verstöße darf das Unternehmen nicht dulden.

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 10/11