Problempunkt

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Die Mitarbeiterin ist im Leipziger Betrieb eines großen Versandhauses als Lager- und Versandarbeiterin beschäftigt. Sie erledigt überwiegend Packarbeiten. Jährlich verlassen ca. 20 Millionen Sendungen das Lager. Mithilfe eines EDVgestützten Erfassungssystems hält die Firma drei Fehlerarten fest:

  • unvollständige Sendung durch fehlendes Warenstück,
  • Kundenverwechslung, indem mindestens ein falsches Warenstück zugeteilt wurde und damit mindestens zwei Sendungen fehlerhaft waren,
  • Sendungsverwechslung durch Vertauschen der Versandaufkleber.

Für die Zeiten, in denen die Arbeitnehmerin mit der Abarbeitung von Aufträgen beschäftigt war, hat das Unternehmen folgende Fehlerquoten festgestellt:

  • 1. Quartal 2003: 4,26‰,
  • 2. Quartal 2003: 5,44‰,
  • 1. Quartal 2004: 4,98‰,
  • 3. Quartal 2004: 4,01‰.

Im letztgenannten Zeitraum betrug die durchschnittliche Fehlerquote der mehr als 200 Kollegen im Sortenversand 1,34‰. Wegen der Packfehler im 1. und 2. Quartal 2003 und im 1. Quartal 2004 erhielt die Versandarbeiterin jeweils eine Abmahnung. Aufgrund der Fehlerquote im 3. Quartal 2004 kündigte ihr die Firma ordentlich zum 31.3.2005.

In erster und zweiter Instanz (Sächsisches LAG, Urt. v. 7.4.2006 – 3 Sa 425/05, vgl. AuA 1/07, S. 56 f.) war die Mitarbeiterin mit ihrer Kündigungsschutzklage erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hielt die Beendigungskündigung im Wesentlichen aus zwei Gründen für unwirksam: Zum einen sei ihre im Promillebereich liegende Fehlerquote unerheblich. Zum anderen hätte der Arbeitgeber als mildere Maßnahme eine Änderungskündigung mit einem geringeren Lohn aussprechen können.

Entscheidung

Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hob das Urteil des Sächsischen LAG auf und verwies die Sache dorthin zurück. In den Gründen wiederholt er zunächst die im Urteil vom 11.12.2003 (2 AZR 667/02, vgl. AuA 2/04, S. 44 f.) aufgestellten Grundsätze zur Kündigung wegen Minderleistung. Sodann tritt er der Auffassung des LAG entgegen, die Fehlerquote der Klägerin sei nicht erheblich. Die Quote ist zwar nach Auffassung der Richter als absoluter Wert ungeeignet. Eine gegenüber dem Abteilungsdurchschnitt dreifach höherer Fehleranteil ist aber als ein „deutlicher Anhaltspunkt für ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten“ der Mitarbeiterin einzustufen.

Zur Alternative „Änderungskündigung“ meint der Senat, das LAG verkennt hier, dass in Fällen einer qualitativen Schlechtleistung eine Entgeltreduzierung kaum geeignet ist, eine rechtssichere Handhabung zu gewährleisten. Das LAG legt auch nicht dar, in welchem Umfang durch eine Änderungskündigung die Vergütung der Versandarbeiterin herabgesetzt werden soll. Eine Änderungskündigung wäre zudem wohl unverhältnismäßig, weil der geringe Umfang der Gehaltsreduzierung eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen würde.

Konsequenzen

Die Entscheidung ist – über den vorliegenden Fall hinaus – aus zwei Gründen bedeutsam für die Praxis: Der 2. Senat präzisiert in dem Urteil, wie die zur Darstellung der Minderleistung des Beschäftigten heranzuziehende Vergleichsgruppe abzugrenzen ist. Sodann sagt er sehr deutlich, dass der Arbeitgeber zusätzlich zu den Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung vortragen muss.

Die nach der Rechtsprechung des BAG als Vergleichsmaßstab geeignete Durchschnittsleistung vergleichbarer Kollegen ist so wichtig, weil sie – obwohl sie nicht als „Soll-Leistung“ definiert werden kann – einen objektiven Wert darstellt. Da hiervon für den leistungsschwachen Mitarbeiter eine „Gefahr“ ausgeht, gibt es immer wieder Versuche, diesen Wert durch Begrenzung der Vergleichsgruppe zu senken (dann ist die Differenz zur Leistung des gekündigten Arbeitnehmers geringer!). So hat in dem der Entscheidung des BAG vom 11.12.2003 (a.a.O.) zugrunde liegenden Fall das LAG Hamm, nachdem das BAG die Sache zurückverwiesen hatte, der Kündigungsschutzklage erneut stattgegeben. Zur Begründung führte es u.a. aus, die vom Arbeitgeber angegebene Durchschnittsleistung der Kollegen könne jedenfalls bei körperlichen Arbeiten grundsätzlich nur für Gleichaltrige bzw. Angehörige der gleichen Altersstufe als Vergleichsmaßstab herangezogen werden (Urt. v. 1.2.2005 – 19 (11) Sa 1167/01, BB 2005, S. 2245).

Praxistipp

Auf der Seminarveranstaltung einer überörtlichen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, auf der u.a. das Thema „Kündigung wegen Minderleistung“ auf dem Programm stand, trug die Referentin hierzu vor, die vergleichbaren Kollegen müssten „Normalleister“ sein (dieser Hinweis findet sich auch in der Seminarunterlage). Das würde bedeuten, sowohl die Spitzenleute als auch die Schlusslichter wären aus der Vergleichsgruppe zu eliminieren. Es ist deshalb sehr wichtig, dass der 2. Senat betont: Es kommt auf den Durchschnitt aller(!) mit vergleichbaren Arbeiten beschäftigten Mitarbeiter an. Mit ausreichendem Vortrag hierzu hat der Arbeitgeber aber seiner Darlegungslast noch nicht genügt.

Er muss auch Ausführungen

  • zur tatsächlichen Fehlerhaftigkeit,
  • zur Art und Schwere der Fehler und vor allem
  • zu den Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung machen, im vorliegenden Fall etwa Kundenreklamationen, Kosten der Reklamationsbearbeitung, Kundenverlust, Imageschaden u.a.m.

Dr. Wolf Hunold,

Unternehmensberater, Neuss

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht – Personal Profi – 9/08