Was damit gemeint ist? Der Tsunami Weihnachten 2004 im Indischen Ozean gilt mit mehr als 230.000 Toten als die größte Naturkatastrophe der Neuzeit. Er war die Folge eines sehr starken Seebebens. Kein noch so ausgefeiltes Krisenmanagement hätte die Auswirkungen der „Großen Welle“, verhindern können. Aber das Risiko selbst, dass nämlich die Bewegungen der indisch-australischen und eurasischen Platten jederzeit ein Beben mit der Folge eines Tsunami auslösen könnten, war bekannt. Angesichts dieser Gefahrenlage kein Frühwarnsystem zu installieren (wie es jetzt eingerichtet wurde), beinhaltete die logische Konsequenz, eine (mögliche) Krise mit ihren dramatischen Folgen für die Menschen etwa in Indien, Sri Lanka, Thailand und Indonesien einzukalkulieren.

man sitting near window holding phone and laptop
Foto von bruce mars

Auch wer sich Politik- und Unternehmenskrisen genauer anschaut

  • Ausspionieren bei Telekom und Bahn, Spendenaffäre der CDU, Finanzskandale bei Enron, Xerox und Worldcom, Korruption bei Siemens
  • wird auf das bewusst eingegangene oder falsch eingeschätzte Risiko stoßen, dessen Folge die dann je nach Gemütslage bejammerte oder schadenfroh belächelte Krise ist.

Wer immer auch bei der Telekom einmal die Entscheidung traf, Journalisten und Aufsichtsräte auszuhorchen, ist das Risiko eingegangen, dass ein Bekanntwerden dieses Vorgehens eine massive (Vertrauens-)Krise auslösen würde. Ein in dieser Situation befragter (Krisen-)Kommunikator hätte ihm mit simpler Szenariotechnik demonstrieren können, wie unwahrscheinlich es war, ein Bekanntwerden vermeiden zu können.

Das Problem in vielen Organisationen ist nur: (Krisen-)Kommunikatoren werden in dieser Phase der risikobehafteten Entscheidungsfindung nicht gefragt. Sie müssen sich darauf beschränken, eingetretene Krisen zu kommentieren und ihre Folgen kleinzureden. Weil man die Krise als naturgegeben, als von außen oder medial gesteuert und als in jeder Hinsicht unverhofft definiert, nicht aber das sie verursachende Risiko einbezieht, erwächst eine Fehlallokation der Kräfte: Organisationen jeglicher Couleur und ihre Ratgeber konzentrieren sich auf die korrekte öffentliche Kommunikation in der Krise und vernachlässigen die offene interne Kommunikation über die (mögliche) Krise. Doch wer Programme, Maßnahmen und Verhaltensregeln zur Krisenintervention auflegt und die Krisenprävention vernachlässigt, macht den zweiten Schritt vor dem ersten – und minimiert das Risiko nicht.

Der Prozess von Risikoanalyse und -management hat vier Stufen:

  • DieRisikopotenziale müssen breitestmöglich identifiziert werden.
  • Sie müssen nach festgelegten und eindeutigen Kriterien (Wahrscheinlichkeit und Folgen) bewertet und in Kategorien eingeteilt werden.
  • Die Risikoursachen müssen vorurteilsfrei und ohne Scheuklappen analysiert werden.
  • Für jedes identifizierte und analysierte Risiko muss entschieden werden, ob es vermieden, vermindert oder abgewälzt werden kann und welches Restrisiko bleibt.

Alle identifizierten Risiken werden mit der für sie gefundenen Lösung und mit Lösungsalternativen dokumentiert. Für das verbleibende Risikopotenzial werden Handlungsszenarien entwickelt, trainiert und kommuniziert. Ein Monitoringsystem legt fest,

  • welche krisenindizierenden Signale von wem beobachtet werden,
  • welche (Interventions-)Toleranzen bei der Krisenprävention eingeräumt werden,
  • welche kontinuierlichen Berichtspflichten an wen bestehen,
  • welche Gegenmaßnahmen wann und vom wem ergriffen werden.

Gibt es dann das als Risiko identifizierte Seebeben, verhindert diese Arbeit nicht den Tsunami, aber das Frühwarnsystem meldet die Signale, die gewonnene Zeit ermöglicht die Evakuierung, der Notfallplan lässt diese geordnet ablaufen und die trainierten Gegenmaßnahmen helfen, die Folgen einzudämmen. Die Krise bleibt eine Krise, aber sie ist beherrschbarer geworden.

Quelle: PERSONAL – Heft 03/2009