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Foto von Beatriz Pérez Moya

ENTSCHEIDUNG


Das LAG München entsprach dem Unterlassungsantrag des Betriebsrates, soweit es um die Krankenrückkehrgespräche geht. Deren Durchführung ist mitbestimmungspflichtiges Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Das LAG folgte damit dem BAG, das ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Führung formalisierter Krankengespräche zur Aufklärung eines überdurchschnittlichen Krankenstands mit einer nach abstrakten Kriterien ermittelten Mehrzahl von Arbeitnehmern gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bejaht (BAG, Beschl. v. 8.11.1994 – 1 ABR 22/94, NZA 1995, S. 857). Krankenrückkehrgespräche führen aufgrund des Gesprächsgegenstands – nämlich der Frage nach Krankheiten und ihren Ursachen – zu einer beson – deren Schutzbedürftigkeit der Beschäftigten. Hierdurch werden ihre Privatsphäre und ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht berührt, und zwar in einer Situation, in der sie sich zur Beantwortung der Fragen unter Druck gesetzt fühlen.

Dienen die Krankenrückkehrgespräche der Vorbereitung konkreter Personalmaßnahmen – wie einer Kündigung – macht der Mitarbeiter möglicherweise Angaben zu seinem Krankheitszustand, zu denen er nach der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess nicht verpflichtet wäre. Kriterium war, dass die Durchführung der Gespräche eine Auswahl der Arbeitnehmer nach abstrakten Regeln voraussetzt. Denn Ziel des Unternehmens war es, Informationen über Krankheitsursachen zu erhalten, die sowohl zur Beseitigung arbeitsplatzspezifischer Einflüsse als auch zur Vorbereitung individualrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Kündigung dienen. Auch rein einzelfallbezogene Gespräche unterliegen dem Mitbestimmungsrecht. Dann wäre die Auswahl der Beschäftigten willkürlich: Während der eine bereits dem Druck eines Krankenrückkehrgesprächs ausgesetzt wäre, wenn er drei Arbeitstage arbeitsunfähig fehlte, könnte ein anderer diesem Gespräch bei längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten entgehen. Eine solche Praxis widerspräche dem Gerechtigkeitsgedanken, der Grundprinzip der in § 87 Abs. 1 BetrVG katalogisierten Mitbestimmungsrechte ist.

Zudem wurde ein Formular „Mitarbeitergespräch“ genutzt, das Inhalt und Ziel des Gesprächs sowie eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer beinhaltet. Dagegen verneinte das LAG ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf das Führen der Anund Abwesenheitslisten. Das Ordnungsverhalten der Mitarbeiter wird dadurch nicht betroffen. Die Arbeitgeberin verfügt ohnehin über die dort zusammengefassten neutralen Informationen. Die Gefahr, zu einem Krankenrückkehrgespräch wegen Fehlzeiten herangezogen zu werden, besteht damit unabhängig von dem Führen dieser Listen. Die Rechtsbeschwerde lies das LAG zu.

PROBLEMPUNKT

Die beklagte Arbeitgeberin ist ein bundesweites Unternehmen des Mode-Einzelhandels. In der Filiale in M besteht ein Betriebsrat. Dort führt die Arbeitgeberin für jeden Arbeitnehmer sog. An- und Abwesenheitslisten. Dabei handelt es sich um formularmäßige Jahresübersichten, in denen handschriftlich für jeden einzelnen Arbeitstag eingetragen wird, ob

… der betreffende Mitarbeiter mit
    welchen Arbeitszeiten gearbeitet hat,
… ihm Urlaub gewährt worden ist,
… er krankheitsbedingt gefehlt oder
… er kranke Kinder betreut hat.

Das Formular wird von dem Kassenverantwortlichen ausgefüllt und von der Filialleitung unter Verschluss aufbewahrt. Darüber hinaus führt die Arbeitgeberin „Welcome-Back-Gespräche“, u. a. bei krankheitsbedingter Abwesenheit, aber auch bei Rückkehr aus längerem Urlaub oder Elternzeit. Dies betrifft sowohl Beschäftigte mit auffälligen und hohen Ausfallzeiten als auch solche, die eine geringe Fehlquote haben. Die Gespräche dienen auch dazu, herauszufinden, ob ein Mitarbeiter ggf. Probleme hat und wie das Unternehmen hierbei helfen kann.

Zudem dienen die Dialoge zur Vorbereitung evtl. individualrechtlicher Bewertungen, um

… eine Information über die Fehlzeiten zu bekommen,
… eventuelle Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen oder
… um bei besonders langen Fehlzeiten individualrechtliche Folgemaßnahmen
    in Gestalt einer Versetzung oder – ggf. – personenbedingten Kündigung zu erwägen.

Der bei der Arbeitgeberin tätige Betriebsrat M macht Mitbestimmungsrechte sowohl in Bezug auf die Erfassung der Listen als auch in Bezug auf die „WelcomeBack-Gespräche“ geltend. Er verlangt die Unterlassung der Erfassung und Durchführung der Gespräche bis er seine Zustimmung erteilt hat bzw. eine Einigungsstelle diese wirksam ersetzt hat sowie die Vernichtung der erstellten Formulare bzw. deren Herausgabe an die betroffenen Beschäftigten.

KONSEQUENZEN

Gespräche mit Beschäftigten im Zusammenhang mit krankheitsbedingten Fehlzeiten und betrieblichem Eingliederungsmanagement (BEM, § 84 Abs. 2 SGB IX) sind ein wichtiges Instrument, um Ursachen zu erkennen, an Lösungen zu arbeiten und ein Kernelement betrieblichen Gesundheitsmanagements. Im Koalitionsvertrag 2013 ist unter „Ganzheitlicher Arbeitsschutz“ (S. 70) angekündigt, das BEM zu stärken und mehr Verbindlichkeit erreichen zu wollen – ohne Gespräche ist das unmöglich. Die Mitbestimmungspflicht von Krankenrückkehrgesprächen (dafür: Fitting, § 87 BetrVG Rdnr. 71; dagegen: Richardi § 87 BetrVG Rdnr. 192) wie auch beim BEM (vgl. Stück, AuA 4/13, S. 210 ff.) ist umstritten. Die Rechtsprechung bejaht die Mitbestimmung jedoch, weil nicht unmittelbar das – mitbestimmungsfreie – Arbeitsleistungsverhalten betroffen ist, sondern es um das Gesprächsverhalten an sich geht. Fragen nach den Krankheitsursachen betreffen nicht das Arbeitsverhalten und das Erkennen evtl. arbeitsplatzspezifischer Einflüsse, sondern sind eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die dem betrieblichen Ordnungsverhalten i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zuzurechnen sind.

PRAXISTIPP

Arbeitgeber in Betrieben mit Betriebsrat benötigen dessen Zustimmung bzw. deren Ersetzung durch eine Einigungsstelle, wenn sie allgemeinkollektiv Krankenrückkehrgespräche führen wollen, die standardisiert (z. B. Zeitpunkt, Kriterien) und formalisiert (etwa Fragenkatalog, Erfassungsbogen) sind.

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Fotocredit:
Ligamenta Wirbelsäulenzentrum | www.pixelio.de

Quelle:
Arbeit und Arbeitsrecht | 3/2015 | www.arbeit-und-arbeitsrecht.de