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KONSEQUENZEN

Mit der Bekräftigung seiner bisherigen Rechtsprechung hat das BAG die Position des Arbeitgebers in Zeugnisrechtsstreitigkeiten gestärkt. Gefälligkeitszeugnisse sind zwar gerade in Aufhebungsverträgen und Vergleichen vor dem ArbG weit verbreitet, der Arbeitnehmer hat aber keinen automatischen Anspruch auf eine gute Beurteilung. Sein Anspruch richtet sich auf ein wohlwollendes und wahres Zeugnis. Dafür ist die Note „befriedigend“ prinzipiell ausreichend. Das Unternehmen ist dabei nicht verpflichtet, Leistungen besser zu beurteilen, als sie nach seiner Einschätzung waren, nur weil „gute“ oder „sehr gute“ Zeugnisbewertungen in einer Branche mittlerweile üblich sein mögen. 

PRAXISTIPP

Will der Mitarbeiter eine bessere Einschätzung als „befriedigend“, so muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und ggf. beweisen. Die Darlegung dieses überdurchschnittlichen Verhaltens wird ihm i. d. R. allerdings nur schwer möglich sein, vor allem wenn keine entsprechenden Zwischenzeugnisse vorliegen oder eine 100%-Zielerreichung dokumentiert ist. Erst wenn der Beschäftigte diese Umstände darlegt und unter Beweis stellt, liegt es am Arbeitgeber, die Umstände zu entkräften. Dieser sollte insbesondere im Rahmen von turnusmäßigen Beurteilungen wie Zielerreichungsgesprächen darauf achten, eine realistische Einschätzung der Leistung des Arbeitnehmers vorzunehmen, um in einem späteren Rechtsstreit keine Angriffsfläche zu bieten. Unternehmen sind daran gehalten, nicht bedenkenlos Gefälligkeitszeugnisse mit zu positiven Bewertungen auszustellen, sondern vielmehr den Grundsatz der Zeugniswahrheit zu beachten.

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Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht | 4-2015 |
www.arbeit-und-arbeitsrecht.de

PROBLEMPUNKT

Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gem. § 109 Abs. 1 GewO Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis. Bei einem qualifizierten Zeugnis muss der Arbeitgeber auch Angaben zur Führung und Leistung des Mitarbeiters machen. Die Ausstellung guter oder sogar sehr guter Zeugnisse ist in der betrieblichen Praxis mittlerweile weit verbreitet. Dies stellte auch die bisherige Rechtsprechung des BAG vermehrt infrage, wonach der Beschäftigte im Streitfall darlegen und beweisen muss, dass er ein besseres als ein nur „befriedigendes“ Zeugnis verdient hat. Denn nach der Rechtsprechung des 9. Senats obliegt ihm die Darlegungs- und Beweislast für die Erbringung einer überdurchschnittlichen Leistung, wenn ihm das Unternehmen eine nur durchschnittliche attestiert. „Durchschnittlich“ ist nach bisheriger Auffassung des BAG eine befriedigende Leistung (BAG, Urt. v. 4.10.2003 – 9 AZR 12/03). 

Die Klägerin war in der Zahnarztpraxis der Beklagten im Empfangsbereich und als Bürokraft beschäftigt. Die Arbeitgeberin erteilte ihr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zeugnis, in welchem sie die Gesamtbewertung „zu unserer vollen Zufriedenheit“ attestierte. Dagegen erhob die Arbeitnehmerin Klage und begehrte eine Änderung dieser Formel in „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“, da sie immer tadellos gearbeitet habe.

Sowohl das ArbG Berlin als auch das LAG Berlin-Brandenburg (Urt. v. 21.3.2013 – 18 Sa 2133/12, AuA 10/13, S. 617) gaben der Klage statt. Zur Begründung führten sie aus, dass die Beklagte, der die Darlegungs- und Beweislast zukommt, etwaige Leistungsmängel der Mitarbeiterin nicht ausreichend dargelegt hatte. Ein Arbeitszeugnis müsse aus Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts so gelesen werden, wie es der Üblichkeit entspricht, falls das Unternehmen ein im Arbeitsleben typisches Beurteilungssystem benutzt. Zudem machten Studien deutlich, dass nach dem heutigen Verständnis im Wirtschaftsleben nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei einer Bewertung mit „befriedigend“ um eine durchschnittliche Leistung handle. Daher sei „gut“ nicht mehr als überdurchschnittlich anzusehen, sondern mittlerweile zum Durchschnitt geworden.  

ENTSCHEIDUNG

Die Revision der Beklagten vor dem BAG war erfolgreich. Die Sache verwiesen die Erfurter Richter zur erneuten Verhandlung an das LAG Berlin-Brandenburg zurück. Mit dem aktuellen Urteil bestätigte das BAG erneut seine bisherige Rechtsprechung zur Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die Bewertung in Arbeitszeugnissen. Beansprucht der Beschäftigte eine bessere Einschätzung als „befriedigend“, muss er in einem etwaigen Rechtsstreit weiterhin Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, die auf eine überdurchschnittliche Leistung hindeuten. Das Unternehmen trägt nur dann die Darlegungslast, wenn es eine schlechtere Note als „befriedigend“ vergeben will.

Die vom LAG zur Begründung herangezogenen Studien, nach denen fast 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schulnoten „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen sollen, führen nach Auffassung des 9. Senats zu keiner anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.

Ansatzpunkt für die Frage der Beweislast sind danach nicht die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten, sondern – wie das BAG ausdrücklich feststellt – die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehrt der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich, muss er darlegen, dass er den Anforderungen „gut“ oder „sehr gut“ gerecht geworden ist.

Im Übrigen enthielten die Studien keine Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass wirklich neun von zehn Beschäftigte „gute“ oder „sehr gute“ Leistungen erbringen. Es kann zudem nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Anspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich wahres Zeugnis. Das umfasst auch die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.

Das LAG muss als Tatsacheninstanz nun prüfen, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala rechtfertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringen kann.